Postmortem Fotografie
12.04.2011 um 14:35Interview mit Postmortem-Fotograf von heute
Dr. Martin Kreuels (41) arbeitet als freiberuflicher Biologe und Verstorbenen-, Kranken- und Behindertenfotograf in Münster. In unserem Interview gibt er Einblicke in sein spannendes Tätigkeitsfeld.
Herr Dr. Kreuels, selbständiger Biologe und Fotograf – das ist eine interessante Kombination. Wurde da aus einem Hobby ein zweiter Beruf oder waren Sie schon früh als professioneller Fotograf tätig?
Ich habe bereits als Jugendlicher mit dem Fotografieren angefangen. Damals waren es vor allem Tiere und Pflanzen, die mich faszinierten. Meine Leidenschaften für Fotografie und Biologie haben sich sozusagen parallel entwickelt. Ich habe nicht nur gelernt, die Natur wissenschaftlich zu betrachten, sondern gleichzeitig, sie als schön darzustellen.
Hilft Ihnen Ihr biologisches Wissen bei der Arbeit?
Zum Teil ja. Ich habe beispielsweise gelernt, Verwesungsvorgänge einzuschätzen. So muss ein Verstorbener nach einer Chemotherapie oder einer Leberzirrhose sehr schnell fotografiert werden, da sich rasch farbliche Veränderungen der Haut einstellen und auch der Verwesungsprozess schneller einsetzt. Gleichzeitig bin ich als Biologe oft mit Tierleichen konfrontiert. Daher habe ich deutlich weniger Hemmungen im Umgang mit Verstorbenen.
Warum entschieden Sie sich, Verstorbenenfotograf zu werden?
Porträtfotografie gehörte früher nicht zu meinen Steckenpferden. Ausschlaggebend für die Neuorientierung waren persönliche Erfahrungen. Als meine Frau an Krebs verstarb, nahm mein damals sechsjähriger Sohn einfach die Kamera zur Hand und fotografierte seine tote Mutter. Das war seine Art der Trauerbewältigung. Auch heute haben meine vier Kinder (3, 7, 9 und 12 Jahre alt) stets Zugriff auf alle Bilder ihrer Mutter. Dazu zählen natürlich auch die Postmortem-Aufnahmen.
Wie groß ist denn die Nachfrage nach dieser Art von Fotos?
Ich bekomme in der Woche etwa zwei bis drei Anfragen. Natürlich kostet es die Hinterbliebenen ein Stück Überwindung, sich für ein allerletztes Bild zu entscheiden. Es gilt in weiten Kreisen immer noch als Tabu, das aber mehr und mehr bricht. Die Erfahrung zeigt aber, dass Hinterbliebene, die eine Postmortem-Aufnahme ablehnten, sich nach einiger Zeit darüber ärgerten. Schließlich lässt sich so etwas nicht nachholen.
Würden Sie sagen, dass es eine bestimmte Art von Menschen ist, die Sie beauftragen?
Meist suchen Menschen Kontakt zu mir, die über ein gewisses geschichtliches Hintergrundwissen verfügen, häufig handelt es sich dabei um ältere Personen. Schließlich hat die Postmortem-Fotografie eine lange Tradition. Früher wurden Totenmasken von Verstorbenen angefertigt und wie selbstverständlich auf Familienfotos abgebildet. Es war auch gang und gäbe, Fotografien von Toten mit sich zu tragen. Diese Tradition ging erst durch den Krieg verloren, da die Menschen der Beschäftigung mit dem Thema Tod überdrüssig wurden.
Wie muss man sich die erste Kontaktaufnahme mit Ihnen vorstellen?
Der Kontakt läuft über den Bestatter. Natürlich bietet er meine Dienstleistung nur an, wenn er der Meinung ist, dass die Hinterbliebenen nicht abgeneigt sind. Im Falle eines Auftrags erhalte ich ein Zeitfenster von ein bis zwei Stunden. Der Bestatter richtet den Leichnam zuvor her und ist auch während des gesamten Fototermins anwesend. Die Hinterbliebenen bekomme ich in der Regel nicht zu sehen. Sofern sie eine Ergänzung durch persönliche Texte wünschen, so führt ein von mir beauftragter Texter die Gespräche.
© Dr. Martin Kreuels
Wann würden Sie Hinterbliebenen von einer Fotoaufnahme abraten?
Nicht zu empfehlen ist ein Porträtfoto bei völlig entstelltem Gesichtsausdruck, wie es nach einem Unfall der Fall sein kann. Es ist jedoch möglich, andere Teile des Körpers zu zeigen, beispielsweise gefaltete Hände.
