sacredheart schrieb:Das änderte sich, nachdem ich erlebte, in einer Gemeinschaft arbeitender Menschen gut klarzukommen und auch akzeptiert zu sein.
Mir ging das ähnlich - zumindest ohne Streitkräfte-Erfahrung.
Ich hatte ein ziemlich bescheidenes frühes Leben mit vielen Schicksalsschlägen, die andere in der Konstellation im erst im höheren Alter erleben. Das wirkte sich neben anderen Faktoren negativ aus. Introvertiert, unsicher, schüchtern, in mich gekehrt, sehr selbstkritisch. Wenn man selbst nicht viel von sich hält und dann noch sonstige Probleme erleidet, dann wirkt sich das negativ auf eine charakterliche und anderweitige Entwicklung aus. Wenn man vor sich selbst nicht punkten kann, wie will man dann vor anderen punkten?
Ich habe mich nicht so entschieden, die Weichen des Lebens wurden so gestellt und wirkten sich entsprechend aus. Gemäß der "Eule der Minerva" ist klar, dass man meist erst hinterher schlauer ist und rückwirkend natürlich die Dinge anders machen, betrachten und angehen würde.
Mir ist auch klar, dass mein Werdegang nicht auf alle anderen anwendbar ist - dafür aber in unterschiedlicher Form und "Stärke" auf viele.
Mein Segen war, dass ich mit gewissen Defiziten eine Arbeitsstelle antrat, die im öffentlichen Dienst lag. Vielleicht merkt man jetzt: Wer sich bewerben und in Bewerbungsverfahren durchsetzen kann, kann kein "Vollversager" sein. Das muss man auch nicht, dennoch hatte ich rückwirkend betrachte etwaige Probleme und "Ticks". Ich muss doch sagen, im Vergleich zur Wirtschaft kann das je nach Umfeld usw. eher eine Art "safe space" sein, wo man sonst durch einen Fleischwolf gedreht werden würde. Schon rein durch andere Mitarbeiter auf gleicher Ebene. Ich erlebte eigentlich erst im Arbeitsleben in manchen Bereichen eine gewisse Entwicklung und das Abbauen gewisser "Hemmfaktoren", die andere gar nicht brauchen bzw. erleben oder haben.
In manchen Stellen der Wirtschaft kann das halt tückisch sein so anzufangen, da ist meinem Gefühl nach mehr "Hauen und Stechen" angesagt. Abstrakt zumindest. Ich hörte und las genug Stories darüber und erlebte in manchen Praktika dort auch Dinge, die das bekräftigen.
Warum erwähne ich das also? Ich will sagen, die Zeit bei den Streitkräften wo gewisse Dinge vermittelt werden kann manchen wirklich helfen. Sowohl generell als auch für das spätere Berufsleben. Gewisse "Tugenden" schaden eigentlich nie. Für manche ist es das Kennenlernen eines strukturierten Tagesablaufes, dem Wachsen an Herausforderungen wo man sonst vorher sinngemäß die Flinte ins Korn geworfen hätte sowie das Bestehen im Miteinander. Man schraubt quasi mehr oder weniger seine 'Toleranzgrenze' hoch - und das hilft immer.
Wenn ich als Gegenbeispiel manche jungen Personen heranziehe, die ich in meiner ALG-II Zeit erlebt habe (ja, die Klischeebeispiele sind in gewisser Weise real) und welche Defizite da individuell vorhanden waren - oder wie dünnhäutig manche bei simpler Kritik wurden und heulend davonstürmten - dann denke ich, dass es eben manche vor einer relevanten Arbeitsstelle gut "vorbereiten" kann. Ein anderes plakatives Beispiel wären Artikel an die ich mich grob entsinne, wo Unternehmen kurzum die "Qualität" der Auszubildenden bemängelten. Sinngemäß: Die können im Schnitt weniger ab und werfen früher hin, teils muss man Dinge nachholen die im Elternhaus wohl vernachlässigt wurden, ein Auge zudrücken um die Leute zu halten, etc. Erneut als abstrakter Trend, nicht auf alle bezogen.
Aber würde man in so einem Umfeld so schnell hinwerfen, wenn man physisch wie teils auch mental zehrende Dinge erlebt hätte, einen strukturierten Tagesablauf mit festen Aufgaben und Erwartungen sowie ausgebauten Soft Skills kennt? Würde man im Handwerksbetrieb oder Büro eher hinwerfen, wenn man zuvor mal etwas durch die Mangel genommen wurde, kilometerlange Märsche mit viel Gepäck sowie Teamaufgaben im militärischen Kontext hinter sich gelassen hätte? Fehlschläge aber auch Erfolgserlebnisse erlebt hätte, die einen positiv prägen? Ich denke, im Vergleich dazu würden alltägliche Probleme am "typischen Arbeitsplatz" eher klein oder behebbar wirken.
Ich sehe es am rein zivilen Berufsleben schon: Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben.
Okay, um den Post langsam zu einem Ende zu bringen: Ich will die Streitkräfte gar nicht als universelles Lösungsmittel für charakterliche oder sonstige Defizite lobpreisen. Gegenwirken kann man je nach Schwere immer nur bis zu einem gewissen Level.
Aber ich will sagen: Manchem tut es einfach gut, für manche wirkt es sich auch perspektivisch positiv aus, mancher entscheidet sich durch die Erfahrungen fürs künftige Leben positiv. Eine positive Weichenstellung, quasi. Das schrieben selbst viele. Es hat also einen abstrakten Wert, selbst wenn mir auch andere die da waren persönlich sagten, dass sie die Zeit gehasst haben oder keinen Mehrwert generieren konnten.
Ich habe viele ex-Soldaten (nicht nur WP sondern quasi beruflich, auf Zeit, etc.) erlebt die charakterlich und menschlich durchaus ihre "Quirks" und Ticks hatten, aber im wesentlichen sehr gefasst wirkten. Ich denke, das sagt also schon grob etwas darüber aus.
Durch das Konzept des Staatsbürgers in Uniform, die Idee der inneren Führung usw. denke ich auch, dass man es in Deutschland relativ gut hat(te) und nicht als "Sklave" betitelt werden kann. Das ist meines Erachtens eher eine Art "Überdramatisierung". Kann man bringen, ist mir aber etwas zu plakativ.
Okay, erst mal genug Text. Ich denke, man versteht was ich sagen will.