Die Chinesische Mumie!
15.07.2007 um 19:57
Chinchorro-Mumien in Nord-Chile
Als Ursprungsland der geheimnisvollen Kunst derTotenkonservierung galt immer Ägypten. Das eigentümliche Handwerk des Balsamierens istvom Nil bekannt, so dass Mumienexperten des 19. Jahrhunderts keinen Grund sahen, woandersauf der Welt nach Hinweisen zu suchen.
Es schien, das keine andere frühe Kultur inder Lage - befähigt - war, diese Mumifizierung durchzuführen. Der australische AnatomGrafton Elliott Smith schrieb sogar in seinem Buch «The Migrations of Early Culture»,dass die Alten Ägypter die Erfinder der Balsamierungskunst seien und dieses Handwerk inder ganzen Welt bis nach Südamerika verbreitet haben.
Diese Thesen ließen sichallerdings nicht - wie nicht anders erwartet - beweisen. 1980 wurden in Chilesensationelle archäologische Funde gemacht, die belegen, dass es ein Volk gab, dasszweieinhalb Jahrtausende schon vor den Ägyptern in der Lage war, die Kunst desBalsamierens auszuführen. Am Rande der chilenischen Atakama-Wüste fand man Mumien, die ineinzigartiger Schönheit geschaffen wurden, dass Mumienforscher noch heute fasziniertsind.
Die ältesten einbalsamierten Leichname der Welt wurden Chinchorro-Mumiengenannt. Mit ihren schimmernden schwarzen und roten Gesichtsmasken und Körperhüllenzählen sie zu den aufwändigsten dekorierten Mumien aller Zeit.
Bernardo Arriaza -der physikalische Anthropologie an der Universität in Nevada lehrt und alsWissenschaftler ein ausgezeichneter Kenner der Chinchorro-Mumien ist ... - war wie geradeder glückliche Zufall es will, während des Urlaubs wie jedes Jahr im ArchäologischenMuseum der Universidad de Tarapacá in Arica, wo er über diese Mumien Forschungenbetreibt, als er und ein Team von Arbeitern des örtlichen Wasserversorgungsunternehmenszu einem Fundort an die Hänge des El Morro gerufen wurden. Mit Bulldozern und Schaufelnhatte man bei der Verlegung einer neuen Wasserleitung Mumienn freigelegt. Bereits 1917hatte der deutsche Archäologe Max Uhle in Arica bei Grabungen ähnliche Mumien gefunden.Entlang der chilenischen Nordküste wurden immer wieder einmal einzelne maskierte Mumienentdeckt.
Die Mumien stammen von einem frühen Andenvolk, welches von chilenischenArchäologen Chinchorro genannt wurde. Sie lebten in Dörfern am Meer und ernährten sichvor allem vom Fischfang. Gefischt wurde mit kompliziert geknüpften Netzen und mit derHarpune jagte man Seelöwen. Vom Amazonas konsumierten sie halluzinogene Pflanzen. AlsSchmuck trugen sie Halsketten aus Lapislazuli - ein Edelstein - und exotischeVogelfedern. Der Kopf war mit einem Turban aus Baumwolle eingehüllt. Schilf- oderfellbedeckte Hütten, deren Boden aus Seegras bzw. Lehm bestand, waren ihreUnterkunft.
96 Leichen konnten Arriaza und seine Kollegen auf einer Fläche von 23Quadratmetern bergen. Jede dieser Mumien war künstlich mumifiziert und trug einemodellierte Maske, die, so vermuten die Wissenschaftler, dem Gesicht des Verstorbenennachempfunden war. Die Mumien lagen verstreut - manche jedoch lagen dicht nebeneinander -und alle hatten den Blick auf das Meer gerichtet. Grabbeigaben wurden nur wenigegefunden. Alle Leichen lagen so da, als ob sie gar nicht begraben werdensollten.
Da Marvin Allison - ein Mumienexperte und Pathologe der University ofVirginia - wegen anderer Untersuchungen keine Zeit hatte, beauftragte er Arriaza dieMumien auf Alter und Geschlecht hin zu untersuchen. Er gab Arriaza einen Schnellkurs inAnatomie und Pathalogie bevor dieser mit der Arbeit begann. Um die Leichname nicht nochweiter zu entwürdigen, hielt er jeden Arbeitsschritt genau fest, um den Aufbau jederMumie genauesten rekonstruieren zu können.
