@Samnang -
Interessantes Thema hast Du da angekurbelt
:)Dieser Artikel ist auch sehr interessant zu Deinem Thema
:) Vielleicht kennst Du ihn noch nicht.
DER SPIEGEL 33/2007 vom 13.08.2007, Seite 124
Autor: Samiha Shafy
Welt ohne Menschen
Wie sähe die Erde aus, wenn die Menschheit plötzlich verschwände? Ein US-Autor wagt ein kühnes Gedankenexperiment.
Es muss ja keine atomare Katastrophe sein, kein Meteoriteneinschlag, kein anderes grauenvolles Ereignis. Auch kein düsteres Umweltszenario, kein schleichender Untergang. Nehmen wir einfach an, die Menschheit wäre verschwunden. Plötzlich weg, einfach so. Die Erde wäre auf einen Schlag befreit von 6,7 Milliarden Menschen.
Das ist zwar nicht besonders wahrscheinlich - aber, wie der US-Autor Alan Weisman in seinem neuen Buch beweist, ein durchaus faszinierendes Gedankenexperiment*. Für seine Recherche bereiste Weisman fünf Kontinente, er besuchte ein kleines Urvolk in Ecuador, ein entlegenes Korallenriff im Pazifik, das Niemandsland zwischen Nord- und Südkorea, die Reaktorruine in Tschernobyl. Er flog in einer Cessna über kenianische Nationalparks und stieg hinab in die New Yorker U-BahnSchächte. Unterwegs sprach er mit Biologen, Ingenieuren, Geologen, Physikern, Archäologen und Architekten, und stets stellte er dieselbe Frage: Was geschähe mit der Welt, wenn der Mensch nicht mehr wäre?
Afrika, so Weismans Fazit, würde besonders rasch wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückkehren. Seine Pflanzenwelt ist weitgehend frei von exotischen Eindringlingen; Elefanten, Giraffen, Nashörner und Flusspferde sind noch nicht ausgestorben wie die meisten großen Säugetiere Amerikas oder Australiens. Der Pavian, einer der wenigen Primaten, die sich ans Leben außerhalb des Waldes angepasst haben, hätte Aussicht, jenen Platz in der Savanne einzunehmen, den einst die Vorfahren des Menschen besetzten.
Der größte Gewinner in dem Gedankenspiel aber ist: das Gnu. Denn die Massai-Hirten in Kenia und Tansania sind seine natürlichen Konkurrenten: Sie lassen ihre Rinder während der Regenzeit in den Grassavannen weiden und bringen sie zu den Wasserlöchern zurück, wenn die Trockenzeit beginnt. Ohne den Schutz der Massai-Speere wären die Rinder aufgeschmissen - in den Jahrtausenden des geruhsamen Zusammenlebens mit den Men-
schen ist ihr Magen zu einem überdimensionierten Gärbottich angeschwollen, der sie träge und langsam macht - und damit zur leichten Beute für Hyänen und Löwen. Stürben sie aber aus, so bliebe doppelt so viel Futter für andere Grasfresser - genug für anderthalb Millionen Gnus.
In den Ozeanen ist die Zusammensetzung von Arten noch weitgehend unverändert durch den Siegeszug des Menschen. Deshalb käme sein sofortiger Abgang für die meisten Meereslebewesen rechtzeitig. Trotz globaler Erwärmung würden sich sogar viele Korallenriffe binnen weniger Jahrhunderte wieder erholen.
Ein düstereres Schicksal malt Weisman hingegen für jene Tiere, die es sich bei den Menschen gemütlich gemacht haben: Ohne Abfälle müssten die Ratten in den Städten
verhungern, oder sie fielen Greifvögeln
zum Opfer. Die angeblich unverwüstlichen Kakerlaken erfrieren jenseits der Tropen und Subtropen kläglich in ungeheizten Wohnungen. Hunde verwildern, halten aber nicht lange durch: Sie sind einfach nicht konkurrenzfähig. Und auch das Pferd hätte nur geringe Überlebenschancen.
Fast alle Tierarten, in deren Entwicklung der Mensch eingegriffen hat, gerieten ohne ihn in ernsthafte Schwierigkeiten - außer der Hauskatze. Obwohl sie sich im Lauf der letzten Jahrtausende an die zivilisierte Welt angepasst hat, ist ihr Jagdinstinkt intakt geblieben. Sie kommt bestens zurecht, auch wenn sie nicht gefüttert wird - zumal sich die Vogelbestände zusehends erholen würden in einer Welt ohne Jagdgewehre, Pestizide, Verkehr und Fensterglas.
Doch was geschieht mit den gigantischen Bauwerken, die der Mensch errichtet hat? Schwer vorstellbar, dass die Natur eine Metropole wie etwa New York zum Verschwinden bringen könnte. Aber genau das würde geschehen, schreibt Weisman, denn selbst diese Riesenstadt hat eine Schwachstelle: ihren Unterleib.
Bei starkem Nordostwind drückt das Hochwasser des Atlantiks gegen den Grundwasserspiegel. Regen verschärft das Problem. Ständig klettern Arbeiter in den Katakomben herum, um die überalterten Hauptwasserrohre zu reparieren und den Grundwasserstand in den Griff zu bekommen. Jeden Tag müssen sie 50 Millionen Liter Wasser daran hindern, die New Yorker U-Bahn-Tunnel zu fluten. Wenn keine Arbeiter mehr da wären, ginge alles ganz schnell: "Binnen 36 Stunden wäre hier alles abgesoffen", prophezeit ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung.
Dann dauert es nicht mehr lange, bis sich Krater in den Straßen der menschenleeren Großstadt bilden. Das Pflaster bricht auf, Samen von Unkräutern nisten sich ein, dann die sich am raschesten vermehrende exotische Art der Stadt, der chinesische Götterbaum.
Binnen fünf Jahren heben die mächtigen Wurzeln dieses Baums die letzten Bürgersteige hoch. Immer mehr Pionierpflanzen siedeln sich an. Ohne Heizung platzen überall die Rohre, der Frost-Tauwetter-Zyklus dringt in die Gebäude ein. Verbindungen lösen sich, Regen sickert ein, Metallteile rosten, der Verputz bröckelt ab. Ein einziger Blitzschlag kann einen riesigen Brand auslösen.
Bald nisten Bussarde und Falken in den Ruinen. Nach zwei Jahrhunderten haben Baumgruppen die Pionierpflanzen weitgehend verdrängt. Schließlich stürzen die Wolkenkratzer krachend um. Wo sich einst die stolze Megacity erhob, streifen dann Kojoten, Rotfüchse, Hirsche, Bären und Wölfe durch den Wald. Die Freiheitsstatue aber, wenigstens sie, bleibt erhalten: Auf dem Grund des Hafens wahrt sie unter einer dicken Muschelkruste selbst dann noch ihre Form, wenn nach einigen tausend Jahren die letzten Steinmauern der Stadt eingestürzt sind.