Homosexualität
24.07.2007 um 15:27
Es war einmal, vor langer, langer Zeit, in einem Land weit weg vonhier...
Karl Gorath (alias Karl B.) ist wohl der letzte Mensch inBremen, der von der Verfolgung Homosexueller durch die Nazis berichten kann. DieKonzentrationslager in Neuengamme, Mauthausen, Auschwitz - Karl B. hat überlebt.Zurückgezogen lebt er inzwischen in Bremerhaven. Eigentlich wollte er keine Interviewsmehr geben. Für Jörg Hutter, Mitarbeiter bei den SchwulLesbischen Studien an der UniBremen und prominenter Schwulenpolitiker der Grünen machte er eine Ausnahme. Die zweilernten sich Ende der 80er-Jahre kennen und sind befreundet (taz Bremen vom 27./28. Juni1998).
"Sie sind ja schon wieder hier!" Ein ehemaliger Rosa-Winkel-Häftlingberichtet
Karl Gorath.: Schwul und verfolgt
Jörg Hutter: Lieber Karl, zunächsteinmal meinen Dank dafür, dass du mit deinen 86 Jahren nochmals bereit bist, Rede undAntwort zu stehen. Mir ist bewusst, dass dich die Erinnerungen noch heute belasten.Deshalb schätze ich dein Entgegenkommen sehr. Du bist 1939 verhaftet worden. Was wardamals passiert?
Karl B.: Mich hat ein ‘guter’ Freund bei der Kriminalpolizeidenunziert und so bekam ich eines Tages eine Vorladung zur Polizei. Ich bin dann gleichauf der Wache verhaftet und ins Bremer Polizeihaus transportiert worden. Dort hat manmich verhört. Der Beamte hat mich mit einer geladenen Pistole bedroht. Ich habe dannkeine andere Möglichkeit mehr gesehen, als die Beschuldigungen zuzugeben. Wegengleichgeschlechtlicher Unzucht, so hieß das ja damals, wurde ich von einem Bremer Gerichtzu einer Zuchthausstrafe verurteilt, die ich in Celle verbüßt habe.
Wieso kamst dudenn danach noch in ein Konzentrationslager?
Warum ich nach Verbüßung meinerStrafe nicht freigelassen wurde, weiß ich nicht. Wahrscheinlich galten wir Homosexuellenalle als gefährlich. Ich bin nämlich in das KZ Neuengamme eingeliefert worden. Dortmusste ich anfangs den rosa Winkel tragen. Ich hatte dann aber unheimliches Glück. Da ichals Jugendlicher eine Ausbildung zum Krankenpfleger absolviert hatte, wurde ich derKrankenabteilung zugewiesen. Das war ein großer Vorteil. Ich brauchte nicht zu dentäglichen Arbeitseinsätzen ausrücken und bekam auch genügend Essen. Mir war es dank derHilfe von Kameraden dann möglich, meinen rosa Winkel gegen einen rotenauszutauschen.
Die meiste Zeit warst du aber im Stammlager von Auschwitzinterniert. Warum?
Die Lagerleitung von Neuengamme hat die russischenKriegsgefangenen aushungern lassen. Das wollten wir verhindern. Wir haben dann versucht,Essenrationen in das Russenlager zu schmuggeln. Als das aufflog, hieß es: 'Straftransportnach Auschwitz'. Obersturmbannführer Bachmeier verabschiedete uns mit den Worten: "Ihrseht die Freiheit nie wieder!" Mit vier weiteren Kameraden wurde ich dann am 11. Juni1943 nach Auschwitz deportiert.
Wie konntest du Auschwitz überleben?
Wirsind gleich bei der Ankunft von der Lagerprominenz, das war die Lagerleitung derHäftlinge, ins Krankenrevier abgestellt worden. Damit waren wir vor den gefährlichenArbeitseinsätzen sicher. Ich habe es dann bis zum Blockältesten von Block 3 geschafft.Diese privilegierte Stellung hat aber nicht vor den gefürchteten Appellen geschützt.Besonders schlimm war es immer, wenn Häftlingen die Flucht gelungen war oder Kameradenhingerichtet werden sollten. Dann mussten wir oft stundenlang - und zwar bei jedem Wetter- bewegungslos in Reih’ und Glied stehen. Viele sind bei diesen Appellen vor Entkräftungzusammengebrochen und gestorben.
Gab es auch gute Seiten?
