Eylandt - nach Kriegsende bis 2006 im Keller versteckt?
24.10.2008 um 17:58
Die geilste Kritik bisher:
Aus "MANIFEST" - DAS fILMMAGAZIN (von Björn Lahrmann)
Wer so wie ich in den 90ern jung war und wenigstens ein bisschen on the geek side of life stand, kam an AKTE X wohl oder übel nicht vorbei. Bei aller kindlichen Begeisterung hat mich jedoch eines schon damals gestört: Wieso müssen sich geheimnisvolle Dinge immer zu krummen Uhrzeiten abspielen? Immer klopften die Aliens um 3:34 oder 11:57 an die Tür, nie einfach mal um halb vier oder Punkt Zwölf. Den Grund dafür meinte ich schon im Knirpsenalter zu durchschauen: Es sollte irgendwie "realistischer" wirken, "glaubwürdiger", schließlich war der Wahlspruch der Show nicht umsonst I Want to Believe, und Aliens, soviel schien logisch, scheren sich einen Dreck um irdische Pünktlichkeit. Es erklärt sich von selbst, dass eine so naive Beglaubigungstaktik in ihrer schreienden Augenfälligkeit nur nach hinten losgehen kann.
Auch die selbsternannte "Mystery-Doku" DIE EYLANDT RECHERCHE hätte gern, dass man ihr glaubt, und auch sie scheitert an dieser Bemühung. Sie scheitert auch an so ziemlich allem anderen (z.B. einer korrekten Titelschreibung mit Bindestrich), aber dazu später mehr. Zunächst einmal landen auch hier die Aliens, allerdings nicht in Vancouver, sondern in Duisburg-Rheinhausen, und das Ermittlerteam heißt auch nicht Mulder & Scully, sondern Steffen Werner & Karsten Vüllings – der eine ein hartgekochter Matula-Imitator mit glänzender Glatze, der andere eine gediegene Mischung aus Lokalpolitiker und -journalist, der so manch extrafiese Hemd-Westen-Kombi zur Schau trägt und eindeutig zu viel quarzt. Von einem New Yorker Anwalt werden die beiden beauftragt, den Wahrheitsgehalt einiger Briefe zu untersuchen, die ihm seine verschollene deutsche Großcousine Josefine Eylandt hinterlassen hatte; selbige behauptet darin, in ihrem Duisburger Keller über 60 Jahre lang – seit dem zweiten Weltkrieg – drei gestrandete Außerirdische beherbergt zu haben. In Begleitung eines Kamerateams nimmt das dynamische Duo die Ermittlungen auf.
Wer es bislang noch nicht mitbekommen hat: Das Zauberwort heißt mockumentary, und es wäre wohl fahrlässig und herzlos zu behaupten, die Macher von DIE EYLANDT RECHERCHE (v.a. der unter Pseudonym firmierende Autor-Regisseur-Produzent Michael W. Driesch) hätten nicht ihr Möglichstes gegeben, um mit schmalen Mitteln einen würdigen Genrevertreter zu produzieren. Der Film stülpt sich sämtliche dokumentarischen Affirmationstechniken, auf die der geneigte Fernsehzuschauer dank Guido Knopp mittlerweile geeicht ist, über wie ein Würstchen den Schlafrock: Zeitungsschnipsel, Archivmaterial, Interviews mit sogenannten Experten, verstecke Kameras, nachgestellte Szenen, unkenntlich gemachte Gesichter, und aus dem Off dröhnt dazu die sonore Narration von Christian Schult, dessen Stimme man von unzähligen Keksfabrikbegehungen auf Kabel 1 kennt. Mit dem großen Stromausfall von 2006 wird auch noch ein reales Ereignis in die Geschichte eingebaut, und wer sich einmal googelnderweise um den Film bemüht, kann sogar eine kleine virale Netzkampagne entdecken, eine klägliche zwar, aber immerhin. Indes, es nützt alles nichts: Ein Würstchen im Schlafrock ist und bleibt ein Würstchen, und DIE EYLANDT RECHERCHE gerät in etwa so glaubwürdig und authentisch wie K 11 – DIE KOMMISSARE.
