Tierversuche: Ja oder Nein?
29.09.2008 um 11:20
Die Alternative zum Tierversuch?
Inderkinder!
Skandal in indischem Universitätskrankenhaus
Babys als Versuchskaninchen?
Westliche Pharmafirmen lassen neue Medikamente gern in Indien testen: Freiwillige sind in der armen Bevölkerung leicht zu finden und die Tests sind wesentlich billiger als in Europa. Jetzt erschüttert ein Fall in Neu-Delhi das Land: 49 Babys starben während einer Testreihe.
Von Kai Küstner, ARD-Hörfunkstudio Neu-Delhi
Die Geburtenstation des Universitätskrankenhauses in Delhi: Frauen sitzen auf den Betten und wickeln ihre Neugeborenen in Saris ein, drücken sie an sich. Ärzte schauen in die strahlenden Gesichter stolzer Eltern, aber auch in Gesichter, die von der Ungewissheit gezeichnet sind, die um das Leben ihrer Kleinen bangen müssen.
Bangen musste zuletzt auch die Klinik selbst – um ihren exzellenten Ruf. 49 Babys nämlich, so die Zeitungsschlagzeilen, hätten in den Jahren 2006 bis 2008 ihr Leben gelassen, weil an ihnen Medikamente ausprobiert worden seien. Was die Klinik und ihr Sprecher Dr. Yogesh Gupta abstreiten: "Das ist nicht wahr. Diese Kinder hatten schwere Krankheiten. Keins der Babys starb wegen der Medikamententests."
49 Babys, so viel ist sicher, sind im All India Institute for Medical Sciences gestorben. Viele erlebten nicht ihren ersten Geburtstag. Gestorben sind sie, während in der Klinik mit Medikamenten experimentiert wurde. Die empörten Eltern sagen: weil mit Medikamenten experimentiert wurde. Was allerdings schwer zu beweisen ist, wie der Arzt und Journalist Dr. Chandra Gulhati zu bedenken gibt: "Wenn ein Patient stirbt - wer weist dann nach, ob er wegen einer Versuchsreihe oder wegen der Krankheit gestorben ist?"
Eltern waren ahnungslos
Gulhati hat sich auch mit der Frage befasst, ob die Eltern wohl darüber informiert wurden, dass ihre Kinder mit nicht marktreifen Medikamenten behandelt wurden. Aus Sicht der Klinik ist die Sache klar: Die Zustimmung der Eltern wurde mit Unterschrift eingeholt, nachdem ihnen erklärt worden war, welche Vorteile oder Risiken sie möglicherweise davon haben. Gulhatis Nachforschungen kommen zu einem anderen Ergebnis.
"Ich glaube nicht, dass irgendjemand von den Eltern die blasseste Ahnung hatte, was da los war", meint der Arzt. Man dürfe nicht vergessen, dass Indien eine Analphabetenquote von 50 Prozent habe. Zudem laufe der Zustimmungsprozess sehr oberflächlich ab: "Es werden Blanko-Formulare unterschrieben, wenn Sie im Krankenhaus aufgenommen werden. Wenn sie mitten in der Nacht kommen, heißt es in vielen Kliniken: Unterschreiben Sie hier, sonst können wir Sie nicht behandeln."
Skandal bringt Medikamententests ins Gespräch
Das Universitätskrankenhaus in Delhi ist für seine menschliche Fürsorge bekannt. Es hat den Ruf, auch Menschen zu behandeln, die sich so etwas gar nicht leisten können. Die Vorwürfe, die Klinik würde Babys nicht versorgen, sondern missbrauchen, hat zumindest eins bewirkt: Das Thema Medikamententests ist auf einmal auf der Tagesordnung:
"Indien hat über eine Milliarde Menschen. Drei Viertel der Bevölkerung leben einer Untersuchung zufolge auf Subsistenz-Level. Das heißt, sie können sich gerade so am Leben halten. Deshalb ist es sehr einfach, Patienten zu finden, an denen sie klinische Tests durchführen können", sagt Gulhati. Zudem sei das Thema deshalb sehr ernst, weil die Tests für die Firmen in Indien so billig seien. "Sie kosten nur etwa 20 Prozent dessen, was sie in Deutschland kosten", erläutert der Arzt.
Es ist nur ein kleiner Trupp Demonstrierender, der sich vor dem Bürogebäude des Gesundheitsministers eingefunden hat. Aber die Demonstranten wissen mit Symbolen zu spielen: Die Erwachsenen haben ihre Kinder mitgebracht. Sie tragen OP-Masken und recken Plakate in die Höhe: "Wir sind schon krank und arm und Analphabeten, bitte macht uns nicht zu Versuchskaninchen". Einer der Demonstranten erläutert sein Anliegen: "Es gibt derzeit in Indien kein Gesetz, das Medikamentenversuche in Krankenhäusern verbietet. Es gibt einen Gesetzesvorschlag, der seit 2007 unbearbeitet vorliegt. Wir wollen erreichen, dass dieses Gesetz endlich durchkommt."
Indien bei Medikamententests Spitzenreiter
Das fordert auch Rahul Verma, Vorsitzender einer Hilfsorganisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Thema publik zu machen. Aus seiner Sicht ist es höchste Zeit für das Gesetz. "Mittlerweile hat es sich herumgesprochen, dass Indien exzellente Experimentierbedingungen für westliche Pharmafirmen bietet – den Spitzenplatz als Land mit den meisten Testreihen hat Indien China bereits abgenommen", sagt Verma.
Der Regierung zufolge sollen 2007 in Indien 139 Reihen dieser Art durchgeführt worden sein. Immerhin hat es durch den Fall in Delhi jetzt einen kleinen Aufschrei in Presse und Fernsehen gegeben. So vernehmbar immerhin, dass die Regierung eine Untersuchung der Vorgänge angeordnet hat.
Pillen schlucken für ein Zugticket
Gulhati weiß von Geschichten zu berichten, die Haare zu Berge stehen lassen. Geschichten von Schlepperbanden, die aufs Land fahren, verarmten Menschen ein paar Hundert Rupien oder auch nur ein Zugticket nach Delhi versprechen, wenn sie ein paar Tage eine bestimmte Medizin schlucken. Es sei ja so einfach, und auch so kostengünstig, in Indien Leute zu finden, die sich zu Versuchs-Menschen umfunktionieren lassen.
Manchmal gehe es dabei auch um Tests, die in Europa nicht gemacht werden dürfen, berichtet Gulhati. "Es gibt einen Fall aus der jüngsten Vergangenheit aus den Niederlanden. Dort durfte eine Arznei für Psychiatriepatienten nicht getestet werden - in Indien aber wurde sie getestet. Warum durfte in Europa nicht getestet werden? Weil es sich mit einem Placebo vergleichen ließ - das, was wir ein Stück Zucker nennen. Sie können nicht einem ernsthaft mental erkrankten Menschen ein Stück Zucker geben und die Wirkung testen. Das ist unethisch und unmoralisch und einfach nur schlimm."
(ARD)
So geht's auch, liebe Tierschützer! Man muss nur wollen!