Eigentlich wollte ich mir alle sechs Seiten durchlesen, aber ich hab schon von der ersten Seite so viele Hummeln mit Glubschaugen im Bauch, dass ich mein verdammtes Maul nicht halten kann.
Das fängt mit Argumentationen wie "Mir gibt ja auch keiner was" an und steigert sich in Fragestellungen wie "Was haben die denn davon?". Mutter Erde, was haben die Menschen nur an sich, dass sie immer das Schlimmste von anderen erwarten...
Also (1).
Ja, ich gebe "Pennern" Geld. Wenn es kalt ist, auch gern einen heißen Kakao. So ein Euro oder zwei hat mir auch in der Zeit nicht wehgetan, in der ich nur ALG II bekommen habe. Wenn ich in Schwierigkeiten gerate, hilft es mir auch, wenn mir jemand aushilft. Dabei geht es nämlich gar nicht so sehr um das Geld, es geht um die Geste an sich. "Du bist nicht allein." und "Ich verstehe dich." sind essenzielle Hilfestellungen für jemanden, der es noch nicht aus eigener Kraft schafft, wieder aufzustehen.
(2)
Drogen und Kriminalität sind bestimmt bei Obdachlosen verbreitet. Bei Menschen, denen es gut geht aber genauso, wenn nicht gar noch mehr. Nur weil deren Kriminalität subtiler ist, heißt es nicht, dass ich sie mehr toleriere. Und arme Menschen zu ignorieren und ihnen Hilfe zu versagen führt erfahrungsgemäß nicht unbedingt dazu, dass diese Menschen die Selbstlosigkeit in Person werden. Es heißt ja, "Jeder kriegt, was er gibt.", aber ich denke eigentlich "Jeder gibt, was er kriegt.", denn wenn man den Menschen nicht vorlebt, dass es anders geht, werden sie es auch niemals glauben.
(3)
"Es gibt genügend Einrichtungen und Hilfsorganisationen. Niemand
muss auf der Straße hausen."
Das ist so ein Punkt, da gerate ich innerlich immer in Raserei. Ich kann diese Einstellung nicht verurteilen, weil sie im Grunde ja absolut richtig ist. Und ich glaube, wir haben in unseren Landen weit mehr Auffangstationen, als in irgendwelchen anderen Ländern.
Aber so einfach find ich das dann doch nicht.
Mal von der klassischen Abwärtsrutsche ausgegangen:
Du wirst krankheitsbedingt gekündigt. Natürlich kannst du rechtlich dagegen vorgehen. Aber im Krankheitsfalle die Energie und den Antrieb
dafür zu finden... So. Erst einmal also einfach nur arbeitslos. Ein paar mitleidige Blicke deiner ehemaligen Kollegen, ein paar Telefonanrufe aus der Familie "Kann man dir helfen?". Alles im grünen Bereich. Aber nun ist man ja ein stolzer Mensch. Man kennt sich selbst oder sieht sich selbst als aktiven produktiven Menschen oder zumindest als Überlebenskünstler. Hilfe? Nein, danke! Ich krieg das schon hin! Irgendwann also wieder gesund geschrieben, arbeitsfähig, ab ans Bewerbungen schreiben. Mhm. Schade. Lücke im Lebenslauf. Absagen der Arbeitgeber. Eine. Zwei. Drei. Und das Amt steckt dich in Maßnahmen oder auch in
irgendeinen Job. (Arbeit gibt es ja genug.) Du fühlst dich nicht wohl. Du wirst unzufrieden. Und die Leute fragen dich "Was hast du vorher so gemacht? Wie bist du hier hergekommen?" "Ach, du kommst vom Amt? Oh."
Jupp.
Oh. Ein so kurzes Wort und so ein intensiver Schlag in die Fresse.
Ab da kommt es drauf an, ob du ein Umfeld hast, dass dir durch diese Phase hilft. Eine Familie, die hinter dir steht. Eine supergute Bearbeiterin beim Amt vielleicht. Ein Freundeskreis, der dich versteht. Ein Glücksfall mit dem neuem Kollegium. Mal ehrlich: Wie viele haben am Ende wirklich so viel Glück? Selbst, wenn die Hälfte aller Fälle dieses Glück haben, bleibt immer noch die andere Hälfte zurück.
Am Ende sucht man weiter, von Job zu Job zu Job, bis du nichts mehr kriegst oder nicht mehr kannst, weil du dich nirgendwo zuhause fühlst.
Die Spirale nach unten dreht sich weiter. Unzufriedenheit, Verzweiflung, Existenzängste,... Vielleicht musst du umziehen, weil deine Wohnung zu teuer ist. Aber du findest nichts. Und die ganze Zeit all die mitleidigen Blicke. Und irgendwann explodiert dein Stolz. Du willst nicht mehr bei Ämtern zu Kreuze kriechen, du hast die ganzen
Oh's und
Das-hätt-ich-gar-nicht-bei-dir-gedacht's satt, du fängst vielleicht an zu trinken, du übertreibst es, um dich endlich zu betäuben, du wirst gekündigt, du gehörst noch weniger dazu.
Und wenn du alles verloren hast ist es nur noch der Hunger (nach Vergessen), der dich mit Hundeaugen auf die Passanten blicken lässt, in der Hoffnung, etwas zu Essen oder - in der Tat - etwas zu saufen zu bekommen, damit du wieder in den Schlaf und somit ins Vergessen sinken kannst. "Shice Welt."
;)Wem diese Spirale zu krass gedacht ist, dem möchte ich noch sagen, wie viele Obdachlose es prozentual am Ende wirklich sind, und ob man sich
wirklich ein Urteil darüber erlauben darf. Niemand kann wirklich sagen, welche Schicksalsschläge solche Menschen von den Füßen gerissen hat.
Es ist nicht unser System, das versagt.
Wir versagen. Wir sind es, die uns weigern, jemandem Anerkennung zu schenken, der keinen gesellschaftlich vorgetretenen Weg gehen kann.
Wir sind es, die Probleme damit haben, jemanden zu integrieren, dessen Denkweise wir nicht sofort nachvollziehen können.
Wir sind es, die denken, Stolz wäre nur ein kleiner Schatten, über den man locker springen springen kann, um alles in die Wege zu leiten. Und
wir sind es, die es schaffen, das Leid anderer auch noch als Vorwurf formulieren zu können und es so aussehen lassen, als wären wir nur zu höflich, es auszusprechen.
Hyperborea schrieb:Würd' dich mal sehen wenn du als Unnützer an den Rand der Gesellschaft gedrängt wirst.
Scheiss Angst davor, was ?
Würd' dich mal sehen, ob du da nicht auch anfängst zu Saufen.
Aber das ist dann pöse! Hast gefälligst klar zu erleben, dein Leben in der Scheisse.
So eine miese Doppelmoral.
@Hyperborea Danke!