Wie seht ihr Alles?
19.05.2006 um 18:44
Hallo Sardonia,
deine Fragen sind eine ganz schöne Herausforderung :)
ichwerde sie nicht auf einen Nenner bringen können :(
Aber du hast den Nagel aufden Kopf getroffen, man hält an und hört auf zu fliessen in dem Augenblick, wo manbeginnt, das Wahrgenommene zu interpretieren in Bezug auf uns selbst. Alles nachdenkenüber uns selbst bringt uns zu keinem Verständnis von uns selbst, sondern startet eineununterbrochene Kette von Gedankengängen, welche innerhalb derselben nicht beantwortetwerden können und dadurch endlos weitergeführt werden.
Bis zu dem Punkt, woerkannt wird, dass es nur Gedanken sind. Dann erkennen wir uns in der Wahrnehmung alsGanzes, welches jenseits vom Denken sich befindet und die Gedanken sind Objekte in derWahrnehmung gleich einem Baum, einem Gefühl oder einem Schmerz. Aber sie werden immer alsGedanken erkannt und somit erwarten wir niemals auch nur für eine Sekund, dass dieseGedanken uns auch nur im entferntesten eine Antwort geben könnten über uns, da wir dochmehr sind als diese Gedanken, und dieses Ganze kann nicht mit den Gedanken verstandenwerden oder die Gedanken können niemals eine befriedigende Antwort geben.
Jedessuchen nach Antworten innerhalb unserer Gedanken ist ein endloser und mühsam vergeblicherVersuch, das zu verstehen, was nicht mit den Gedanken verstanden werden kann. Wir könnenetwas nur nachträglich mit Gedanken in Worte und Vorstellung fassen, was wir vorherWahrgenommen haben. Dass das Wissen immer der Vergangenheit angehört wird im Thread:"Wenn ich nichts weiss, bleibt das Blatt weiss" angesprochen.
Wahrnehmung undKonzentration sind zwei sehr verschiedene Dinge. Das eine bezieht mit ein und fliesst,ist offen, weit und unermesslich, bildet kein Zentrum und fokussiert auf keinen Punkt,die Wahrnehmung. Das andere grenzt aus und hält fest, trennt und spaltet, Konzentrationist immer eine Verzerrung und Einengung der Wahrnehmung. Es gibt keinen Augenblick imLeben, der der Konzentration bedarf. In der Wahrnehmung ist bereits ohne Konzentrationalles vorhanden, was es zu sehen gibt und geben kann. Bedauerlicherweise wirdKonzentration von Schülern verlangt, wenn ihr Geist abschweift und aus dem Fensterschaut, dabei ist das nur ein Zeichen, dass sie an etwas anderem interessiert sind undder Lernstoff unbefriedigend vermittelt wird. Der Zwang zur Konzentration macht stumpfund träge, ein sich konzentrierender Geist wird bald spröde, spröde an seiner eigenenselbstauferlegten Schärfe.
Würde man sein Abschweifen zulassen, würde dieseseinem zu seinen tieferen Interessen führen und dort gäbe es wesentlich wichtigere Dingezu lernen, also dort, wo er sich hinzwängt. Nur was sich öffnet, blüht und sich preisgibtkann ein Ende finden, verblühen und für das nächste Raum schaffen. Solange wir nichtjeder Ablenkung und jedem Gedanken, der in uns entsteht, Freiraum lassen, ihn beobachtenohne ihn in eine bestimmte Richtung zu lenken, wird er sich nicht offenbaren können unddadurch auch nicht zu einem natürlichen Ende finden. Darum sind wir immer gefangen inunseren Gedanken, weil wir sie bearbeiten, ändern wollen oder unterdrücken, verdrängen,je nach belieben.
Also ich denke, die Wahrnehmung steht ganz am Anfang. Bestimmtvor der Konzentration und bevor sich ein illusionäres Ich bilden könnte. Wie wir mitdiesem Anfang umgehen, entschiedet alles weitere. Wir können auch sagen, am Anfang habenwir das Ganze, die ungeteilte Wirklichkeit, wie sie vor unseren Sinnen ausgebreitetliegt. In den Interaktionen mit unseren Mitmenschen bedarf es dem Verstand undGedächtnis, dem Denken und der Sprache. Aber alle diese Dinge funktionieren reibungslosund höchst effizient ohne illusionäres Ich. Das illusionäre Ich existiert, weil wir es injeder Sekunde unseres Lebens aufrecht erhalten, ihm ständig Nahrung geben mit unserenWünschen, Ängsten und dem Verlangen nach dem Mehr. Der Wunsch, das illusionäre Ichloszuwerden, verstärkt es.
Nehmen wir an, du gehst irgendwo deiner Arbeit nach.Irgendwann steigt in der Stille des Augenblickes ein Gedanke auf: "was mache ich hier?"oder "warum lebe ich überhaupt?" oder "wo spielen gerade meine Kinder?" oder "wer bin icheigentlich?" oder "wer ist diese Person eigentlich, die hier arbeitet und wahrnimmt?"oder "warum denke ich?" oder "wie viele Stunden werde ich wohl noch hier arbeiten?" oder"wieso existiere ich überhaupt?" Wer spricht? Wer stellt all diese Fragen? Und wer wirddie Antwort darauf geben?