Der Prozess Oscar Pistorius und der Tod von Reeva Steenkamp
06.08.2014 um 14:48Hier 2 bedeutenden, gegenseitig ausschliessenden Kommentare seitens 2 Fachleuten:Der zweite Fachmann (Hood) äußert letztlich nur Bedenken, ob der Staat genügend Beweise zusammengetragen hat, um einen geplanten (premeditated) Mord zu belegen. Es geht ihm also nur um den Planungsaspekt; er äußert keine grundsätzlichen Zweifel daran, dass es zu einer Mordverurteilung kommen könnte.
Lawyer and legal commentator Ulrich Roux said that if Pistorious were acquitted of premeditated murder he could still be convicted on alternative charges of murder or culpable homicide.
Roux said the athlete had not done well under cross-examination in the witness box.
"He changed his version a number of times when tested by Gerrie Nel, making it nearly impossible for the court to accept his version," the lawyer said.
But Martin Hood, a criminal lawyer watching the trial closely, believes that despite the confusing defence the state has not done enough to prove premeditated murder.
"Premeditated murder requires that there was a plan," said Hood. "I think what we have here is a crime of passion, an intentional crime, but a crime of passion."
http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/oscar-pistorius/11015212/Oscar-Pistorius-due-back-in-court-as-murder-trial-nears-verdict.html
Wenn ein Mord geplant war, wird er nach südafrikanischem Recht schärfer bestraft: Es ist eine lebenslängliche Freiheitsstrafe, d.h. mindestens 25 Jahre, vorgesehen (Schedule 6).
Aber auch ungeplant ist ein Mord ein Mord, nämlich die unrechtmäßige und absichtliche Tötung eines Menschen. Die Mindestfreiheitsstrafe beträgt in diesem Fall 15 Jahre (Schedule 5).
Zwar ist für einen geplanten Mord somit eine härtere Strafe vorgesehen. Es handelt sich dabei aber nicht um ein anderes Verbrechen. Mord ist Mord. Der Planungsaspekt wird nur bei der Frage des Strafmaßes relevant.
Wann ein Mord geplant ist, ist offenbar nach südafrikanischem Recht umstritten. Einige Experten geben an, dass an die Planung relativ strenge Anforderungen gestellt werden. Es lassen sich aber auch anderslautende Einschätzungen finden. Somit gibt es hier für Nel durchaus Raum zu argumentieren. Am Ende wird die Richterin entscheiden, ob es ihr genügt. Ein südafrikanischer Strafverteidiger und ehemaliger Staatsanwalt misst dem Planungsaspekt beim Tatbestand des premeditated murder z.B. kaum eine eigenständige Bedeutung bei.
"The term “premeditated” is oftentimes misinterpreted, as laypeople tend to believe that a “pre-meditated murder” is by definition the result of a long and careful plan to assassinate someone. In fact, “premeditation” in South African law simply means “intentional,” meaning that the person that killed meant to do it at the time, and thus that intent can be formed almost instantaneously and need not have been carefully considered beforehand."
Einigkeit besteht wohl zumindest, dass kein längerer, sorgfältiger Plan notwendig ist. Es muss aber ein im Vorhinein überlegtes Handeln vorliegen.