Allerorten springt einem die amateurhafte Gemachtheit des Ganzen ins Auge, vom roten Spielzeugtelefon im Büro eines FBI-Agenten (von dem nur der Himmel weiß, wieso er sich für diesen "Fall" interessieren sollte) bis zur offensichtlich aus Pappmaché bestehenden Ziegelmauer, hinter der der Alienbunker versteckt liegt. Darstellerisch ist die Peinlichkeitsskala nach oben offen, es herrscht das reine Bauerntheater. Was beiläufig und natürlich wirken soll, wird statt dessen akzentuiert und ins Groteske übersteigert: Jede krause Stirnfalte ist zu tief, jedes Stocken im Redefluss zu lang, jeder Dialekt zu schnoddrig. Das ist teilweise einfach schlecht geskriptet, meist aber ein Zeugnis kolossaler schauspielerischer Inkompetenz. Vüllings etwa, der sich hier tatsächlich selber spielt und keinerlei vorige Leinwanderfahrung besitzt, will um jeden Preis locker und schwadronig rüberkommen; zu diesem Zweck füttert er mit blinder Gewalt das Phrasenschwein, um es beim krampfhaften Sprüche-Ausdenken dann doch wieder verhungern zu lassen. "Da wierd ei'm ganz schrubbelich inne Bierne", stottert er einmal nach sekundenlangem Überlegen, aber die ruhrpöttische Knarzigkeit wirkt aufgesetzt und falsch.
Den Gnadenschuss versetzt dem Film jedoch sein gänzlich entwicklungsfreies Skript, das bereits in den ersten fünf Minuten den kompletten Plot preis gibt: Zweiter Weltkrieg, Aliens, Keller. Mehr ist nicht. Von hier an verfällt DIE EYLANDT RECHERCHE in eine Dauerschleife immergleichen Nacherzählens der titelgebenden Briefe; dafür werden in periodischen Abständen die Ermittlungen in eine künstliche Sackgasse getrieben, um dann wieder von vorne zu beginnen. Passend dazu raunt Christian Schult alle zehn Minuten: "Aber was geschah wirklich in jener Nacht?" Als wenn wir das nicht längst wüssten! Der Film besitzt keinerlei Ambivalenz gegenüber seinem Stoff, meint aber, sich selbige durch den bis zum Schluss trotzig behaupteten Skeptizismus seines Erzählers (und auch seiner Protagonisten) billig erschleichen zu können. Tatsächlich aber könnte eine Mystery-Doku weniger mysteriös kaum sein.
Für einen Film, der das Wort Recherche im Titel trägt, ist er zudem erbärmlich recherchiert, was besonders bei den gelegentlichen Sachkundigen-Interviews evident wird: Ob Psychologin, Astronom oder Staatsanwalt, sie alle reden in ein und derselben Stimme, ein und demselben Jargon, dessen schlecht gefakete Expertise sich v.a. aus Alltagsplattitüden und gefährlichem Wikipedia-Halbwissen zusammensetzt. Selbstredend sind sie allesamt gröbstmögliche Karikaturen ihrer Fächer: die Psychologin mondän überschminkt und leicht gestresst, der Astronom wild behaart und Franzose, der Staatsanwalt ein großer dicker Heinz-Erhardt-Verschnitt. Kaum zu fassen, dass dieser Film ernsthaft glaubt, auch nur einen einzigen Zuschauer auf den Leim führen zu können! Sogar die gelegentlichen Versuche selbstreflexiver Brechung – z.B. ein Exkurs über das gefälschte Alien-Autopsie-Video von Ray Santilli – wirken plump und aufdringlich in ihrer Guck-mal-was-ich-alles-kann-Attitüde, wie ein Kind, das meint, als erster Mensch auf der Erde freihändig Fahrrad fahren zu können – und sich vor lauter Eifer prompt auf die Fresse legt.
Da also dieser Film als mockumentary auf ganzer Linie versagt und man einen Terminus wie "Mystery-Doku" unmöglich aus der Besenkammer von Pro 7 ins Kino lassen darf – unter welchem Genre soll man dann DIE EYLANDT RECHERCHE letztendlich verbuchen? Mein Vorschlag wäre: schmockumentary. Definition: scheindokumentarisches Möchtegern-Verwirrspiel, das sein eigenes Anliegen mit geballtem Dilettantismus an allen Fronten sabotiert und nicht mal zur Selbstparodie taugt. Und einen Wahlspruch? Gibt es auch: I want to believe, but it's fuckin' impossible.