Ähnlich wie von einem Bestatter verlangt Ihr Beruf von Ihnen ein großes Maß an Professionalität und Distanz. Gelingt Ihnen das in jeder Situation?
Da ich keinen Kontakt zu den Hinterbliebenen habe und die individuellen Schicksale nicht kenne, kann ich meine eigene Vergangenheit gut ausblenden und mich ganz auf meine Arbeit konzentrieren. Ohne die nötige Distanz würden die Fotografien sonst auch qualitativ leiden.
Postmortem-Fotografie ist ein erklärungsbedürftiges Themenfeld. Wie werben Sie für Ihre Dienstleistung?
Ich habe Infoblätter an Bestatter aus ganz Nordrhein-Westfalen verteilt. Dabei hat sich – interessanterweise konträr zu den Beobachtungen bezüglich meiner Auftraggeber – gezeigt, dass die jüngere Generation deutlich aufgeschlossener ist als die ältere. Hospize und Krankenhäuser hingegen sind generell sehr vorsichtig. Derzeit bin ich auf der Suche nach einem kooperativen stationären Hospiz, in dem ich Menschen auf ihrem letzten Weg fotografisch begleiten kann. Um der Aufgabe gerecht zu werden, habe ich bei der Hospizbewegung eigens eine Ausbildung zum Sterbebegleiter absolviert. Als Vorbild dient mir ein Buch von Beate Lakotta und Walter Schels: „Noch mal leben vor dem Tod: Wenn Menschen sterben“. Die beiden Autoren begleiteten hierfür Sterbende in einem Hospiz in Hamburg. Die Bilder der lebenden und toten Personen untermalten sie mit Geschichten, die sie aus zahlreichen Gesprächen zusammengetragen hatten.
Sind Sie der einzige Postmortem-Fotograf oder kennen Sie Kollegen, die sich mit demselben Handwerk befassen?
Ich kenne durchaus einige Studiofotografen, die die Verstorbenen-Fotografie als Zusatzangebot platzieren. Allerdings habe ich mich da schon mehr spezialisiert und biete beispielsweise auch Beerdigungsfotografie an. Die Dokumentation der Zeremonie und ein speziell erstelltes Erinnerungsbuch sollen den Hinterbliebenen helfen, die Eindrücke zu verarbeiten. Während der Beerdigung sind sie dazu meist noch gar nicht in der Lage.
In welcher Umgebung fotografieren Sie die Verstorbenen? Werden auch spezielle Anfragen wie beispielsweise Familienfotos angefragt?
Auch wenn traditionell Totenmasken in Familienfotos integriert wurden, wird so etwas heute gar nicht mehr angefragt. Allerdings können die Hinterbliebenen Wünsche äußern, zum Beispiel dass der Verstorbene nur von der rechten Seite fotografiert werden soll. Meist sind die Verstorbenen während der Fotoaufnahmen bereits im Sarg aufgebahrt. Ich achte aber darauf, dass dieser auf dem Foto nicht zu sehen ist. Die gewählten Bildausschnitte unterscheiden sich stark. Manchmal bietet sich die Integration des Hintergrunds an. So werden die Räume, in denen Verstorbene aufgebahrt werden, häufig kunstvoll hergerichtet und laden förmlich dazu ein, kleine Geschichten zu erzählen. Einmal fotografierte ich beispielsweise das Gesicht eines Verstorbenen gemeinsam mit einem Ölgemälde von zwei Geistern in einer Tür. Es wirkte später so, als wolle der Fotografierte im nächsten Moment durch eben dieses Portal schreiten.
Wie unterscheidet sich die Post-Mortem-Fotografie von der Porträtfotografie?
Das Gesicht eines Menschen nimmt im Tod einen sehr friedlichen und entspannten Gesichtsausdruck an. Zusätzlich arbeite ich mit langen Belichtungszeiten, da so ein Gesicht sehr schön modelliert werden kann. Bei der Porträtfotografie arbeitet man dagegen viel mit Blitzen. Dadurch wirken viele Aufnahmen leider recht flach, da man keine Tiefe mehr hineinbekommt. Die ersten Fotostudios haben damals übrigens neben Architektur vor allem Leichen fotografiert. Da die Belichtungszeiten zu lang waren, hat man sie einfach platziert wie Lebende.
© Dr. Martin Kreuels
Sie haben gemeinsam mit einer Co-Autorin ein Buch veröffentlicht. Worum geht es darin und an wen richtet es sich?