Zudem gab es offenbar Entscheidungen, wo es als Beleg für eine Planung gewertet wurde, dass der Täter nicht nur mit einem Messerstich tötete, sondern mit mehreren:
http://www.iol.co.za/dailynews/opinion/expert-clarifies-premeditated-murder-1.1573253#.U1a0wiOKDDd
Ähnlich könnte man im Falle von OP das 4-malige Abfeuern bewerten; insbesondere, wenn man davon ausgeht, dass es zumindest zwischen dem ersten und dem zweiten Schuss eine Pause gab. Zudem wurde die Waffe, nachdem Reeva auf (oder zumindest gegen) den Zeitungsständer fiel, in die Richtung ausgerichtet, in der gewöhnlich das Zeitungsgestell platziert ist. Für eine Planung im Sinne einer überlegten Handlung und damit in Abgrenzung zu einer unkontrollierten Spontantat, die impulsiv aus der Hitze eines Gefechts resultiert, können auch weitere Aspekte sprechen, die auf ein berechnendes und überlegtes Handeln hindeuten:
OP musste sich zunächst seine Waffe unter dem Bett hervorholen, er musste sie aus dem Holster nehmen, entsichern und musste sein Opfer dann verfolgen. Dazu war ein längerer Weg über mehrere Ecken vom Bett bis ins Badezimmer zurückzulegen. Er hat viermal geschossen, musste sich nach jedem Schuss stabilisieren und die Waffe neu ausrichten. Durch die Aussage seines Orthopäden ist belegt, dass dies für OP in dem dunklen, gefliesten Raum auf seinen Stümpfen nur unter großen Anstrengungen möglich war. Die Schüsse stoppten, als die Schreie verstummten. Das alles spricht für mich durchaus für ein zielgerichtetes und überlegtes Vorgehen, nachdem die Entscheidung getroffen wurde, die Waffe einzusetzen und zu töten – keine spontane Reaktion aus der Hitze des Gefechts.
Ich würde es daher grundsätzlich für gut vertretbar halten, wenn es zu einer Verurteilung als premeditated murder kommt. In jedem Fall gibt es für Nel ein paar gute Ansätze entsprechend zu argumentieren. Ich bin schon sehr gespannt darauf.
Insgesamt halte ich allerdings eine Mordverurteilung (ohne Planung) für am wahrscheinlichsten.
Die Hürden, den Mordvorwurf zu entkräften, waren bereits vor Beginn der Beweisaufnahme hoch und sie wurden durch die von der Staatsanwaltschaft im Rahmen des Prozesses eingebrachten Beweise und Indizien noch höher. Die Verteidigung war unter Zugzwang, einen rechtlich anerkannten Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund für die Tat darzulegen. Das ist mMn nicht gelungen, wobei insbesondere OP durch seinen Auftritt selbst dazu beigetragen hat, das Verfolgen einer klaren Verteidigungslinie zu erschweren – wenn nicht sogar unmöglich zu machen.
Da keine Belege für einen Automatismus durch die Verteidigung eingebracht wurden, werden sie sehr wahrscheinlich versuchen, weiter mit der Putativnotwehr zu argumentieren – auch wenn OP dieser defence ausdrücklich widersprochen hat. Dabei wird man besonders auf seine Behinderung abstellen.
Ein Automatismus wäre als Entschuldigungsgrund nur dann in Betracht gekommen, wenn man belegt hätte, dass OP automatisch (gegen seinen Willen) gehandelt hat, ohne dass er diese Handlung steuern konnte (defence of involuntary action). Dafür reicht die fight reaction allerdings nicht aus: Zunächst ist durch nichts belegt, dass OP überhaupt unter dem Einfluss dieser Reaktion gehandelt hat. Selbst wenn dies der Fall wäre, hat auch Experte Derman eingeräumt, dass das „thinking brain“ nicht ausgeschaltet, sondern allenfalls etwas weniger durchblutet wird. In welchem Umfang das Denkvermögen dadurch reduziert wird, kann er nicht quantifizieren. Dies genügt nicht für einen Automatismus. Hier dürfte keine willentliche Steuerung mehr möglich sein. Dem hat OP durch seine Schilderung des Tatablaufs jedoch bereits selbst wiedersprochen, wonach nahezu jeder Schritt wohl überlegt erfolgte.
Ich bleibe bei meiner Auffassung, dass auch die alternative Verteidigung der Putativnotwehr nicht überzeugend ist. Zunächst fehlt es hier an einer Bedrohung. Es gab keinen Angriff. Damit läge ein Fall von Präventivnotwehr vor, die offenbar auch in Südafrika unzulässig ist. Allein eine subjektive Befürchtung, ein Angriff stehe unmittelbar bevor, begründet für sich genommen also noch keine Notwehrlage.