Die Dokumentation schien Arriaza einesTages nicht aufwendig genug, weshalb er Allison mitteilte, nicht weiter an den Mumiensektieren zu wollen. Nun mußte Allison selbst die begonnene Arbeit fortsetzen, was ihmverärgerte. Arriaza sah die Eingriffe als zerstörisch an und ließ einige Mumienverschwinden, die er in der Universidad de Tarapaca in Arica unterbrachte.
DieMumien, welche Arriaza, beiseite geschafft hatte, waren alles Kinderleichen kaum altgenug um laufen zu können bis bereits im Mutterleib Gestorbene. Diese Leichen waren mitwinzigen Gesichtsmasken und Körperhüllen aus Lehm so sorgfältig hergerichtet wurden, dassman glauben muß, sie seien für die Ewigkeit geschaffen worden. In unseren Tagen erhaltentot geborene oder als Säugling gestorbene Kinder meist nicht so eine großeTrauerfeier.
Für die Mütter der Chinchorro war der Schmerz nach dem Tod einesKindes nicht von seinem Alter abhängig - eine Mutter war genauso erschüttert, wenn einKind statt zwei Jahre nur einen Tag gelebt hatte. Jedes Menschenwesen scheinen dieChinchorro verehrt zu haben. Meist starben die Kinder an verschiedenen Infektionen, diedurch Bakterien, Parasiten oder Viren ausgelöst wurden. eine Chinchorro-Mutter hatzumindest einmal den schrecklichen Verlust eines ihrer Kinder erlebt. Man vermutet, dassjedes vierte Kind dieses Stammes im Kindesalter starb. Wissenschaftler glauben zu wissen,dass diese Trauer erst diese Mumifizierung erfunden hat. Nur Kinderleichen wurden sosorgfältig präpariert und kunstvoll bestattet. Wissenschaftlich begründet ist, dass derTod eines Kindes für die meisten Eltern traumatisierend ist. Grund dafür ist, das Mutterwie Vater niemals damit rechnen, dass ihr Ein und Alles vor ihnen sterben würde. Mütterhaben meist ein unerträgliches Gefühl der Leere und körperlichen Schmerz. Hormone und dieBiologie steuern Mütter ihre Kinder auch nach deren Tod zu umsorgen.
Tiefe Trauerder Chinchorro-Mutter könnte die Idee geboren haben, ihre Kinder durch dieses Ritual zukonservieren, was von Generation zu Generation weitergegeben wurde. An den Mumien wurdewochenlang gearbeitet. Der Kinderleiche wurde zuerst die Haut mit größter Vorsichtabgezogen und zusammengerollt. Dann entfernte man das Fleisch von den Knochen und banddann mit Stöckchen das Skelett wieder zusammen, polsterte mit Schilfrohr aus und trugeine dicke, aschefarbene Paste auf, in die man die Gesichtszüge und Körperkonturenformte. Über diese Gestalt wurde die Haut gestreift. Der Kopf erhielt eine Art Perücke.Darauf kam die blau-schwarz schimmernde aus Manganblende hergestellte Farbe, die nur aneiner bestimmten Stelle am Arica-Strand gefunden wurde. Um diese halbmetallischenPigmente herzustellen, mußte viele Stunden Sand durchgesiebt werden. Mit Wasser wurde diehergestellte Farbe vermischt und mit Graspinseln aufgetragen.
Das Ritual hatbestimmt den Chinchorro über den Schmerz ihres toten Kindes hinweggeholfen, denn siepraktizierten es mehr als 3000 Jahre. Im Laufe der Jahrhunderte stand dieses heiligeRitual allen Personen der Gemeinschaft zu - unabhängig vom Alter oder Stellung. Mund undAugen der Toten waren geöffnet - für die Chinchorro waren sie nicht tot, sondern nur ihrSeinszustand hatte sich geändert.
1100 v. Chr. sind die Chinchorro verschwunden,allerdings ließen sie die Kinder-Mumien zurück, die dann der Sand zu deckte.