SophiaPetrillo schrieb:Die Mauer war wie in Stein gemeißelt ... unvorstellbar, dass das Ganze "friedlich" abgehen könnte.
So in der Art habe ich das auch erlebt.
Als "Baujahr 82er" habe ich natürlich noch nicht soviel mitbekommen, aber ich hatte Eltern, die zwar nicht politisch engagiert waren, sich aber dennoch gern wussten, was so um sie herum passiert und denen es auch stets wichtig war uns so kindgerecht wie eben möglich zu vermitteln wie die Welt in der wir leben aussieht, dass längst nicht jeder es so gut hat wie wir und das DDR-Regime direkt nebenan diente durchaus mal hier und da als Beispiel, dass Freiheit und "Möglichkeiten" ein hohes Gut sind und in Gefahr geraten können.
Als dann in diesem fast nicht zu glaubenden "Patzer" mal eben so irgendwie nebenbei verkündet wurde, dass jeder DDR-Bürger ab sofort "Reisefreiheit" habe, haben meine Eltern sich zwar sehr gefreut, aber ich erinnere mich auch noch gut daran, dass sie Angst hatten.
Das Echo kam ja auch recht flott, es wurde ja sehr schnell (ich weiß nicht mehr ob von DDR-Politikern oder russischen Instanzen) festgestellt, dass es um des Friedens willen gesünder sei, wenn die BRD Politiker diese Reisefreiheit nicht "überbewerten" und nicht den Fehler machen die Existenz zweier getrennter "deutscher Staaten" in Frage zu stellen.
Es gab da also durchaus eine, wenn auch zum Glück recht kurze Phase in der meine Eltern da schon ein Pulverfass gesehen haben, das nicht hochgehen könnte ohne auch den Westen oder zumindest Teile davon zu betreffen.
Das sich das Ganze dann derart friedlich und fast schon unbürokratisch "mal eben so" auflöste, das kam auch mir damals sureal vor, denn meine Eltern hatten zwar nie die Absicht gehabt uns in Panik zu versetzen, aber vor uns eben auch nicht versteckt, das die Lage eine ziemlich lange Zeit nicht sicher war.
knopper schrieb:ich sags mal so...die "Stasimenschen" waren auch nur Menschen, Menschen mit Gefühlen evt. mit Gewissensbissen usw...
Du weißt nicht soviel über Deine eigene Geschichte, oder?
Du sprichst hier (ganz besonders, wenn Du Dir mal anschaust wie das mit den IMs funktioniert hat) von Menschen, die nichts besseres zu tun hatten als ihren vorgeblichen Freundeskreis, Nachbar ganz oft sogar Familie systematisch zu bespitzeln und "Fehlverhalten" oder "falsches Gedankengut" zu melden.
In dem Wissen, dass das bedeuten konnte, dass "Republikflüchtlinge" wegen IHRES Hinweises mit ner Kugel im Rücken oder auf Jahre in dunkler Einzelhaft landeten, Kinder aus Familien gerissen wurden um ihre systemtreue Aufzucht durch Zwangsadoptionen sicher zu stellen.
Menschen die von solchen Leuten verraten wurden haben mitunter nie wieder nen gescheiten Job bekommen, keine Auslandsreisen mehr genehmigt, wussten, dass ganze Familien unter dem was diese Spitzel ausgetratscht haben leiden würden.
Und die Motive dieser Menschen waren üblicher Weise die niedersten, die es nur gab.
Politische Systemtreue, "Weil ich es kann." (also anderen das Leben zur Hölle machen, nur weil darum), auch Racheaktionen waren nicht selten.
Grade die IMs wurden in der Regel weder bezahlt und auch Erpressung um Leute für die Stasi spitzeln zu lassen gab es mehr als selten.
Du verteidigst hier also abgrundtief verabscheuungswürdiges Pack, dass anderer Leute Leben ruiniert hat, weil sie es konnten und aus absolut keinem anderen Grund und ohne dass sie Nachteile gehabt hätten, wenn sie sich stattdessen entschieden hätten sich wie anständige, soziale Menschen zu verhalten.
Es gab sogar Grenzposten und zwar nicht wenige, die es mehrfach geschafft haben grade ganz zufällig aufs Klo zu müssen oder die Waffe irgendwie grad zur Seite gestellt hatten um nen Butterbrot zu essen und deswegen bedauerlicher Weise nicht auf nen Flüchtling schießen bzw ihn generell leider, leider nicht erwischen konnten.