Das Buch „In meiner Trauer“ enthält sehr persönliche Texte, die ich nach dem Tod meiner Frau geschrieben habe. Auch meine Co-Autorin Katharina Roder nutzte das Schreiben, um die in ihrem Alltag als Krankenschwester erlebten Sterbefälle zu verarbeiten. Wir richten unser Buch daher vor allem an Angehörige, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Die Texte werden von Bildern meiner ersten Ausstellung umrahmt, da diese die erste und einzige war, die meine Frau noch miterleben durfte. Es handelt sich um recht abstrakte Fotos, Makro-Aufnahmen von Pflanzen. Wie das gesamte Buch sind sie in schwarz und weiß gehalten.
Finden häufig Ausstellungen Ihrer Bilder statt?
Ich stelle regelmäßig aus. In den nächsten Monaten stehen neben einigen Gruppenausstellungen insgesamt auch drei Einzelausstellungen zu unterschiedlichen Themen auf dem Programm. In einer Gruppenausstellung zum Thema „Vergänglichkeit“ werde ich auch Fotos meiner Frau einfließen lassen. Im Frühjahr findet eine Ausstellung zum Thema „Frau“ statt, für die ich einige Arbeiten explizit angefertigt habe, darunter auch provozierende Aufnahmen einer schwangeren Frau auf dem Friedhof.
Sie halten auf Wunsch auch Vorträge zum Thema Totenfotografie. Wer bucht Sie und wie ist hier die Resonanz der Zuhörer?
Die Vorträge werden über Volkshochschulen oder die Bestatter selber angeboten, aber auch an Seminarorten, die sich mit kirchlichen Themen befassen. Die Kirche verhält sich generell eher skeptisch, aber auch hier gibt es aufgeschlossene Gemeinden. Meist erscheinen die Teilnehmer zumindest mit gemischten Gefühlen. Durch Verweise auf kulturgeschichtliche Hintergründe und meine ästhetische Herangehensweise an die Fotoaufnahmen wird die Tätigkeit jedoch für viele legitim.
Zumindest bringe ich die Leute zum Grübeln. Aus diesem Grund habe ich auch einen Aufkleber mit der Bezeichnung „Postmortem-Fotograf“ auf meinem Auto angebracht.
Dr. Martin Kreuels (41) arbeitet als freiberuflicher Biologe und Verstorbenen-, Kranken- und Behindertenfotograf in Münster. In unserem Interview gibt er Einblicke in sein spannendes Tätigkeitsfeld.
Herr Dr. Kreuels, selbständiger Biologe und Fotograf – das ist eine interessante Kombination. Wurde da aus einem Hobby ein zweiter Beruf oder waren Sie schon früh als professioneller Fotograf tätig?
Ich habe bereits als Jugendlicher mit dem Fotografieren angefangen. Damals waren es vor allem Tiere und Pflanzen, die mich faszinierten. Meine Leidenschaften für Fotografie und Biologie haben sich sozusagen parallel entwickelt. Ich habe nicht nur gelernt, die Natur wissenschaftlich zu betrachten, sondern gleichzeitig, sie als schön darzustellen.
Hilft Ihnen Ihr biologisches Wissen bei der Arbeit?
Zum Teil ja. Ich habe beispielsweise gelernt, Verwesungsvorgänge einzuschätzen. So muss ein Verstorbener nach einer Chemotherapie oder einer Leberzirrhose sehr schnell fotografiert werden, da sich rasch farbliche Veränderungen der Haut einstellen und auch der Verwesungsprozess schneller einsetzt. Gleichzeitig bin ich als Biologe oft mit Tierleichen konfrontiert. Daher habe ich deutlich weniger Hemmungen im Umgang mit Verstorbenen.
Warum entschieden Sie sich, Verstorbenenfotograf zu werden?
Porträtfotografie gehörte früher nicht zu meinen Steckenpferden. Ausschlaggebend für die Neuorientierung waren persönliche Erfahrungen. Als meine Frau an Krebs verstarb, nahm mein damals sechsjähriger Sohn einfach die Kamera zur Hand und fotografierte seine tote Mutter. Das war seine Art der Trauerbewältigung. Auch heute haben meine vier Kinder (3, 7, 9 und 12 Jahre alt) stets Zugriff auf alle Bilder ihrer Mutter. Dazu zählen natürlich auch die Postmortem-Aufnahmen.
Wie groß ist denn die Nachfrage nach dieser Art von Fotos?
