Dr.Shrimp schrieb:Geister sind nach Auffassung aller hier nichts weiter als körperlos agierende Seelen im Diesseits.
Halt! Nein! Stopp! Einspruch, Euer Ehren! Die Auffassung, dass Geister „nichts weiter als körperlos agierende Seelen im Diesseits“ sind, teile ich hier nicht so ohne weiteres.
Deshalb habe ich hier glaube ich schon mehrmals auf den Unterschied zwischen Geistererscheinung (englisch „
apparition“) und „körperlos agierender Seele“ (englisch „
spirit“) hingewiesen. Und „
spirit“ ist für mich nur eine von
mehreren möglichen Interpretationen von „
apparitions“. Und da der Threadtitel ja lautet „warum
sehen Skeptiker keine Geister“ bezieht er sich doch eher auf das subjektive Erlebnis des „Sehens“, also auf „
apparitions“, und weniger auf eine bestimmte Interpretation des Erlebten.
Tatsache ist doch erstmal – und dich denke,
da sind wir uns nun wirklich alle einig, unabhängig davon, wie glaubwürdig man jede einzelne Erzählung beurteilt – dass immer wieder, zu allen Zeiten, bei allen Völkern und auch hier und heute noch, Menschen berichten, dass sie einen Toten oder – was man auch nicht außer Acht lassen darf – einen nicht körperlich anwesenden Lebenden gesehen oder gehört oder vielleicht auch nur seine „Anwesenheit gespürt“ hätten.
Man muss sich nur mal im eigenen Bekanntenkreis umhören und wird wahrscheinlich früher oder später die eine oder andere mysteriöse Erfahrung erzählt bekommen. Und ich bin mir sogar sicher, dass verschiedene „außergewöhnliche Erfahrungen“ (Geistererscheinungen, Vorahnungen usw.) häufiger sind, als man denkt, weil sich viele (wie schon jemand früher hier bemerkt hat) nicht trauen, davon zu erzählen, sei es, weil sie nicht für „verrückt gehalten“ werden möchten oder weil das Erlebnis einfach zu privat und emotional war.
Eine mögliche Erklärung für solche Erscheinungen sind Halluzinationen und Fehlwahrnehmungen.
Ich denke auch, dass die
meisten „paranormalen“ Erlebnisse auf Fehlwahrnehmungen beruhen, bei denen im Gegensatz zu Halluzinationen ein tatsächlich vorhandener Gegenstand oder Erscheinung –und sei es auch nur ein Schattenspiel – vom (Fehl)Wahrnehmenden für etwas anderes gehalten wird; also das hier gerne ins Feld geführte Beispiel, dass der Schatten im Augenwinkel oder das Gluckern der nicht entlüfteten Heizung als „Geist“ fehlgedeutet wird. Und – nochmal wiederhole ich mich – ein solcher Erklärungsansatz ist umso nützlicher, je konkreter er sich auf einen bestimmten Einzelfall bezieht: Wenn ich in einem konkreten Fall zeigen kann, welche Wahrnehmung hier wie fehl gedeutet worden ist, dann kann der Fall – aber eben auch nur dieser eine spezielle Fall - als „aufgeklärt“ gelten.
Einige weitere Erlebnisse sind sicher Halluzinationen. Hier ist die eindeutige „Aufklärung“ aber schon schwieriger. Zum einen ist der Begriff „Halluzination“ ja keine wirkliche Erklärung (es gibt verschiedene Arten und Weisen, wie Halluzinationen zustande kommen können), sondern nur eine Beschreibung. Dabei ist noch nicht gesagt, wie genau die Halluzination kausal zustande kam. (Wer mehr über Halluzinationen wissen will, dem sei das Buch „Drachen, Doppelgänger und Dämonen: Über Menschen mit Halluzinationen“ von Oliver Sacks empfohlen: Hier wird zwar auch nur sehr kurz und oberflächlich auf verschiedene neurophysiologische Erklärungen für Halluzinationen eingegangen, aber dafür macht Sacks anhand zahlreicher faszinierender Beispiele deutlich, wie viele unterschiedliche Halluzinationen es gibt, von denen nur einige durch Drogen oder Krankheiten wie Parkinson, Epilepsie, Narkolepsie ausgelöst werden, die aber auch bei „völlig“ Gesunden auftreten können.
Ein Problem an der „bequemen“ Erklärung „Halluzination“ ist aber wie gesagt, dass sie keine wirkliche „Erklärung“ ist. Weil die meisten „apparitions“ bei gesunden Menschen ja nur kurz und meistens nur einmal erlebt werden, können wir im Nachhinein gar nicht mehr feststellen, was im Augenblick des Erlebnisses im Gehirn „schief gegangen“ ist, beziehungsweise ob überhaupt etwas „schief gelaufen“ ist, d.h. ob die Wahrnehmung wirklich nur auf nicht normale Vorgänge „im Kopf“ des Wahrnehmenden beruht oder nicht doch auch andere – „geistige“ – Elemente mit im Spiel waren.
Während nun einige Leute glauben, dass
alle appartions sich auf naturalistische Weise (Fehlwahrnehmung, Halluzination, Lüge usw.) erklären lassen, teile ich diesen Glauben nicht. Und – das möchte ich betonen – es ist nichts weiter als ein „Glauben“, weil man eben nicht jedes einzelne Erlebnis untersuchen und konkret und lückenlos zeigen kann, ob und wenn ja welche Fehlwahrnehmung im Spiel war oder ob es „nur“ eine Halluzination war und wie diese entstanden ist.