Die haben da ganz gewaltigen Ärger riskiert und trotzdem gab es sie und zwar nicht zu knapp.
Aber Stasispitzel waren wirklich das Letzte vom letzten und wer das schön bzw klein redet sollte sich ggf nochmal nen Buch zu dem Thema besorgen.
knopper schrieb:Ich denke mal dass da nach der Wende durchaus so mancher tief durchgeatmet hat "endlich ist es vorbei"...aber gut das sind jetzt nur Mutmaßungen.
Jup und Du mutmaßt falsch.
In den meisten Fällen war es genau umgekehrt.
Wie gesagt, Du verteidigst hier ein Pack, dass aus reinem "Spaß" und ohne jede Not Menschen ans Messer geliefert hat, die ihnen vertraut haben.
Nach der Wende, hatten die dann ganz gewaltiges Muffensausen.
Denn sie wussten genau, dass es über viele dieser Tätigkeiten Aufzeichnungen gab und es sehr wahrscheinlich war, dass diese Aufzeichnungen früher oder später zugänglich gemacht werden.
Oft standen die IMs ihren Opfern so nahe, dass die nicht mal im Traum daran gedacht hätten, dass der Mensch, der dafür verantwortlich war, dass:
- geliebte Menschen tot und/oder jahrelang in düsterer Einzelhaft waren
- jemand vom gutem Arzt zum Straßenfeger degradiert wurde
- nach Beantragung eines einfachen Westurlaubes ihre Kinder abgeholt um sie von systemtreuen Familien zwangsadoptieren zu lassen
- usw
mitunter noch Jahre danach mit ihnen Sonntags am Tisch saß, ggf sogar nen paar Krokodilstränen verdrückte, wenn diese verzweifelten Menschen grübelten, wer sie verraten/angeschwärzt haben könnte.
Natürlich wusste dieser Abschaum, dass jetzt nicht nur die Zeit vorbei ist in der sie Familien und Existenzen zerstören können, wann immer es ihnen Spaß macht.
Sie wussten auch, dass die Zeit kommen könnte zu der ihre Opfer Zugang zu ihren Berichten erhalten und die Erkenntnis wer sie da so munter ans Messer geliefert hat diese Leute vermutlich gar nicht fröhlich machen wird.
Denn wie gesagt, dass niemand als Spitzel arbeiten musste und es außer dem Gefühl Macht über das Leben Anderer zu haben auch üblicher Weise keine Vorteile gab war wohl bekannt, dass sie folglich eher nicht mit Vergebung rechnen dürften, sondern damit, dass ihnen nie wieder jemand vertraut war diesen Leutchen nach der Wende durchaus klar.
Kältezeit schrieb:In der Schule wurde die DDR erst einmal garnicht behandelt. Dafür 3 Mal der 2. Weltkrieg. Hat mich gestört.
Ja, die Erfahrung habe ich auch gemacht und leider ist es wohl immer noch so.
In der direkten Folge wächst grade eine Generation heran, die Vieles, was jahrelang praktisch direkt "nebenan" lief für völlig unmöglich hält und die Freiheit die wir genießen mit einer Selbstverständlichkeit behandelt, dass fraglich ist ob diese Leute von großem Wert sein werden, wenn es mal darum gehen sollte sich für den Erhalt dieser Freiheit einzusetzen.
knopper schrieb:abberline schrieb:
Ostberlin und die DDR waren für uns im Westen von Deutschland wie ein völlig anderes Land. Genau wie Polen oder die Tschechoslowakei (Tschechien und die Slowakei gab es ja nicht).
Also ich muss sagen das überrascht mich nun doch ein wenig. Ware das denn tatsächlich so?
Naja, wir wussten, dass Brieffreunde aus England und sogar aus den USA und jederzeit besuchen könnten, wenn z.B. die Sache mit den Reisekosten geklärt wäre.
Aber selbst die, die (wie ich) keine Verwandtschaft in der DDR hatten, wussten, dass das bei Freunden und Bekannten die derart nebenan lebten nicht gehen würde.
Teenager im Westen planten Rucksackreisen für "irgendwann mal" indem sie willkürlich den Atlas aufschlugen.
Uns wurde anerzogen auch Politik die "im Sinne des Volkes" zu sein scheint stets kritisch zu hinterfragen.