Ich bekomme in der Woche etwa zwei bis drei Anfragen. Natürlich kostet es die Hinterbliebenen ein Stück Überwindung, sich für ein allerletztes Bild zu entscheiden. Es gilt in weiten Kreisen immer noch als Tabu, das aber mehr und mehr bricht. Die Erfahrung zeigt aber, dass Hinterbliebene, die eine Postmortem-Aufnahme ablehnten, sich nach einiger Zeit darüber ärgerten. Schließlich lässt sich so etwas nicht nachholen.
Würden Sie sagen, dass es eine bestimmte Art von Menschen ist, die Sie beauftragen?
Meist suchen Menschen Kontakt zu mir, die über ein gewisses geschichtliches Hintergrundwissen verfügen, häufig handelt es sich dabei um ältere Personen. Schließlich hat die Postmortem-Fotografie eine lange Tradition. Früher wurden Totenmasken von Verstorbenen angefertigt und wie selbstverständlich auf Familienfotos abgebildet. Es war auch gang und gäbe, Fotografien von Toten mit sich zu tragen. Diese Tradition ging erst durch den Krieg verloren, da die Menschen der Beschäftigung mit dem Thema Tod überdrüssig wurden.
Wie muss man sich die erste Kontaktaufnahme mit Ihnen vorstellen?
Der Kontakt läuft über den Bestatter. Natürlich bietet er meine Dienstleistung nur an, wenn er der Meinung ist, dass die Hinterbliebenen nicht abgeneigt sind. Im Falle eines Auftrags erhalte ich ein Zeitfenster von ein bis zwei Stunden. Der Bestatter richtet den Leichnam zuvor her und ist auch während des gesamten Fototermins anwesend. Die Hinterbliebenen bekomme ich in der Regel nicht zu sehen. Sofern sie eine Ergänzung durch persönliche Texte wünschen, so führt ein von mir beauftragter Texter die Gespräche.
© Dr. Martin Kreuels
Wann würden Sie Hinterbliebenen von einer Fotoaufnahme abraten?
Nicht zu empfehlen ist ein Porträtfoto bei völlig entstelltem Gesichtsausdruck, wie es nach einem Unfall der Fall sein kann. Es ist jedoch möglich, andere Teile des Körpers zu zeigen, beispielsweise gefaltete Hände.
Ähnlich wie von einem Bestatter verlangt Ihr Beruf von Ihnen ein großes Maß an Professionalität und Distanz. Gelingt Ihnen das in jeder Situation?
Da ich keinen Kontakt zu den Hinterbliebenen habe und die individuellen Schicksale nicht kenne, kann ich meine eigene Vergangenheit gut ausblenden und mich ganz auf meine Arbeit konzentrieren. Ohne die nötige Distanz würden die Fotografien sonst auch qualitativ leiden.
Postmortem-Fotografie ist ein erklärungsbedürftiges Themenfeld. Wie werben Sie für Ihre Dienstleistung?
Ich habe Infoblätter an Bestatter aus ganz Nordrhein-Westfalen verteilt. Dabei hat sich – interessanterweise konträr zu den Beobachtungen bezüglich meiner Auftraggeber – gezeigt, dass die jüngere Generation deutlich aufgeschlossener ist als die ältere. Hospize und Krankenhäuser hingegen sind generell sehr vorsichtig. Derzeit bin ich auf der Suche nach einem kooperativen stationären Hospiz, in dem ich Menschen auf ihrem letzten Weg fotografisch begleiten kann. Um der Aufgabe gerecht zu werden, habe ich bei der Hospizbewegung eigens eine Ausbildung zum Sterbebegleiter absolviert. Als Vorbild dient mir ein Buch von Beate Lakotta und Walter Schels: „Noch mal leben vor dem Tod: Wenn Menschen sterben“. Die beiden Autoren begleiteten hierfür Sterbende in einem Hospiz in Hamburg. Die Bilder der lebenden und toten Personen untermalten sie mit Geschichten, die sie aus zahlreichen Gesprächen zusammengetragen hatten.
Sind Sie der einzige Postmortem-Fotograf oder kennen Sie Kollegen, die sich mit demselben Handwerk befassen?
Ich kenne durchaus einige Studiofotografen, die die Verstorbenen-Fotografie als Zusatzangebot platzieren. Allerdings habe ich mich da schon mehr spezialisiert und biete beispielsweise auch Beerdigungsfotografie an. Die Dokumentation der Zeremonie und ein speziell erstelltes Erinnerungsbuch sollen den Hinterbliebenen helfen, die Eindrücke zu verarbeiten. Während der Beerdigung sind sie dazu meist noch gar nicht in der Lage.
