Psychiatrie
16.12.2014 um 23:33
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass man es mit einer psychischen Erkrankung nicht leicht hat, gerade wenn das Umfeld weiß, dass man sie hat. Leider neigen auch Mediziner dazu, jedes körperlich-seelische Ungleichgewicht sofort auf die Erkrankung zu schieben. Dass das akute Problem auch eine andere Ursache haben könnte, darauf wird dann nicht eingegangen.
Das ist mir in der Vergangenheit so passiert und gerade auch jetzt wieder. Ich selbst habe eine diagnostizierte schizodepressive Störung mit Tendenz zu Paranoia. Derzeit aber eher eine Tendenz hin zu einer hypomanischen Episode.
Die Psychiater schickt ein fehlerhaftes Gutachten an das Gericht und ich widerspreche? Eindeutig ein Zeichen meiner Erkrankung. Die gesetzliche Betreuung muss ich also wirklich nötig haben. Mir geht es eine zeitlang nicht gut, weil ich finanzielle Schwierigkeiten habe? Die Depressionen schlagen wieder voll durch.
Die Konsequenz ist dadurch auch, dass alle positiven Leistungen meinerseits geschmälert werden, weil ich sie nur dank meiner Medikamente erreicht habe. Und wenn ich mal an etwas oder jemandem Kritik übe, kann man das auch immer gut auf meine zurückliegende Erkrankung schieben. Und da kann ich wirklich noch so oft betonen, dass ich mittlerweile wieder im Dunkeln aus dem Haus gehe, mich mit fremden Menschen unterhalte, wenn sich die Gelegenheit ergibt und ohne größere Probleme wieder telefonieren kann. Und auch, dass ich die Medikamente nun schon seit langem abgesetzt habe, diese meine Handlungen also nicht mehr beeinflussen.
Psychische Erkrankungen eignen sich nun mal wie alle unsichtbaren Krankheiten gut für Stigmatisierungen, weil man mit ihnen theoretisch jede Auffälligkeit erklären kann - die man bei Menschen ohne Diagnose allerdings viel leichter hinnimmt, ohne sich zu beschweren.
Allerdings weiß ich als ehemalige Psychiatriepatientin, dass es durchaus auch Fälle gibt, in denen eine Einschätzung schwer fällt. Ich kenne einen Patienten, der sich früher öfter mal spontan in den Zug gesetzt hat, irgendwo hin gefahren ist und dort dann komplett durchdrehte. Als Konsequenz wurde durchgesetzt, dass seine Mutter bei seinem unangemeldetem Verschwinden das Ordnungsamt rufen kann, dass ihn dann sicherheitshalber in die Psychiatrie bringt.
Nun hat dieser Mann seine Krankheit mittlerweile wohl unter Kontrolle - aber immer wenn er, ein Erwachsener von Mitte 40, seiner Mutter nicht Bescheid gibt, wenn er verreist, ruft sie weiterhin das Ordnungsamt. Und er landet in der Psychiatrie. Weil er ansonsten aber ein ziemlich anstrengender Zeitgenosse ist, wird sich an dieser Regelung nichts ändern, auch nachdem er sich beschwert hat.
Ich bin aber keine grundlegende Verweigerin von Psychiatrie und Medikamenten. Ich finde es toll, dass es Psychiatrien gibt, in die ich mich nach akuten Stresssituationen zurückziehen kann, um mich selbst zu schützen. Und auch bei den Medikamenten ist es für mich eine simple Kosten-Nutzen-Rechnung. Wenn es mir ohne Medis schlechter geht als mit, dann nehme ich sie - nach einer Weile, wenn sich das Verhältnis umkehrt setze ich sie wieder ab. Gerne auch unter Aufsicht eines Arztes, aber nur, wenn mir mein Wunsch nicht negativ ausgelegt wird. Das recht, über mich selbst bestimmen zu können, solange ich mir objektiv gesehen nicht schade, will ich mir nicht nehmen lassen.
Ich fahre mit dieser Schiene momentan auch ganz gut. Ich war letztes Jahr in medizinisch/beruflicher Reha, unter anderem damit der Kostenträger meine darauf anschließende Umschulung bezahlt. Weil mir das öffentliche Absetzen meiner Medikamente ein negatives Gutachten beschert hätte, habe ich sie heimlich abgesetzt, nachdem ich unter der Einnahme mehr und mehr litt - und wurde in der Folge dafür gelobt, was für eine vorbildliche Rehabilitandin ich doch wäre. :D
Hier in der Umschulung habe ich mich dann gegenüber meinem Arzt geöffnet und bekämpfe meine natürlich nicht komplett verschwundenen Probleme mit einer Gesprächstherapie. Auch das war bisher kein Problem, da ich ansonsten einen Einserschnitt, wenige Fehlzeiten und gut verlaufene Praktika vorweisen kann.
Warum ich zu Beginn schrieb, dass mir meine Erkrankung auch jetzt wieder negativ ausgelegt wird? Nun, meine Betreuerin macht Probleme. Und anstatt, dass wir uns wie versprochen mit einer dritten Person zusammensetzen, hat sie nun verlauten lassen, meine Erkrankung würde wieder zu Tage treten würde. Dagegen gute Argumente zu finde, ist leider schwer, auch wenn ich für meine Aussagen sogar Zeugen und schriftliche Belege vorweisen kann. Dazu bekomme ich gar keine Gelegenheit. Was ich in dem Fall tue? Ihr Spiel mitspielen und mir parallel Rat bezüglich eines Betreuerwechsels suchen.
Das ist nun mal die Art, in der dieses Leben oft läuft: Das Aussprechen von Unwahrheiten und ganz viel Eigeninitiative. Wer sich darauf verlässt, dass andere einem alles abnehmen oder für einen ohne Grund einstehen, der ist schon verloren. Letztendlich können einem andere aber auch nicht alles abnehmen, außer verständlicherweise in Akutsituationen. Wenn man selbstständig sein will, dann muss man auch so handeln.
Aber zum Schluss, weil ich irgendwie das Gefühl habe, dass die Schulmedizin bei mir ganz schlecht weg kommt: Ich fand in der Psychiatrie und später in der Reha besonders den seelischen Beistand ganz toll, also die Gespräche und Sitzungen mit dem/beim Personal und die Therapien abseits der Medikamentengabe. Das muss man ja auch mal hervorheben. So etwas ist auch schon enorm aufbauend, wenn man sonst niemanden hat, der sich für einen interessiert.