Wir wussten, dass in der DDR Menschen lebten, die von all dem kaum träumen durften.
In der DDR gab es keine Berichte über das, was Leute die in den Westen fliehen wollten zum Teil auf sich nahmen, was sie riskierten und zurück ließen.
Im Westen war das anders.
Jeder DDR Flüchtling wusste, dass er zumindest aus behördlicher Sicht nicht nur herzlich willkommen war, sondern auch mit Betreten von BRD-Boden niemand ihm die "BRD-Staatsbürgerschaft" verwehren würde.
Wir sahen Bilder in Zeitung und Fernsehen von Leuten die mit der Kleidung die sie am Leib hatten durch Schlamm krochen, durch Flüsse schwammen, Tunnel gruben...
Und unsere Medien berichteten auch von Todesfällen, sei es durch Grenzposten oder Menschen die ertranken, in ihren selbst gebauten Tunneln zu Tode kamen, bei dem Versuch mit selbstgebastelten Heißluftballons oder so zu fliehen den Tod fanden...
Wir wuchsen neben einer Grenze auf von der wir wussten, dass wir sogar gegen pinkeln könnten, während jemand, der sich von der anderen Seite näherte damit rechnen musste erschossen zu werden, um es mal übertrieben auszudrücken.
Ich wusste nicht ob in der DDR das Wort "Todesstreifen" benutzt wurde.
Wir kannten es.
Da musste man nicht einmal zu den Kindern gehören, die regelmäßig Urlaub in der Karibik machen.
Ein einfacher Tagestripp nach Österreich, Frankreich, in die Niederlande und Co machte ganz deutlich, dass die DDR etwas völlig anderes war.
Allein wenn ich mal überlege wie bildhaft ich mich an all das erinnere und ich war 1989 grade 7 Jahre alt.
Weltoffene Eltern hin und her, mit 7 hat man kein echtes politisches Bewusstsein.
Aber trotzdem wusste, ich, dass "da drüben" irgendwas ganz gewaltig nicht stimmt.
Mein Vater war begeisterter Wanderführer und wir verbrachten unseren Urlaub sehr oft im Harz.
Nach der Grenzöffnung und als meine Eltern sich hinreichend sicher waren, dass das Pulverfass entschärft ist wurde mein Rucksack gepackt und mein Vater konnte ENDLICH mit mir zusammen den Brocken besteigen.
Wenn selbst ein Kind in dem Alter in dem ich da war, dann auf dem Wanderweg merkt wie heftig der Grenzstreifen darauf getrimmt war, dass nichts und niemand ihn ungesehen durchschreitet, dann ist das ganz schön real.
Warum es im Auto eines guten Freundes meiner Eltern so "schöne Verstecke" gab wurde mir natürlich erst viele Jahre später klar und dann verstand ich auch, warum im Abstellraum immer ein Klappbett stand, das sehr schnell im Wohnzimmer aufgebaut werden konnte und manchmal Menschen am Frühstückstisch saßen, die ich nicht kannte
:).
knopper schrieb:...aber trotzdem war es wie ein "Stück" anderes Land, oder wie? Also so vom Gefühl her?
knopper schrieb:Nachbarn die in einem anderen Land wohnten? Ich kanns mir nur schwer vorstellen.
Wie gesagt, dass Vieles was für uns absolut selbstverständlich ist für DDR-Bürger absolut undenkbar war, dass wusste jeder, der nen Freund hatte, der Familie "drüben" hatte.
Das unsere Großeltern nur in den Zug steigen und Weihnachten bei uns sind, während das für die Familien deren Großeltern in der DDR leben undenkbar ist, es aber auch bei Kindern klappt, deren Großeltern in der Türkei leben..
DAS kriegen auch recht kleine Kinder mit.
Denk dran: im Westen ist auch vieles über das in der DDR kein Wort verloren wurde (zumindest nicht, wenn man nicht wusste wer zuhört) nicht nur selbstverständlich besprochen wurden, sondern tauchte auch in den Medien auf.
Alienpenis schrieb:wer waren denn diese "faschisten" eigentlich?
die, die 'raus wollten oder solche, die mal vorbeischauen wollten...
Naja, wenn man so ein Arbeiter- und Bauernparadies aufbaut, dann muss man seine Bürger doch auch umfangreich vor dem kapitalistischem Westen schützen!