In welcher Umgebung fotografieren Sie die Verstorbenen? Werden auch spezielle Anfragen wie beispielsweise Familienfotos angefragt?
Auch wenn traditionell Totenmasken in Familienfotos integriert wurden, wird so etwas heute gar nicht mehr angefragt. Allerdings können die Hinterbliebenen Wünsche äußern, zum Beispiel dass der Verstorbene nur von der rechten Seite fotografiert werden soll. Meist sind die Verstorbenen während der Fotoaufnahmen bereits im Sarg aufgebahrt. Ich achte aber darauf, dass dieser auf dem Foto nicht zu sehen ist. Die gewählten Bildausschnitte unterscheiden sich stark. Manchmal bietet sich die Integration des Hintergrunds an. So werden die Räume, in denen Verstorbene aufgebahrt werden, häufig kunstvoll hergerichtet und laden förmlich dazu ein, kleine Geschichten zu erzählen. Einmal fotografierte ich beispielsweise das Gesicht eines Verstorbenen gemeinsam mit einem Ölgemälde von zwei Geistern in einer Tür. Es wirkte später so, als wolle der Fotografierte im nächsten Moment durch eben dieses Portal schreiten.
Wie unterscheidet sich die Post-Mortem-Fotografie von der Porträtfotografie?
Das Gesicht eines Menschen nimmt im Tod einen sehr friedlichen und entspannten Gesichtsausdruck an. Zusätzlich arbeite ich mit langen Belichtungszeiten, da so ein Gesicht sehr schön modelliert werden kann. Bei der Porträtfotografie arbeitet man dagegen viel mit Blitzen. Dadurch wirken viele Aufnahmen leider recht flach, da man keine Tiefe mehr hineinbekommt. Die ersten Fotostudios haben damals übrigens neben Architektur vor allem Leichen fotografiert. Da die Belichtungszeiten zu lang waren, hat man sie einfach platziert wie Lebende.
© Dr. Martin Kreuels
Sie haben gemeinsam mit einer Co-Autorin ein Buch veröffentlicht. Worum geht es darin und an wen richtet es sich?
Das Buch „In meiner Trauer“ enthält sehr persönliche Texte, die ich nach dem Tod meiner Frau geschrieben habe. Auch meine Co-Autorin Katharina Roder nutzte das Schreiben, um die in ihrem Alltag als Krankenschwester erlebten Sterbefälle zu verarbeiten. Wir richten unser Buch daher vor allem an Angehörige, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Die Texte werden von Bildern meiner ersten Ausstellung umrahmt, da diese die erste und einzige war, die meine Frau noch miterleben durfte. Es handelt sich um recht abstrakte Fotos, Makro-Aufnahmen von Pflanzen. Wie das gesamte Buch sind sie in schwarz und weiß gehalten.
Finden häufig Ausstellungen Ihrer Bilder statt?
Ich stelle regelmäßig aus. In den nächsten Monaten stehen neben einigen Gruppenausstellungen insgesamt auch drei Einzelausstellungen zu unterschiedlichen Themen auf dem Programm. In einer Gruppenausstellung zum Thema „Vergänglichkeit“ werde ich auch Fotos meiner Frau einfließen lassen. Im Frühjahr findet eine Ausstellung zum Thema „Frau“ statt, für die ich einige Arbeiten explizit angefertigt habe, darunter auch provozierende Aufnahmen einer schwangeren Frau auf dem Friedhof.
Sie halten auf Wunsch auch Vorträge zum Thema Totenfotografie. Wer bucht Sie und wie ist hier die Resonanz der Zuhörer?
Die Vorträge werden über Volkshochschulen oder die Bestatter selber angeboten, aber auch an Seminarorten, die sich mit kirchlichen Themen befassen. Die Kirche verhält sich generell eher skeptisch, aber auch hier gibt es aufgeschlossene Gemeinden. Meist erscheinen die Teilnehmer zumindest mit gemischten Gefühlen. Durch Verweise auf kulturgeschichtliche Hintergründe und meine ästhetische Herangehensweise an die Fotoaufnahmen wird die Tätigkeit jedoch für viele legitim.
Zumindest bringe ich die Leute zum Grübeln. Aus diesem Grund habe ich auch einen Aufkleber mit der Bezeichnung „Postmortem-Fotograf“ auf meinem Auto angebracht.