Kriegserlebnisse von Verwandten im 2ten Weltkrieg
09.06.2010 um 06:55
das könnte ein interessanter Thread werden, wenn er nicht absackt in gegenseitiges Nazi-Antinazi Befetzen von Leuten, die die Zeit sowieso nicht erlebt haben.
Wenn ichs richtig blicke, soll ja hier wertfrei berichtet werden von Erzählungen der Vorfahren, die die Zeit mitgemacht haben.
Mein Vater war Wehrmachtsoffizier und hat besonders in meiner Kindheit in den 50-er Jahren noch viel vom Krieg erzählt.
Für uns Kinder waren das an sich spannende Geschichten, teilweise sogar lustig. Das ging von sadistischen Feldwebeln bis zu verkalkten Generalen, und mein Vater konnte gut erzählen, und man hörte schon zu, wenn er von Waffentechnik oder Kriegsschauplätzen erzählte. Da war er schon kompetent.
Er wurde im Krieg auch mehrmals verwundet (an einer Verwundung trug er dann noch sein ganzes Leben lang), aber Verbitterung hat er nie geäußert. Auch nie ein Wort gegen Hitler und die anderen Verantwortlichen, so nach dem Motto "Die haben mir meine Jugend verhundst" oder so.
Er war kein Nazi, und ich habe Vater oft gefragt, ob ihn denn die Eroberung des Ostens oder die Unterwerfung und Ausrottung fremder Völker persönlich interessiert habe.
Da hat er immer klar gesagt - so ein blöder Schmarren, natürlich hat uns Landser das nicht interessiert! Wir hatten genug damit zu tun, unsern Allerwertesten einigermaßen heil über die Runden zu bringen und haben jeden Tag gehofft, daß der Krieg bald aus ist.
Auf Lebensraum im Osten oder ein judenfreies Europa hat er überhaupt keine Ambitionen gehabt. Diese Theorien hat er schon damals live als Schwachsinn klar erkannt.
Vater nahm es aber einfach als gegeben hin, daß er blöderweise zu diesen Jahrgängen gehörte, die halt in den Krieg geschickt wurden, und oft hat er zu mir gesagt "sei froh, daß dir das aller Wahrscheinlichkeit nach erspart bleibt."
Was mich betraf, ich war da etwas anders gepolt. Haschischkonsument der ersten Stunde, langhaarig, unsportlich, härte das, was er "schräge Musik" nannte (das ist allerdings ein alter Nazi-Ausdruck, aber so nannte man das eben damals), ich war schwer erziehbar und stinkfaul. Und zu meiner Zeit gab es noch keinen Zivildienst. Ein Wehrdienstverweigerungsverfahren war zwar rechtlich möglich, aber langwierig - und Aussicht auf Erfolg reichlich fraglich. Mit der Tauglichkeit tricksen war noch das einfachste.
Aber Vater hat das überhaupt nicht gutgeheißen. Da kam wieder der alte Soldat durch. Vater hat klar gesagt: "Ein Mann muß beim Militär gewesen sein! Das schadet überhaupt nichts! Ende der Debatte."
Ich hab Vater dann noch gefragt, warum er denn solchen Wert darauf legte. Er habe doch selber genug Mist erlebt durch das Militär. Er sollte doch eigentlich nach all dem der oberste Pazifist überhaupt sein.
Da sagte Vater ganz klar, das kann man nicht vergleichen, das waren andere Zeiten unter einem andere Regime.
So war ich dann natürlich auch beim Bund, allein schon um des lieben häuslichen Friedens willen.
Ich hab Vater dann noch gefragt, ob er sich sicherer fühle, wenn auch unsere Generation schön brav zum Bund geht, und daß das Land dann besser gewappnet ist, wenn die Russen kommen? (das war zu meiner Zeit das große Schreckgespenst).
Da hat Vater gelacht und gesagt, "Junge, wenn ich mir DICH angucke, und daß Du halber Hahn uns gegen die Russen verteidigen sollst, da greife ich lieber noch selber zum Gewehr!"
Mittlerweile ist das alles über 40 Jahre her, und habe öfters darüber nachgedacht.
Was Vater wollte, war ganz einfach und wertfrei das erhalten, was man so schön "militärische Tugenden" nennt.
