Ein interessantes und eigentlich wichtiges Thema,
@flashlite ,
betrifft es doch wohl inzwischen alle Großstädte in D und viele auch weltweit. Die Wahrnehmung des ‚modernen‘ Menschen ist auch von Graffitis geprägt.
Leider bin ich weder Kunst- noch Rechtsexperte und kann nur von der Wirkung auf mich schreiben. Illegal sind wohl die meisten Graffitis.
Einige Werke finde ich toll, andere finde ich häßlich, die Umgebung noch mehr verschandelnd. In ‚meiner‘ Stadt gibt es Graffitis, die komplette Seitenflächen verschiedener Häuser vollständig mit wunderschönen realistischen Motiven oder aber auch Comic- und Scf-Bildern bedecken. Da komme ich manchmal aus dem Staunen nicht raus, über so viel Kunstfertigkeit. Auch einem guten Spruch oder einer sinnvollen Parole, kunstfertig gesprüht, will ich ihre legitime Existenzberechtigung nicht absprechen.
Was aber oberflächlich betrachtet erst einmal nervt, sind diese halbfertigen, halbgaren Schmierereien, die in ihrer Gesamtheit nicht nur ein Stadtbild verschandeln können, sondern auch zu einer Stimmung des Untergangs, zu einer „Endzeitstimmung“ beitragen können.
Ich kenne zu dem Thema keine ‚Untersuchung‘, sondern kann nur vermuten, bzw- subjektiv einschätzen:
Vermutete
Motivationen der Künstler sind wohl einerseits das legitime Sendungsbewußtsein, die Möglichkeit, für die eigene Kunst eine öffentliche Plattform zu nutzen und auch Geld, bei konkreten Aufträgen von Hausbesitzern..,vielleicht auch Teil einer illegalen „Bewegung“ zu sein gegen das Diktat staatlich oktroyierter Architektur und Plakatierungsgesetze(?) zum öffentlichen Raum(o.ä. ).
Die vermeintliche
Motivation der „gemeinen“ Sprayer reicht vermutlich
-von der Verlagerung des individuellen pubertären Kampfes gegen die elterliche Autorität auf die Straße,
-über die Befriedigung eines Rachebedürfnisses für erlittenes, vermeintlich gesellschaftliches Unrecht,
- über das individuelle Sendungsbewußtsein, der geliebten Freundin einen öffentlichen Liebesschwur mit auf den Weg zu geben (mir stehen die Haare stramm),
-bis hin zu einem verschwörerischen Auftrag, die soziale Umgebung derart zu verschmieren, dass die user der öffentlichen Straßen und Einrichtungen eine Abbildung der gesellschaftspolitischen Realität erleben müssen. Zu dieser Art der Graffitis zähle ich auch die Verschmierungen und Verkratzungen der öffentlichen Transpotmittel etc..
‚Früher‘ waren die öffentlichen Transportmittel geprägt von deutscher Sauberkeit und Ordnung. Diesen Anspruch kann schon längst niemand mehr erfüllen. Zu gewaltig wirken die vermuteten
„Armeen von Sprayern“ (*g) (niemand sieht sie, sie arbeiten meistens nachts, unbeobachtet und die Anzahl der Grafittis ist kaum noch zählbar).
So wirken die Grafittis in ihrer Gesamtheit auch wie eine Form des Widerstands, wie ein Abbild der häßlichen politischen Realität.
Es gibt keine sauberen Kriege, wie uns die Politik vormachen will, auch die Verteilung des gesellschaftlichen Vermögens ist nicht „sauber“, wir leben in einem zutiefst ungerechten System, daß in seiner Innen- und Außendarstellung aber auf eine saubere, „gerecht“ wirkende Form achtet.
Die Einhaltung von Formvorschriften ist -sozialpolitisch betrachtet- auch Teil des Inhaltes des Systems. Es ist geradezu auf der Einhaltung dieser Formvorschriften gegründet...angefangen bei der stillschweigenden Vereinbarung einer Kleiderordnung, bis zu Gesetzen zur Bekleidung (Nacktheit wird als öffentliches Ärgernis eingestuft), über bestimmte juristische Formvorschriften, Formvorschriften am Arbeitsplatz, Formvorschriften zur Anmeldung und Durchführung von Demonstrationen etc.
Ich kann mir schon vorstellen, dass sich der eine oder andere Sprayer nach getanem Werk persönlich richtig wohl fühlt, hat er doch dem häßlichen System seinen formverschmierten Spiegel vorgehalten und die Obrigkeit wieder einmal vorgeführt, wenn er unerkannt entkommen ist.
Es wird wohl auch Sprayer geben, die dann nachträglich zu Hause unbekannt kommen, aber das ist ein anderes Thema. Jedenfalls wird sich bei einigen wohl das Gefühl einstellen, dem System eine Nase gedreht zu haben.
Ohne jetzt hier zur Nachahmung aufzurufen, kann ich diese vermuteten Gefühle nachvollziehen.
Die Außenwirkung, die tiefergehende Wirkung auf die user der öffentlichen Wege und Räume wird wohl so sein, wie auch in diesem thread ablesbar: Von oberflächlicher Bewunderung, aber auch Ablehnung , bis hin zu allgemeinem Unwohlsein darüber, dass
dem System die Maske des schönen Scheins entrissen wurde und es zu schwach ist, seine häßliche Fratze länger zu verbergen.Manche Graffitis sind eben richtig ekelerredend. *g