Es gibt Fälle, die darauf hinweisen, dass sich hinter manchen Erlebnissen mehr verbirgt als „einfache“ Fehlwahrnehmungen oder Halluzinationen: Zum Beispiel schildern häufig zwei, in Einzelfällen sogar bis zu einem Dutzend Menschen unabhängig voneinander dieselbe Erscheinung. Oft wiederholt sich dieselbe Erscheinung zu verschiedenen Zeiten am selben Ort. („
haunting“). Halluzinationen spielen sich ausschließlich in der geistigen Innenwelt ab. Erscheinungen werden dagegen hin und wieder von paranormalen Vorfällen in der Umgebung begleitet. (Ein Sterbender “meldet sich ab" - und im selben Augenblick steht eine Uhr still, zerbricht ein Spiegel, fällt ein Bild von der Wand.). Oft sprechen auch Tiere auf Erscheinungen an - in der Regel reagieren sie mit Furcht und versuchen zu fliehen. Gelegentlich weisen Erscheinungen auf Tatsachen hin, die den Zeugen unbekannt waren: etwa auf die Umstände eines Todes, auf den Aufenthalt, die Handlungen oder die Kleidung einer Person.
Ja, ich weiß: Alles nur „anekdotische Evidenz“. Aber so lange wir keinen Geist im Reagenzglas im Labor untersuchen können, sind wir nun mal auf solche „anekdotischen“ Berichte angewiesen. Jeder einzelne könnte auf Lügen, Halluzinationen, Fehlwahrnehmungen beruhen. Aber jetzt einfach mal so, ohne konkrete Beweise dafür, anzunehmen, dass jeder einzelne rätselhafte Fall sich auf solche Erklärungen reduzieren ließe, das ist eine unbewiesene Unterstellung. Wenn ich dagegen nicht von vorneherein etwas glauben oder unbewiesen unterstellen will (oder aus ideologischen Gründen unterstellen muss), dann bleibt mir eben nichts übrig als skeptisch zu bleiben, ein Urteil zurückzuhalten und zuzugeben: Es bleibt ein Rätselrest, den wir nicht eindeutig erklären können.
Ich könnte wieder lange Listen von Büchern oder Web-Links aufzählen. Aber die wird eh wieder keiner lesen, und so kann ich es auch lassen. Jedenfalls: Die Hinweise in Form zahlreicher Erlebnisberichte - ja, ich weiß: nur Hinweise, keine
Beweise – sind da, und ich für meinen Teil kann sie nicht einfach alle ignorieren oder „wegerklären“. Klar, ich könnte es mir jetzt einfach machen, die Handflächen vor die Augen halten, laut „la la la“ singen und sagen: Das waren „bestimmt“ alles nur Halluzinationen oder Lügengeschichten. Aber sorry, „bestimmt“ ist auf diesem Gebiet eben kaum was.
Um jetzt noch mal auf die „körperlos agierenden Seelen im Diesseits“ zurückzukommen: Die sind nur
eine mögliche Erklärung für solche Rätselfälle. Aber nicht die einzige. Vielleicht verdanken sich „veridische Halluzinationen“ ja auch einer möglichen außersinnlicher Wahrnehmung von Lebenden. Vielleicht sind sie kurze Einblicke in eine andere physikalische oder geistige „Dimension“ der Wirklichkeit. Vielleicht täuscht uns eine böse oder gute Macht das alles nur vor; vielleicht ist unser ganzes Universum – Physik, Geister und alles andere – nur Produkt oder „Matrix“ einer höheren Wirklichkeit – oder nur ein Computerprogramm. Vielleicht ist unsere ganze Vorstellung von Materie und Bewusstsein von Grund auf falsch. Ja, vielleicht, vielleicht, vielleicht … Jedenfalls sind die „körperlos im Diesseits agierenden Seelen“ wirklich nur eines von vielen möglichen „Vielleichts“.
Aber ich finde, alles was über das „Vielleicht“ hinausgeht und behauptet: Bestimmt war es nur X oder Y, finde ich unredlich, indem es sich ein sicheres Wissen anmaßt, wo es nun einmal kein sicheres Wissen gibt.
Und wenn jetzt jemand sagen sollte: „sei nicht so knieweich, jetzt mal Butter bei die Fische, beziehe klar Position!“, so kann ich eben nur sagen: Ich bin ein Skeptiker, also einer der es wagt, sein Urteil zurückzuhalten, und zu sagen:
Ich weiß nicht so recht, für mich gibt’s da noch so manches Rätsel.
Ich bin jedenfalls keiner, der glaubt, alle Weisheit bereits mit Löffeln gefressen zu haben, und jetzt genau weiß, wie es im Jenseits zugeht, oder wahlweise, dass das „alles nur im Kopf“ stattfindet. Beide Positionen – ich nenne sie mal einfach die „spiritistische“ und die „naturalistische“– sind für mich bei gegenwärtigem Wissensstand reine Glaubenssache und ich kann mich nicht eindeutig für eine von beiden entschließen, ohne mich dabei „unwohl“ zu fühlen, weil ich dann einfach viel zu viel ignorieren müsste, was möglicherweise für die jeweils andere Position spricht.
Auch wenn das manchem jetzt vielleicht zu feige oder zu zurückhaltend oder zu „schwurbelig“ erscheint. Aber ich weiß, dass wir nicht alles wissen, und halte daher in der Tat so manches für möglich, selbst das, was manche für total unglaubwürdig, unwissenschaftlich oder irrational halten.