Also Gehorsam, Disziplin, Ordnung, die Fähigkeit, auch Unangenehmes zu erdulden und das ganze halt.
Er hat selbst nach diesen Prinzipien gelebt. Immer alles perfekt in Ordnung, vom Kleiderschrank Kante auf Kante bis zum Auto natürlich picobello, tadelloses Erscheinungsbild, als Chef arbeitete er sehr erfolgreich ohne lange Kaffekränzchen und Teamwork-Blabla mit ganz klaren Befehlen, ... er war eine Person, bei der man die Autorität ganz einfach spürte und ihr auch abkaufte.
Wenn man ihn manchmal fragte, wenn ihm wieder was Schwieriges gelang: "wo hast du das her ... oder wo hast du das gelernt, wie man sowas so elegant regelt?", so sagte er oft: "beim Militär."
Man spürte bei all seinen Äußerungen aber immer, daß sie völlig wertfrei waren. Mein Vater war überhaupt nicht politisch, der ging nicht mal zur Wahl. Interessierte den gar nicht. Er sagte sogar einmal: "Wer den Hitler erlebt hat, ist froh und dankbar um jedes andere System. Dem ist das völlig wurscht, ob die Roten oder Schwarzen oder Grünen oder Gelben regieren."
So sah diese Generation die Sache also noch eigentlich beneidenswert einfach und klar. Eine Debatte über CDU-gut oder SPD-schlecht hätte den alten Herrn zu Tode gelangweilt.
Wenn er mit anderen Gleichaltrigen zusammentraf, also auch Männer, die im Krieg waren, so verliefen diese Gespräche auch auffallend wertfrei. Kein Prahlen mit Heldentaten oder so. Hab ich nie erlebt.
Im Urlaub am Strand oder im Hotel konnte man das oft live miterleben.
Erst fragte man sich immer gegenseitig: "Welche Waffengattung, welche Einheit, welcher Dienstrang?"
Aha, da und dort, oh ja, General Sowieso, jaaa, wir waren ja da und dort zu der Zeit, also nicht weit weg von euch ... saukalt wars da, .. und der Nachschub kam nicht ... jaaa, genau, ... usw usw.
Und dann erzählten sie sich rein von ihren Erlebnissen. Es gab da niemals Streit oder Grundsatzdebatten. Reiner Erlebnisaustausch.
Einmal weiß ich noch gut, in einem Strandhotel irgendwo, da war ein Typ, so 15 Jahre älter als mein Vater. (Mein Vater war damals so gut 40 und der Typ sag mal mitte 50).
Rein rechnerisch mußte der Typ also im Krieg schon was Höheres gewesen sein.
Naja, natürlich kamen die beiden rasch aufs Thema, und es stellte sich heraus, daß der Typ nicht an der Front gewesen war, sondern irgendwo in der Heimat ein höherer Nazi.
Der fing auch recht bald an, den Hitler zu loben und dieser Zeit nachzutrauern.
Vater hat abrupt das Gespräch beendet und den ganzen Urlaub mit dem Typen keinen Blick mehr gewechselt.
Zu uns hat er dann gesagt, "mit so einem blöden Nazi will ich nix zu tun haben. Der hat überhaupt nicht mitgekriegt, wies wirklich war und keine Ahnung, was er daherlabert!" :-(
Da hatte ich eigentlich endgültig begriffen, daß nicht jeder, der den Krieg aktiv mitgemacht hat und auch später noch soldatische Tugenden hochhielt, automatisch ein Nazi oder dummer Militarist ist.
Es ist meinem Vater sogar blendend gelungen, aus dieser schlimmen Zeit das wenige Gute herauszufiltern und mit auf den Weg ins weitere Leben zu nehmen. Da sage ich viele Jahrzehnte später: Hut ab.
Damals hab ich es nicht recht begriffen, vor allem, wenn er wieder mal in seinen berühmten Kasernenton verfiel. Da konnte er einem schon mächtig auf die Nerven gehen.
Das wollte ich so mal generell sagen, wie ich das erinnere.
Konkrete Erlebnisse wüßte ich noch viele, von denen er berichtet hat, aber ich weiß nicht, ob das interessant ist. Meist bestand das aus irgendwo hin marschieren, in Stellung zu gehen, zu schießen, zu erobern, und irgendwann war der Krieg dann ja auch wieder aus.