Wenn man dies zugunsten des Angeklagten großzügig sehen möchte und ein Geräusch aus dem Bad als Angriff wertet, ergibt sich jedoch die nächste Schwierigkeit. Entlastend kann sich die Putativnotwehr nur dann auswirken, wenn der Angeklagte nicht vorhersehen konnte, dass nicht alle Notwehrvoraussetzungen gegeben sind. Das bedeutet umgekehrt, wenn er zumindest vorhersehen konnte, dass wenigstens eine Voraussetzung für eine zulässige Notwehrhandlung nicht vorliegt, kann die Putativnotwehr die Tat nicht entschuldigen. Hier wurde jedoch durch den Staatsanwalt aufgezeigt, dass OP zumindest über das angemessene Verhalten in solchen Bedrohungssituationen aufgeklärt war. Er musste wissen, dass er nicht angemessen reagiert, wenn er ohne jede Vorwarnung 4mal durch die verschlossene Tür auf einen Menschen schießt. Damit dürfte sich die Putativnotwehr nicht entlastend auswirken. Hinzukommen die Aussagen OPs, die ausdrücklich dem Vorliegen einer Putativnotwehr widersprechen (darauf hatte ich bereits in einem anderen Beitrag hingewiesen).
Zudem kommt diese Verteidigung ja ohnehin nur zum Tragen, wenn die Richterin OPs Version zum Tatgeschehen folgt. Dem stehen sein unglaubwürdiger Auftritt vor Gericht, die Widersprüche und die zum Teil auch durch seine eigenen Experten belegten Lügen gegenüber. Des weiteren gibt es die Zeugenaussagen, die ihn schwer belasten. Hier wird Roux sicher versuchen, diese unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Wahrscheinlich wird er einen Schwerpunkt auf die unterschiedlichen Zeitangaben der Zeugen legen. Um die Zeiten exakt vergleichen zu können, müssten man sie allerdings jeweils im Verhältnis zur einer zuverlässigen Vergleichsgröße betrachten, also z.B. zur Atomzeit. Ohne den Bezug auf eine Vergleichsgröße können die Zeitangaben nur eine grobe Orientierung bieten. Es sind zahlreiche Gründe für Abweichungen denkbar und es lassen sich daher verschiedene Konstellationen bilden, in denen sich die relevanten Zeiten alle in Übereinstimmung bringen lassen (auch darüber wurde ja bereits diskutiert). Es gibt im Gegensatz dazu, keine Gründe die Glaubwürdigkeit der Zeugen anzuzweifeln. Der Sound Experte bestätigt, dass sie laute Schreie durchaus gehört haben können.
Spannend wird, wie von Staatsanwalt und Verteidiger die von den Stipps gehörten Geräusche interpretiert werden. Nel geht ja davon aus, dass es sich bei der zweiten Geräuschserie um die tödlichen Schüsse handelte (was Sinn macht, weil die Zeugen zuvor noch die Frauenschreie hörten). Ich vermute, dass sich Nel nicht exakt festlegt, wodurch die ersten Geräusche erzeugt wurden – er wird evtl. ein paar Möglichkeiten benennen – ein eindeutiger Beweis ist hier ohnehin nicht möglich.
Roux behauptet, dass die zweiten Geräusche die Schläge waren. Die Schüsse sollen 5 Minuten vorher gefallen sein (zu einem Zeitpunkt als niemand Schüsse hörte). Demnach müsste Roux insgesamt 3 Geräusch-Sets erklären, denn die Stipps hörten ja bereits um etwa 3 Uhr die erste Serie.
Es wird ab morgen auf jeden Fall noch einmal spannend. Dabei könnte es für Nel ein Vorteil sein, dass er auf die Argumentation der Verteidigung noch einmal antworten darf:
"The state argues, defence argues, state replies, and then we are done," said Johnson.
Ich bin überzeugt, dass Nel gut vorbereitet ist und insgesamt zuversichtlich, dass es ein gerechtes Urteil geben wird.