WARUM DER?
Hollywood erschafft sich einen neuen Star: Aus Shia LaBeouf soll der nächste Tom Hanks werden. Shia LaBeouf hat Halle Berry und Bruce Willis nicht einfach geschlagen, er hat sie zerstört. Als der Vorstadt-Thriller "Disturbia" mit dem nahezu unbekannten LaBeouf in der Hauptrolle am 13. April gegen die geballte Starpower von Willis' und Berrys "Perfect Stranger" in den USA anlief, wäre schon der zweite Platz der Kinocharts ein respektabler Erfolg gewesen. Doch es wurde ein Triumph - "Disturbia" beendete das Startwochenende auf Platz eins, mit einem Ergebnis von über 23 Millionen Dollar, 3 Millionen mehr, als er gekostet hat, und mehr als doppelt so viel, wie Berry und Willis in der gleichen Zeit umsetzen konnten. Damit hatte niemand gerechnet.
Außer Steven Spielberg natürlich. Der war sich höchstwahrscheinlich sogar ziemlich sicher.
Spielberg wirkte bei "Disturbia" (Deutschland-Start: 16.8.) als Produzent mit und hat sich während der Dreharbeiten ständig die gerade abgedrehten Szenen zeigen lassen, um zu sehen, ob LaBeouf auch alles richtig macht. Das hat er offensichtlich, denn Spielberg verschaffte ihm gleich die Hauptrolle in "Transformers" (Start: 2.8.), dem von Spielberg produzierten und von Michael Bay ("Pearl Harbor") inszenierten Roboter-Spektakel, das in diesem Sommer einer der großen Blockbuster werden soll. Wenig später kam dann das Angebot, von dem jeder Schauspieler zwischen 18 und 28 Jahren in Hollywood träumt: Im nächsten Jahr wird Shia LaBeouf, 21, als Sohn von Indiana Jones im vierten Teil der Reihe zu sehen sein, an der Seite von Harrison Ford und Cate Blanchett, Produzent: George Lucas ("Krieg der Sterne"), Regie: Steven Spielberg.
Wenn "Transformers" und "Indiana Jones 4" anlaufen, wird allerdings mehr erwartet als ein Startwochenende von 23 Millionen Dollar. Alles unter 100 Millionen wäre für beide Projekte eine Enttäuschung. Auf den Schultern von Shia LaBeouf lastet plötzlich eine Menge Verantwortung, um ihn herum wütet der Hype. Er soll nichts weniger als der neue große Star Hollywoods werden.
"Der Hype geht auch vorbei", sagt LaBeouf betont gelassen beim Interview im Berliner "Adlon"-Hotel. "Es ist doch schön, wenn viele Leute
über einen reden. Aber das ist auch nicht anders als der Klatsch in jeder Highschool."
Wie er so da sitzt, müde von einem langen Tag voller Pressetermine, kettenrauchend, fehlt ihm das selbstsichere Strahlen eines künftigen Superstars. Er ist eine angenehme Erscheinung, aber vom Herzensbrechercharme eines Jake Gyllenhaal etwa ist er weit entfernt. LaBeouf ist eher der Typ netter Nachbarsjunge, nichts Ungewöhnliches, ein Milchbubi. Er trägt etwas zu viel Gel in den gewellten braunen Haaren, die buschigen Augenbrauen sind nicht hundertprozentig akkurat getrimmt, und er müht sich sichtlich, einen möglichst professionellen Eindruck zu machen. Das Einzige, was ihn ein bisschen nach Hollywood aussehen lässt, sind die großen ausdrucksstarken Augen und die unnatürlich weißen Zähne. Sonst ist da nichts, was Frauen oder Männer umgehend anhimmeln müssten.
Er weiß das und findet das nicht weiter tragisch, im Gegenteil. "Wenn jemand, der so aussieht wie ich, so erfolgreich wird, muss das ja heißen, dass er tatsächlich was kann", sagt er. Ein Tom Cruise wird er nie, aber vielleicht hat er das Zeug zum nächsten Tom Hanks. So wie er sich in "Disturbia" gibt, zielt er jedenfalls in diese Richtung: Er wirkt auf der Leinwand locker und charmant, auf liebenswerte Weise unauffällig. Auf diese Art hat es Hanks immerhin zum bestverdienenden Schauspieler der Welt gebracht. Und zu zwei Oscars.
