Vor Jahren habe ich meine Mutter verloren. Soweit ich weiß litt sie an Krebs. Damals habe ich die ganzen Mist nicht ernst genommen. Ich habe mir immer eingeredet, das wird schon. "Sowas kann mir ja nicht passieren", habe ich gedacht, als ich nachts diese Medizindokumentationen angesehen habe. War wohl die übliche kindliche Naivität, die jeder mal hatte. Als meine Mama dann mal vom Arzt wiederkam, in Tränen aufgelöst, dachte ich mir nur, sie würde übertreiben. Der Krebs ist wieder da. Für den Gedanken hätte ich mir gerne die Kugel gegeben.
In den Unterlagen meiner Eltern habe ich rausgefunden dass sie seitdem ich fünf gewesen bin immer wieder von Krebs angegriffen wurde.
Angefangen von Brustkrebs, über Lungenkrebs bis zum Tumor. Die Idioten von Ärzten haben den Tumor nicht mal selbst festgestellt und haben uns erzählt, ihre Augen würden den Geist aufgeben. Wir haben hunderte von Euros für Operationen ausgegeben die zu nichts gebracht haben. Erst nachdem es viel zu spät gewesen ist haben sie den Tumor entdeckt. Monate später, nachdem meine Schwester Geburtstag hatte bekam sie einen Schlaganfall. Zum Glück bin ich an dem Tag nicht zur Schule gegangen, sonst wäre sie schon an dem Tag gestorben.
Sie war schon den ganzen Tag neben sich und brauchte selbst beim Kochen Hilfe. Und das obwohl sie wirklich ein Ass darin war. Plötzlich wurde sie ohnmächtig. Ich kleiner Hosenscheisser wusste natürlich nicht was zu tun war und rief meinen Bruder an, der mit meinem Vater unterwegs war. Sie kamen schneller als erwartet, hoben meine Mama zur Couch und riefen den Krankenwagen. Obwohl das alles Vormittags erschien habe ich nur eine dunkle Nacht in Erinnerung, als sie zum Krankenhaus gefahren wurde. Tage vergingen und sie durfte wieder nach Hause.
Ihre Kinder und ihren Ehemann hat sie in Erinnerung. Ihre Mutter die zu Besuch war und der Rest ihres Lebens war ausgelöscht. An unsere Namen konnte sie auch nur mit Mühe wieder erinnern. Das kam mir damals alles so komisch vor. Als wäre sie wieder ein kleines Kind gewesen wäre und müsste alles wieder von vorne lernen. Sie sprach kein Wort deutsch mehr, und doch schaute sie ihre Nachmittagsserien an, als würde sie alles verstehen. Viele Menschen kamen vorbei, und sie weinte jedes mal aufs neue. Sie konnte sich an niemanden erinnern. Niemanden, bis auf ihren Bruder und seine Familie. Wochen später kam auch mein anderer Onkel aus Canada. Und auch ihn hat sie wiedererkannt. Wenigstens hier hätte es mir auffallen müssen, dass etwas nicht stimmt.
Er ist erst vor wenigen Monaten zu Besuch gewesen und besucht uns nun wieder. Die Tage vergingen. Ich ließ die Schule hängen und verbrachte meine Zeit mit meiner Mutter. Die Lehrer haben nie was gesagt. Ich denke sie wussten was bei mir Zuhause los ist. Und im Dezember der Schock: Sie musste wegen angeblichen Besuchen wieder ins Krankenhaus. Ich war sie zwei mal besuchen, weil ich den Anblick nicht ertragen konnte. Sie lag auf dem Bett und schlief. Jedes mal wenn ich da war. Und anscheinend schlief sie nur. Womöglich war sie schon im Koma und das wurde mir vorenthalten.
Am nächsten Tag kam der Schock. Es war der sechste Dezember. Ich habe nicht mal daran gedacht, dass Nikolaustag ist, konnte aber hören wie mein Vater uns Geschenke gekauft haben soll. Sicher nur zum Trost. Meine Schwester hat mich kurz nach Mitternacht geweckt und ich ging die Treppen herunter zum Wohnzimmer. Der Weg fühlte sich so schwer an. Die Luft war wie Beton. Ich spürte förmlich, was auf mich zukommt. Es war still. Im ganzen Treppenhaus. Die Wohnzimmertür ging auf: Meine ganze Familie weint vor ersetzen. Freunde von meinem Vater waren da und schauten mich nur betrübt an. "Was ist los?", fragte ich, obwohl ich mir die Antwort schon gedacht habe.
"Mama ist gestorben.", hat mein Bruder weinend versucht zu sagen. Seine Stimme senkte sich schon beim ersten Wort. Ich setzte mich auf die Couch und blieb einfach sitzen. Ich habe nicht geweint. Ich blieb sitzen und hab die Augen geschlossen.
Alles danach verging so schnell wie es geschah. Die Familien meiner Onkel kamen angereist. Weinen, Umarmen, Weinen. Jeder.
Bekannte aus ganz Deutschland kamen.
Weinen, Umarmen, Weinen. Jeder.
Eine Woche später am Samstag haben wir sie beerdigt. Nur Geheule und Trauer. Als wir das Grab zur Grabstelle gebracht haben, habe ich meinen Vater zum ersten mal Weinen gesehen. Selbst Heute hab ich es kein zweites mal gesehen.
Dies alles geschah innerhalb 3 Monaten.
Und was lernt man daraus? Das Leben ist unberechenbar.