Ja, die gab es.Ich habe zwei jüngere polnische Freunde gehabt, die auch zu mir auf die Stube durften.Die SS hat dann aber versucht, diese Pipelei - wie es damals hieß - zu unterbinden. Dawurde eigens ein Bordell eingerichtet, das wir alle besuchen mussten. Ich habe mich mitder Dirne aber nur unterhalten. Passiert ist da nichts.
Im Sommer 1989, aufunserer gemeinsamen Fahrt nach Polen, fand ich im Archiv der Gedenkstätte Auschwitz dieTodesdaten meiner Freunde. Es hat mich sehr erschüttert, dass beide Freunde Auschwitznicht überlebt haben. Juden und Polen sind nämlich im Laufe des Jahres 1944 in dasVernichtungslager Auschwitz-Birkenau gebracht worden. Ich habe das nicht verhindernkönnen. Ich konnte Ihnen nicht helfen. Die Gewissheit über diesen Tod hat mich so starkbelastet, dass ich die Reise vorzeitig abgebrochen habe.
Dein weiterer Weg war jadann eine wahre Odyssee.
Ja, weil ich der Propaganda geglaubt habe. DieSS-Wachmannschaften erklärten uns kurz vor der Befreiung des Lagers, dass die Russen unsalle umbringen würden. Ich bin dann lieber auf Transport gegangen, zusammengepfercht inoffenen Güterwagons. Zuerst ging es nach Mauthausen, später ins Kloster Melk in derWachau. Dann sind wir auf Kähnen nach Ebensee im Salzkammergut transportiert worden. Wirhatten ständig Angst, dass man uns kurz vor Kriegsende noch umbringt. Es wäre sehr leichtgewesen, uns etwa im Fluss ersaufen zu lassen. Am 8. Mai 1945 bin ich dann aber befreitworden. Das hätte ich beinahe nicht mehr erlebt. Ich war an Ruhr erkrankt und fast schontot. Ein französischer Arzt hat mich aus einem Berg von Leichen gezogen und wiederhochgepäppelt.
Und dann?
Karl B.: Dann wurde ich 1947 erneut verurteilt.Von demselben Richter. Rabien hieß der Kerl. Er empfing mich im Gerichtssaal mit denWorten: 'Sie sind ja schon wieder hier!' Er hat mich dann zur Höchststrafe verurteilt -nach dem selben Gesetz wie 1939. Mein Verteidiger hatte noch beantragt, die Haftstrafe umdie Zeit meiner KZ-Haft zu kürzen. Selbst das ist abgelehnt worden. Dann hieß es fünfJahre Zuchthaus. Die habe ich auch ganz abgesessen. Ich wollte keine Gnade - weder vondiesem Staat, noch von dieser Justiz.
Das war dann aber immer noch nichtalles.
Karl B.: Nein, denn jetzt war ich ja richtig vorbestraft. Ich hab’ dannzehn Jahre lang keine Arbeit mehr bekommen. Auf dem Arbeitsamt hieß es nur: 'Für Siehaben wir nichts, Herr B.' Ich habe erst in den 60er-Jahren eine Anstellung gefunden.Später dann hat man mir die Haftzeit und die Arbeitslosigkeit auch noch von meinemRentenanspruch abgezogen. Meine Klage vor dem Sozialgericht wurde abgeschmettert, weilder Sachbearbeiter des Arbeitsamtes ausgesagt hatte, dass ich mich ja nie um eineVermittlung bemüht hätte. Meine Rente lag unter Sozialhilfesatz.
Ähnlich erfolgloswaren ja auch deine Versuche, die KZ-Haft entschädigt zu bekommen.
Ja, alle meineAnträge sind abgelehnt worden. Grund war meine Vorstrafe. Es hieß immer, das hätte ichmir ja selbst zuzuschreiben. Erst als 1989 in Bremen der Härtefond eingerichtet wurde,bekam ich eine Chance. Dank deiner und der Hilfe des Rat und Tat Zentrums erhalte ichheute monatlich 500 DM dazu.
Gäbe es nach all diesen schlimmen Erfahrungen und denjüngsten Wahlerfolgen der rechtsextremen DVU einen Rat, den du Schwulen und Lesben mitauf den Lebensweg geben willst?
Nein, eigentlich nicht. Vielleicht sollten sieaber wachsam sein, da die Entwicklung zum Besseren auch umkehrbar ist.
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