warmerfebruar schrieb:Ich weiß ehrlich gesagt, gar nicht wie ich damit umgehen soll. Ist eher so ein "Da muss ich mit leben"..
Man erwartet glaube ich immer von den Eltern, dass sie einfach für einen da sind ... Meine Eltern beispielsweise interessieren sich nicht für uns, für sie waren Kinder eine Phase "haben wir gemacht und jetzt ist gut ...". Man redet nicht, sie wissen nichts über einen und wollen es auch nicht wissen. Ich habe mir immer Eltern gewünscht, die sich dafür interessieren, was ich mache, konstruktiv diskutieren, Projekte unterstützen. Ich habe mehr Kontakt zu meinen Nachbarn als zu meinen Eltern. Es hat am Anfang sehr weh getan. Mir hat es geholfen, selbst eine Familie zu gründen und mich praktisch "zu erden". Irgendwie ist es bei mir so, als seien meine Eltern tot (=weil emotional so weit weg), obwohl sie noch leben. Aus einem Pflichtgefühl raus lade ich sie ab und zu ein. Aus einem Pflichtgefühl kommen sie dann. Dann sitzt man eine Stunde beim Kaffee und dann haben sie was superdringendes zu tun und gehen wieder. Man bleibt dann etwas ratlos zurück.
Weil ich das von daheim nicht kannte, Eltern zu haben, die sich kümmern mache ich das nun bei meinen Kindern - mit dem Erfolg, dass sie andere Sachen nerven. Ihnen ist das Band manchmal zu eng - es kann also passieren, dass meine Tochter z.B. zum 14 Tage Schüleraustausch fährt und sich eine Woche lang nicht meldet - ich erfahre dann, wenn ich Mutter von Schüler X beim Einkaufen treffe, dass X brav jeden Abend kurz anruft, während mein Kind sich von der Fürsorge seiner Eltern erholt :-).
Es müssen glaube ich die richtigen Ansprüche aufeinandertreffen, dass Familienleben harmonisch ist und natürlich die Rahmenbedingungen stimmen. Beispiel meine Freundin - hat geheiratet und ist bei Schwiegervater und Schwiegermutter mit ins Haus gezogen. Schwiegervater starb irgendwann, Schwiegermutter ist immer da, schmeißt den Haushalt, kocht für alle, Sonntagmittag gibt es Kaffee und Kuchen für alle, Schwiegermutter weiß alles und wenn ich meine Freundin besuche, dann hockt sich die Schwiegermutter mitunter wie selbstverständlich auf die Terasse und quatscht mit. Für mich wäre so viel Nähe ein Albtraum - meine Freundin sieht nur den Enlastungsaspekt - Haushalt ist nicht so ihrs und mit den Kindern hat sie einen eingebauten Babysitterservice. Zudem ist ihr Mann beruflich oft nicht da und sie versteht sich mit ihrer Schwiegermutter wirklich super, die unternehmen total viel ... ihr Mann scherzt schon immer, dass sie besser mit ihr auskommt als er.
Wenn die Erwartungen und die Realität auseinanderklaffen - und bei dir ist es ja nicht nur ein auseinanderklaffen, da treffen ja praktisch zwei Welten auseinander und man die Spannungen nicht beseitigen kann, muss man sie wirklich aushalten und für sich selbst eine Strategie finden, das auszuhalten. Das tut weh und ist mit viel Emotion verbunden ... Ich musste kürzlich meinen Vater vom Bahnhof abholen - die Heimfahrt sind so 20 Minuten ... ich wusste überhaupt nicht, was ich mit ihm sprechen soll und die Stille war total unangenehm. Wenn du eh in Therapie bist, besprich das doch mal mit dem Therapeuten, welche Strategien es gibt. Hast du schon mal daran gedacht, dich al AL ANON zu wenden - die Angehörigen von Alkoholikern und das dort im Rahmen einer Sitzung zu besprechen? Einer Freundin hat das sehr geholfen, da ist die Mutter Alkoholikerin und sie ist immer hin und man tat einfach so, als ob man es nicht merkt. Der Vater ist völlig hilflos und versucht immer so zu tun, als ob er die glücklichste Ehe auf Erden führt - es wird verschwiegen. Meine Freundin hat da sehr daraunter gelitten und hat in dieser Selbsthilfegruppe dann Leute getroffen, denen es ähnlich ging und für sich selbst dann verschiedene Strategien ausprobiert, wie sie mit der Situation umgeht ....
warmerfebruar schrieb:Irgendwie ist das auch eher so eine "Ich beruhige mein Gewissen" ist bestimmt schwer nachzuvollziehen, aber ich möchte, auch wenn er nicht an meinem Leben teilhaben will, irgendwie, dass er weiß was er verpasst. Also so, dass ich es wenigstens versucht habe. Das gibt mir dann das Gefühl, dass ich nicht untätig war..
Das kann auch helfen - mein Mann hat keinen Kontakt zu seiner Mutter - aber er hat ihr am Anfang, z.B. als unsere Kinder geboren wurden, immer wieder Fotos geschickt ... als unsere Kinder alt genug waren, um sich zu äußern, haben sie um ein Treffen mit der Großmutter gebeten ... Es war für sie sehr ernüchternd - sie konnte/ wollte sich nicht mal die Namen der Kinder merken, aber es hat z.B. den Kindern geholfen, das einzuordnen. Mein Mann hat auch lange gesagt, dass es ihm besser geht, wenn er ihr signalisiert, dass es Handlungsalternativen gäbe, sie den Kontakt wieder aufnehmen könnte - da liegt auch eine psychische Krankheit zu grunde ...
Du kannst ihm ja auch einfach ein kleines Kärtchen schreiben mit einer Handynummer und ihm anbieten, sich zu melden. Überlege, was du alles draufschreibst, weil es mitunter auch sehr schwer sein kann, wenn er vor deiner Tür stehst - du wirst dich dann moralisch verpflichtet fühlen, zu helfen (so ist es bei meinem Mann), aber es ist immer schnell klar, dass man diese Hilfe gar nicht leisten kann, da der Betroffene so sehr in seiner Struktur steckt. Da wäre eine Handynummer besser, dass, wenn er sich meldet, du nicht vom Überraschungseffekt heimgesucht wird - vielleicht hat dein Vater ja auch ein Handy?
warmerfebruar schrieb:Geht mir auch so.. im Grunde weiß ich nicht, ob es mir was bringt, aber ich will das auch nicht so stehen lassen... Sehr schwierige Sache..
Setz dich nicht unter Druck - du weißt, dass dein Vater - unabhängig von deiner Vorgeschichte und von euerem Verwandtschaftsverhältnis, in einer sehr schwierigen Lage ist, die vermutlich durch seine Suchterkrankung hervorgerufen wurde. Hilfe ist unmöglich, es sei denn, er hilft sich selbst, indem er z.B. einen Entzug macht und die Szene verlässt - das ist aber sehr schwer, weil es ja oft so ist, dass die Leute nur noch die Szene haben .... Es kann sein, du meldest dich, hörst aber nichts, weil es dein Vater gar nicht mehr schafft, dauerhafte Kontakte zu pflegen.
Du verpasst also leider nichts - außer dem persönlichen Kontakt - es wird deinem Vater nicht helfen, wenn du regelmäßigen Kontakt zu ihm hast, da er vermutlich im eiserenen Griff der Alkoholsucht ist und in der Obdachlosenszene vermutlich "Gleichgesinnte" hat, die ihm am ähnlichsten sind.