FlamingO schrieb am 22.11.2019:Etwas scholastisch ausgedrückt sollte bei rationaler Betrachtung die Kluft zwischen dem Bild, welches man von der Welt hat und den Dingen, so wie sie an sich sind, möglichst minimal sein. Wenn Phänomene also mit wissenschaftlichen Methoden wiederholbaren Überprüfungen standhalten, wurden mithin auch den Dingen innewohnende rationale Strukturen offengelegt. Insofern mit "rational" zweckmäßig Angelegtes gemeint ist, sind die den Strukturen zugrunde liegenden (evolutionären) Prinzipien durchaus rational erkennbar.
Im Sinne einer logisch-semantischen Propädeutik ist "Ding" letztendlich auch nur ein
Konzept. Und mit Blick auf das Semiotischen Dreieck macht es Sinn, zwischen Konzept (Begriff), Bezeichnung (Symbol) und Faktum (Ding) zu unterscheiden. Man beachte hierbei, dass das Semiotische Dreieck natürlich auch auf sich selbst anwendbar ist, d.h. auch "Bezeichnung" ist eine Bezeichnung, genauso wie "Konzept", wobei hinter der Bezeichnung "Konzept" natürlich auch ein Konzept steht, genauso wie hinter der Bezeichnung "Bezeichnung" usf.
Um das Bild von der Welt, welches man hat, von der Welt selbst zu unterscheiden, hat sich in der Geschichte scheinbar das Konzept einer "Welt an sich" bzw. von einem "Ding an sich" vielfach einer großen Beliebtheit erfreuen können. Mit Blick auf das Semiotische Dreieck erweist sich diese Unterscheidung allerdings als überflüssig bzw. ist die Abbildrelation bereits in der Relation zwischen Konzept und Faktum gegeben.
kaktuss schrieb am 22.11.2019:Was, wenn sich hinter den erfahrbaren Dingen Strukturen verbergen, die rational erkannt werden können.
Gibt es hinter den Phänomenen der sinnlichen Erfahrungswelt Strukturen, die nur rational erkannt werden können.
Wenn ja, wie lassen sie sich denken ?
Zunächst kommt man bei philosophischen Fragen nicht um logisch-semantische Grundlagen bzw. die sog. logisch-semantische Propädeutik herum. Für mich zählt es noch dazu, für andere zählt es schon zur Sprachwissenschaft: das
Semiotisches Dreieck, wie oben schon dargelegt. Es gibt demnach also
Konzepte ("Begriffe"), Bezeichnungen ("Symbole") und Fakten ("Dinge").
Mit diesem Begriffsrepertoire lässt sich nun auch gleich dein allererster Satz analysieren:
kaktuss schrieb am 22.11.2019:Was, wenn sich hinter den erfahrbaren Dingen Strukturen verbergen, die rational erkannt werden können.
Hierbei handelt es sich zunächst nur um eine (syntaktische) Aneinanderreihung von irgendwelchen Mustern, Zeichen, Symbolen, Buchstaben, die wir auf "mysteriöse" Art und Weise mit einer Bedeutung versehen: "Ding", "Struktur", "erfahrbar" (empirisch), "rational"...
Konzepte allerdings... die existieren nur in unserem Kopf und sind subjektiv. Was auch immer du bspw. unter "Struktur" verstehst... ich und alle anderen hier verstehen darunter mit Sicherheit nicht exakt dasselbe. Unglücklicherweise hängt bspw. die Aussage
"es gibt hinter den Phänomenen der sinnlichen Erfahrungswelt Strukturen, die nur rational erkannt werden können" aber genau davon ab, so dass es also Sinn macht, überhaupt erst einmal zu erläutern oder zumindest einen Konsens zu erzielen, was genau denn mit "Struktur" überhaupt gemeint sein soll.
Die gleiche Problematik zeigt sich schon bei dem berühmten "Ding", wo sich bspw. auch herausstellt, dass es kein scharfes Abgrenzungskriterium gegenüber dem gibt, was
kein "Ding" sein soll, und wodurch Dinge überhaupt charakterisiert sind - gehören bspw. physikalische Felder oder Teilchenspins dazu? Und welches Teilchen gehört bspw. noch zu dem Ding namens "Sonne", welches gehört schon zum Ding (?) namens "Sonnenwind" oder welches zur "Erde"...? Um Missverständnisse zu vermeiden, macht es Sinn, von derartigen Konzepten - wie "Ding" - nur selten und im günstigsten Fall überhaupt nicht Gebrauch zu machen, sondern stattdessen bspw. eher von
'Fakten' oder
'Tatsachen' zu sprechen, abkürzend für alles,
was real ist, was der Fall ist, was Sache ist.