Bevor LaBeouf von Steven Spielberg und George Lucas zum Star bestimmt wurde, verlief seine Karriere vielversprechend, aber unspektakulär. Von seinen kalifornischen Hippie-Eltern mit einem reichlich seltsamen Namen ausgestattet (der Vorname spricht sich Schei-a, der Nachname ist eine orthografisch verdrehte und mit falschem Artikel ausgestattete Version des französischen Wortes für Rindfleisch), versuchte er schon im Alter von elf Jahren sein Glück im Showbusiness und besorgte sich eine Agentin, "über die gelben Seiten", wie er behauptet. Danach trat er in einem Comedy-Club in Pasadena auf und verzückte als kleiner Junge mit rauer Sprache das Publikum. "Das brachte etwa 25 Dollar den Abend, genug für Süßigkeiten und Pornografie", sagt er in einem während des Gesprächs sonst eher seltenen Moment aufblitzenden Humors.
Es folgten Werbespots und Gastauftritte in Fernsehserien, mit 13 Jahren schließlich eine Hauptrolle in der amüsanten Serie "Even Stevens", die auf dem Disney-Kanal lief. Drei Jahre lang spielte er dort mit, dazu in ein paar Disney-TV-Filmen. Dass er für die Serie einen Emmy gewann, brachte ihm die erhöhte Aufmerksamkeit der Casting-Agenten ein.
"Es war toll, mit 13 Jahren in der Lage zu sein, meine Familie zu ernähren, aber bis dahin war Schauspielerei für mich nur ein aufregender Job", sagt LaBeouf. Das habe sich erst geändert, als er eine Rolle in dem Disney-Familienfilm "Das Geheimnis von Green Lake" bekam und auf dem Set den Schauspieler Jon Voight kennenlernte. "Als ich Jon persönlich erlebt habe, hat es mich umgehauen", sagt er. "Er konnte sich in seine Rolle hineinversetzen, als habe er eine multiple Persönlichkeit. Da habe ich erst verstanden, dass Schauspielern eine Kunst, eine Gabe ist."
Kino-Veteran Voight muss etwas Ungewöhnliches in diesem so gewöhnlich wirkenden Jungen entdeckt haben. Er begann LaBeouf systematisch zu fördern. "Jede Woche hat er mir ein neues Buch mitgebracht, das ich lesen sollte, ich beschäftigte mich plötzlich mit der Schauspieltheorie von Stanislawski. Er hat sich mit mir hingesetzt und mir alles
erklärt, wir haben diskutiert, was es bedeutet, Schauspieler zu sein, bis heute tun wir das. Ich habe ihm viel zu verdanken, er ist mein Mentor." In den nächsten Jahren folgten kleine Rollen in großen Produktionen wie "I, Robot" mit Will Smith oder dem zweiten Teil von "Drei Engel für Charlie". Danach versuchte er sein Disney-Image loszuwerden, indem er bei ambitionierten Independent-Projekten mitwirkte, wie "Bobby" von Emilio Estevez und "A Guide to Recognizing Your Saints". Jon Voight verbreitete in Hollywood indes die Kunde von einem begabten jungen Schauspieler, der mal eine richtige Chance brauchte. Die bekam er mit "Disturbia" - und nutzte sie.
LaBeouf ist sich bewusst, was er seinen berühmten Freunden und Förderern zu verdanken hat; jetzt geht es darum, sie nicht zu enttäuschen. "Es ist großartig, von Leuten wie George Lucas und Michael Bay unterstützt zu werden", sagt er. "Aber wenn ich mir einen großen Flop leiste, kann die allgemeine Begeisterung schnell wieder verflogen sein."
Bislang hat er keine Fehler gemacht. Aus der Disney-Ecke hat er es herausgeschafft, ohne in die üblichen Jungstar-Fallen der Highschool- und Horrorfilme zu treten. Der Übergang vom Teenie-Helden zum seriösen Darsteller scheint ihm ausgezeichnet zu gelingen, ein bisschen macht es den Eindruck, als folge LaBeouf dabei einem ausgefeilten Karriereplan.
Was er natürlich bestreitet. "Sicher wähle ich meine Rollen jetzt gezielter aus, das ist ja das Schöne daran, wenn man sie sich endlich überhaupt aussuchen kann", sagt er. "Aber ich habe keinen Masterplan, wo meine Karriere hinführen soll. Bislang hat sich einfach alles optimal ergeben. Ich hoffe mal, dass es auf meinem Weg so weitergeht."
Es kann aber sicher nicht schaden, wenn ein paar Freunde im Hintergrund darauf achten, dass auch die Richtung stimmt.
http://www.spiegel.de/spiegel/kulturspiegel/d-52044727.html (Archiv-Version vom 03.02.2011)