Der Prozess Oscar Pistorius und der Tod von Reeva Steenkamp
30.06.2014 um 21:13
Leider hatte ich noch keine Gelegenheit, mir den heutigen Verhandlungstat vollständig anzusehen - und hier muss ich auch noch einiges nachlesen. Die Ausschnitte, die ich sehen konnte, fügten sich aber nahtlos in den bisherigen Eindruck von den etwas verzweifelt anmutenden Versuchen der Verteidigung ein, noch irgendwie zu Gunsten OPs das Ruder rumzureißen.
Zumindest eins kann man der Verteidigung nicht vorwerfen. Sie hat sich sehr bemüht, wirklich alle Register zu ziehen. Man hat es mit der Psychokarte versucht, auch der Behindertenbonus und die Mitleidsmasche kamen nicht zu kurz.
Dies zeigt, dass sie sich der ungünstigen Ausgangslage sehr wohl bewusst sind und sie es auch so bewerten, dass sich für sie -auch wenn insgesamt unbestritten der Staat die Beweislast trägt- rein faktisch auch im Strafprozess das Erfordernis ergibt durch die glaubhafte Darstellung und Erläuterung des Tatgeschehens vernünftige Zweifel an der Schuld des Angeklagten zu begründen.
Was dieses Ziel anbelangt, hat es heute mMn erneut kein Vorankommen, sondern eher im Gegenteil einen weiteren Rückschlag gegeben.
Den Einwurf der Verteidigung hinsichtlich des Kabels halte ich zunächst auch für eine der bereits üblichen Nebelkerzen. Es ist ein Versuch, die Polizei weiter zu diskreditieren, um auf Nebenschauplätzen von der eigenen Misere abzulenken.
Ein Interesse daran, dass Kabel verschwinden zu lassen, hat wohl weniger die Polizei als der Angeklagte selbst. Die Schlüssel zum Haus wurden ja bereits am Sonntag, den 17.2.2013, an Stander ausgehändigt. Erst nach dem Kreuzverhör in diesem Jahr sucht man von Seiten der Verteidigung nach dem Kabel, nachdem inzwischen Hinz und Kunz Zugang zum Haus hatten.
Das Kabel taucht nicht auf der Liste der beschlagnahmten Gegenstände der Polizei auf, ist also im Haus verblieben. Dass es im Rahmen der Untersuchungen umplatziert wurde und daher auf späteren Fotos nicht mehr an derselben Stelle zu sehen ist, ist wohl grundsätzlich auch ein normaler Vorgang.
Ansonsten war heute sicher wichtig, dass der doch etwas erbärmliche Versuch der Verteidigung, die angebliche GAD als eine Begründung und damit wohlmöglich Entschuldigung für OPs Verhalten in den Prozess ohne seriöse Überprüfung einzubringen, gescheitert ist.
Mit den nebulösen Andeutungen Vorsters, wonach möglicher Weise die GAD eine Rolle bei der Tat gespielt haben könnte, wollte man offenbar das Gericht entsprechend beeinflussen. Gut ist, dass nun Klarheit herrscht und feststeht, dass eine GAD sich nicht in juristisch relevanten Maße zum Tatzeitpunkt ausgewirkt hat, womit Vorsters Einlassungen getrost vom Gericht vernachlässigt werden können.
Da nun die GAD als Erklärung für OPs Handeln und insbesondere für den Umstand, warum er der Gefahr entgegengegangen und nicht geflüchtet ist, wegfällt, muss es wohl nun seine Verletzlichkeit auf den Stümpfen alleine für OP richten. Allerdings sehe ich durch die Aussage seines Orthopäden (der wenig überraschend auch erst nach dem Kreuzverhör seine Arbeit aufnahm) eher die Version der Anklage gestärkt. Was OP alles im Dunkeln verrichten konnte, ohne dass er selbst oder sonst irgendwas dabei umfiel, hielt nun doch auch der Orthopäde für unwahrscheinlich. Insbesondere das Rennen mit der Waffe in der Hand vom helleren Bad in das stockdunkle Schlafzimmer mutet nach den Ausführungen des Orthopäden (der zum großen Teil ja nur noch mal vorgelesen hat, was OP ihm alles über seine Mobilität erzählt hat) doch sehr unrealistisch an. Hier zeigte sich mal wieder wie schwierig es ist, neue Aussagen in die Version von OP zu integrieren. Während man pitch dark zunächst noch unbedingt benötigte, damit Reeva unbemerkt den Raum verlassen konnte, wollte man es doch schnell wieder relativieren, nachdem der Orthopäde erläutert hatte, dass OP im Dunkeln kaum die Balance auf den Stümpfen halten kann. Plötzlich war auch das LED-Licht gar nicht mehr ganz so schwach wie noch im Kreuzverhör behauptet, wonach es rein gar nichts ausleuchtete (mit Ausnahme der Jeans). Die Aussage des Orthopäden in dem Sinne „Wenn es so gewesen sein soll, dann muss es wohl möglich sein.“ sagt im Grunde alles über diesen Experten aus, was man wissen muss, um seine Bedeutung einzuschätzen.
Zumindest wurde erneut verdeutlicht, dass das 4-malige Abfeuern der Waffe niemals versehentlich geschehen sein konnte, denn dieser Vorgang erforderte von OP auf Stümpfen volle Konzentration, um sich auszubalancieren und zugleich die Waffe wieder in Richtung Tür zu richten. Das geschieht nicht mal so nebenbei, ohne dass man es will.
Auch was der Akustikexperte bisher zum Besten gab, bringt mMn nichts Erhellendes oder gar Entlastendes für OP. Es waren doch einige Aussagen dabei, wofür man nicht unbedingt Experte sein musste. Die einleitende Relativierung, wonach sich die Bedingungen in der Tatnacht nicht nachstellen lassen, ließ bereits vermuten, dass danach nicht mehr viel kommen würde. Wahrnehmungen sind also stets subjektiv gefärbt und auch die konkreten Umstände haben einen Einfluss, sogar Bodenverhältnisse, Temperatur und Luftdruck. Zudem hört sich nicht jede Stimme wie die andere an. Je größer die Entfernung, desto leiser nimmt man ein Geräusch wahr. Wer hätte damit rechnen können? Auf jeden Fall können wir davon ausgehen, dass der Sound-Experte die dB(a) mit professionellem Messgerät festgestellt hat.
Soweit ich es mitbekommen habe, hat der Experte aber keinen Bezug zu den Aufnahmen genommen, die es von OP gibt. Das finde ich bemerkenswert, weil es verdeutlicht, dass das Vertrauen darauf, dass diese als Frauenschreie durchgehen, wohl nicht besonders ausgeprägt ist. Dies war vermutlich auch der Grund, warum diese Aufnahmen nicht den direkten Ohrzeugen vorgespielt wurden, damit diese einen Vergleich anstellen können.
Ich denke, mit diesem Experten wird Nel morgen relativ schnell fertig sein.