Wenn man dabei dann auch gleich noch die bedauerlichen Einzelfälle, die dieses Paradies nicht zu schützen wissen davon abhalten kann in den Westen zu "fliehen" in dem diese aufrechten, sozialistischen Genossen doch untergehen MÜSSEN, dann ist doch alles Bestens, aber natürlich war das nicht der Hauptgrund.
Es ging immer nur um das Wohl der DDR-Bürger und darum sie vor Kapitalismus und Freiheit... äh Manipulation zu schützen! und wenn man dazu Minenfelder und Selbstschussanlagen braucht, dann wird das bestimmt gute Gründe haben
:)Rick_Blaine schrieb:Daher ja: wer nicht gerade zur Generation gehörte, die den Mauerbau bewusst miterlebt hatte, oder sehr intensive Verwandtschaftsbeziehungen über die Mauer hinweg pflegte, für den war die DDR "Ausland."
Teilweise auch grade die.
Unsere Eltern waren ja froh, dass sie uns kaum begreiflich machen konnten, dass "direkt nebenan" Menschen leben, die nicht nur nicht einfach mal so zu Besuch kommen können, sondern bereits das Auge des Sauron auf sich ziehen, wenn sie zu laut aussprechen, dass sie es gern mal machen würden oder gar einen Antrag darauf stellten.
Die Generation von der Du sprichst, hat praktisch live mit erlebt, dass die Grenze gebaut wurde u.A. weil dieses "Deutschland ist geteilt, wir meinen das echt ernst!" nicht so wirklich die Wirkung hatte, die erhofft und erwartet wurde.
Wer nah genug dran gewohnt hat, der hat miterlebt wie erst Stacheldraht ausgeworfen wurde.
Wie einige Menschen noch auf die letzten Tage doch lieber ihre sieben Sachen gepackt haben und in den Westen gegangen und da geblieben sind.
Sie haben gesehen wie während und nach dem Grenzbau Wohnungen geräumt, Fenster zugemauert, Häuser abgerissen wurde...
Es kurze Zeiten gab in denen die Haustür im Osten lag, das Fenster im Westen und der letzte Moment zum "Sprung in den Westen" noch genutzt wurde.
Wie zumindest ein ganzer Zug "rübermachte" kurz bevor es die dazu notwendige Strecke nicht mehr gegeben hätte.
Und jeder, der das so mitbekommen hat, der wusste auch oder konnte zumindest wissen, dass die Grenze nach Österreich, Frankreich usw "irgendwie ganz anders" ist.
abberline schrieb:Wobei ich selbst bei Pittiplatsch und Sandmännchen passen muss. Ich hatte nie Ostfernsehen und hab erst 1990 erstmals von diesen Dingen gehört.
Da haste was verpasst.
Das Ostsandmännchen gehörte wirklich zu den Dingen, die sie uns voraus hatten.
Wir waren nah genug dran und ich habs Ostsändmännchen geliebt, das westliche fand ich hingegen doof.
Außerdem waren die Ostampelmännchen viel toller.
Doors schrieb:Mit einer Wiedervereinigung hat im Westen ausser ein paar Träumern spätestens seit dem Mauerbau niemand mehr gerechnet. Jedenfalls mit keiner friedlichen.
So ist es.
Die, die politisch nah genug dran waren um mitzubekommen, dass Russland in der DDR immer mehr ein reichlich teures Statussymbol sah von dem sie sich immer unsicherer wurden ob sie es sich weiterhin leisten möchten, die ahnten zwar, dass da irgend etwas brodelte und früher oder später etwas passieren würde.
Für die Meisten war aber klar, dass das bedeueten würde "Da knallt es bald und zwar gewaltig."
Dass dieses Etwas ohne Panzergeschnaube und wirklich, wirklich unschöne Zeiten ablaufen würde, allein der Gedanke war absurd.
Die ganze Art wie die Wiedervereinigung dann ablief, das war für jeden, der den Kopf in den Fakten hatte einfach nur surreal und wer es nicht direkt mitbekam, sondern nur so erzählt kriegte, der hielt das Berichtete zumindest für einen Moment erstmal für einen echt kranken und abgrundtief bescheuerten Scherz.
"Die verkünden Reisefreiheit, dann wird nen bisschen geschnackt und anschließend schüttelt man Hände und unterschreibt Papierkram."
Das war eine "Wende" die SO ganz sicher niemand ernsthaft für möglich gehalten hätte.