Filmfestival Venedig: Neues von Spike Lee und Ulrich Seidl
Von SZ-Mitarbeiter Sascha Rettig
Venedig. Filmfestivals sind Jagdzeit. Auch bei den Filmfestspielen in Venedig lauern die Paparazzi an Hotels, auf Wassertaxis und überall, wo sich prominente Beute herumtreiben könnte (Veröffentlicht am 31.08.2012)Venedig. Filmfestivals sind Jagdzeit. Auch bei den Filmfestspielen in Venedig lauern die Paparazzi an Hotels, auf Wassertaxis und überall, wo sich prominente Beute herumtreiben könnte. Und wird erst einmal irgendwo Star-Freiwild entdeckt, sind nicht nur die Fotografen hinterher, sondern auch Fans und Passanten, die Autogramme haben, Hände schütteln und Fotos mit den gezückten Handys machen wollen.
Die Last mit der Berühmtheit ist hier auch auf der Leinwand ein Thema - allerdings aus ungewöhnlicher Perspektive. In Xavier Giannolis Wettbewerbsfilm "Superstar" wird der Durchschnittsfranzose Martin (Kad Merad aus "Willkommen bei den Sch'tis") ohne ersichtlichen Grund und gegen seinen Willen zu einem hysterisch verfolgten Medienphänomen. Mit seinem Anstrampeln gegen Youtube-Hype und Medienmaschinerie kann diese satirisch angehauchte Kulturkritik zwar nicht über Spielfilmlänge tragen. Die Verfolgungsszenen wachsen sich aber wirksam zum Albtraum aus.
Für Stars ist solch eine Belagerung zwar Teil des Geschäfts, aber kein angenehmer. Mit "Leave me alone" wünschte sich Michael Jackson einst ein Ende der medialen Hetzjagden. Der Song war auf seinem Album "Bad", das vor 25 Jahren erschien. Spike Lee hat eine Doku über die CD gedreht. Song für Song rekonstruiert der Regisseur, der in Venedig mit einem Spezialpreis für sein Werk geehrt wird, mit den Erinnerungen vieler Weggefährten die Entstehung der Aufnahmen und die Dreharbeiten der aufwändigen Musikvideos. "Bad 25" ist dabei vor allem Heldenverehrung, Fanveranstaltung und in seinen besten Augenblicken eine interessante Analyse. "Das ist mein Liebesbrief an Michael Jackson", sagte Lee der Presse.Jacko-Ausmaße haben die hysterischen Fan-Verfolgungen bei Zac Efron zwar nicht, aber auch der Jungstar kennt sich damit bestens aus. "Die einzige Erfahrung, die ich mit Autorennen habe, ist, den Paparazzi zu entwischen", sagt Efron, der daran werkelt, jenseits der Teen-Schwarm-Karriere als Schauspieler ernst genommen zu werden. Im Löwen-Konkurrenten "At any price" macht er dabei durchaus eine gute Figur; er spielt den Sohn eines Maisbauern (Dennis Quaid), der es mit einer Rennfahrerkarriere aus der ländlichen Enge Iowas herausschaffen will. Das ist allerdings nur eine Vignette des vielschichtigen, stark gespielten Farmer-Familiendramas. Während es sich in aller Ruhe ausbreitet, erzählt es auch von erster Liebe und Eheerschütterungen, von Familientraditionen, Wirtschaftskrise und harter Konkurrenz. Welchen Preis ist man gewillt zu zahlen, um nicht unterzugehen? Regisseur Ramin Bahrani will diese Familie nicht in den Abgrund reißen, sondern über Rückschläge mit dem Leben aussöhnen.
Bei Ulrich Seidl sieht das anders aus, sind die Abgründe bei ihm doch immer konsequent dunkler und tiefer. Nachdem der Österreicher im Mai mit "Paradies: Liebe" den ersten Teil seiner Trilogie über Paradiese vorgestellt hatte, die eigentlich keine sind, folgte in Venedig nun "Paradies: Glaube". Darin verkörpert die großartige Maria Hofstätter eine Röntgenassistentin Anfang 50, die ihr Seelenheil in fanatisch praktiziertem Katholizismus sucht. Ihr Alltag besteht daraus, Kirchenlieder zu singen, zu beten, sich vor einem Jesusbild zu kasteien und mit einer Figur der Mutter Gottes andere Österreicher auf den rechten Weg zu bringen. Mit der Rückkehr ihres Ehemanns, eines querschnittgelähmten Moslems, beginnt ein drastischer Ehe- und Glaubenskrieg im blitzblanken Eigenheim. "Es geht um die Suche nach dem Glück. Dass diese Suche aber oft in die Hölle führt, ist eine andere Sache", erklärt Seidl, dessen Werk erwartungsgemäß kontrovers aufgenommen wurde. Denn diese Hölle illustriert irgendwo zwischen Dokumentar- und Spielfilm mit typisch schmerzhafter Unbequemlichkeit und Einbrüchen finsteren Humors. "Wenn dieser Film Sie verstört, wird das einen Grund haben", sagt Seidl. "Er wird nicht jeden Zuschauer verstören." Als der geifernde Moslemgatte ein Papstbild von der Wand riss, gab es im Kino kurzen Applaus.
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