Letztendlich ist es eben so, dass wir Aussagen über die Natur generell, prinzipiell und immer nur mit Hilfe von (erfundener!)
Sprache machen, während wir dabei auf (erfundene!)
Konzepte zurückgreifen, die wir dann der Realität aufstempeln, um sie uns irgendwie begreifbar zu machen. Man beachte noch, dass es natürlich nicht nur keine Dinge an sich gibt, sondern auch keine Fakten an sich, d.h. es gibt nur Realität (an sich), aus der wir einzelne Fakten quasi "herausschneiden". Fakten sind immer nur
Ausschnitte der Realität, weshalb bspw. die Frage, mit welcher Nanosekunde genau ein "Vulkanausbruch" beginnt und endet, sinnfrei wäre. Die Realität kennt keine
Timestamps.
Zurück zur "Struktur". Damit kann das Wort gemeint sein (bspw. in der Aussage:
"Struktur" hat 8 Buchstaben), das Konzept (bspw. finden wir im Duden unter "Struktur":
Anordnung der Teile eines Ganzen zueinander; gegliederter Aufbau, innere Gliederung) oder auch das Faktum, auf welches sich jenes Konzept bezieht (bspw. in der Aussage:
die Struktur von Molekülen kann mit Hilfe einer Strukturformel dargestellt werden).
Sofern man solche Grundlagen der logisch-semantischen Propädeutik verinnerlicht hat, fällt es auch wesentlich leichter, diverse Fragen zu beantworten, ohne sich einen Knoten ins Hirn zu machen, also noch einmal zu deiner Aussage:
kaktuss schrieb am 22.11.2019:Was, wenn sich hinter den erfahrbaren Dingen Strukturen verbergen, die rational erkannt werden können.
Die Realität ist voll von Strukturen (genauer: wir finden unentwegt Fakten, die sich als "Strukturen" konzeptionalisieren lassen). Und es gibt sogar eine (recht moderne) Ontologie, die allein von der Existenz von Strukturen ausgeht:
Wikipedia: StrukturenrealismusMan muss es aber immer wieder sagen: Der Realität bzw. den realen Fakten ist es ziemlich egal, ob wir sie als "Ding" oder "Struktur" konzeptionalisieren. Genauso ist es bspw. 'Pluto' egal, ob wir ihm das Konzept "Planet" überstülpen, oder nicht. Deshalb können wir immer nur sagen, dass es Fakten gibt, was gewissermaßen eine Tautologie ist (es gibt nur das, was es gibt...). Für unsere Konzepte gilt, dass sie sich lediglich bewähren und viabel sind, die Wirklichkeit zu begreifen. So gilt es bspw. mindestens für sämtliche Konzepte der Naturwissenschaften ("Teilchen", "Felder", "Lebewesen", "Planeten"...), aber auch für jene der Mathematik:
"Ein mathematisches Modell ist ein mittels mathematischer Notation erzeugtes Modell zur Beschreibung eines Ausschnittes der beobachtbaren Welt. Dieses Modell kann in beliebigen, begrenzten Bereichen der beobachtbaren Realität, wie z. B. den Naturwissenschaften, den Wirtschafts- oder Sozialwissenschaften, der Medizin oder den Ingenieurwissenschaften Anwendung finden. Mathematische Modelle erlauben eine logische, strukturelle Durchdringung je nach Art hinsichtlich von geltenden Gesetzmäßigkeiten, erlaubten und nicht erlaubten Zuständen, sowie seiner Dynamik mit dem Ziel, diese Erkenntnisse auf das modellierte System zu übertragen."Wikipedia: Mathematisches ModellEinfacherere mathematische Konzepte, die sich auf Fakten beziehen (können), wären bspw. "Abstand", "Menge" oder "Anzahl". Ohne diese Konzepte könnten wir faktisch auch keine Naturwissenschaft betreiben (schon bei einer simplen Messung handelt es sich bspw. stets um eine
quantitative Aussage).
kaktuss schrieb am 22.11.2019:Wir konnten folgendes feststellen :
Wenn es diese Strukturen gibt, sind sie auch denkbar.
Sie sind logisch nicht denkbar.
Daraus folgt unmittelbar, dass es sie nicht gibt, denn ganz allgemein gilt:
Allerdings ist bereits die Prämisse, logisch nicht denkbarer Strukturen, Unsinn. Es sei denn, man hat dabei ein Privatkonzept von "Struktur" im Kopf, welches nichts mehr mit der eigentlichen Bedeutung von "Struktur" gemeinsam hat. Oder man macht pedantisch einen Unterschied zwischen "logisch denkbar" und "denkbar", was wohl aber in einer Endlosdiskussion münden würde...