@UNKNOWNbrother Gerettet habe ich noch niemanden - ich habe es nur zwei Mal nicht geschafft. Einmal, weil mir mein eigenes Leben zu lieb war, ein anderes Mal, weil alles zu spät war.
Wirklich schwach und hilflos fühlte ich mich manchmal bei journalistischen Auslandseinsätzen in Kriegsgebieten. Vor allem dann, wenn ich zusehen musste, wie Menschen starben, ohne ihnen in irgend einer Form Hilfe zukommen zu lassen. Zwei exemplarische Geschichten von vielen Extremsituationen hatte ich hier auch schon mal in anderen Zusammenhängen beschrieben. Es fällt mir leichter, sie einfach noch mal zu kopieren und 'rüberzuholen, als sie noch einmal detailliert zu beschreiben.
Wem das zu hart ankommt, der lese bitte nicht weiter:
Ich war 21 und konnte die Schreie des angeschossenen Kindes eine ganze Nacht und einen halben Tag lang hören. Dann ist es endlich gestorben.
Zunächst schreit ein Mensch nach Hilfe, dann nach Wasser, dann nach Gott und zuletzt nur noch nach seiner Mutter. Das kann man sogar ohne ausreichende Sprachkenntnisse verstehen.
Der Junge wollte Wasser holen an einer der wenigen intakten Zapfstellen im Palästinenserlager Tel as Satar im Libanon 1975, als ihn ein Scharfschütze der christlichen Falange-Miliz anschoss.
Und ich hocke vielleicht 10, 15 Meter entfernt hinter einem Autowrack und traue mich nicht 'raus, weil ich weiss, dass ein Scharfschütze nur auf mich - und andere HelferInnen - lauert.
Das ist die perverse Logik dieser Leute: Verletze ein Kind so, dass es schreit, lange schreit und nicht so schnell stirbt. Diesem Geschrei kann keiner wiederstehen. Dann töte alle Helfer.
In dieser endlos langen Zeit, als ich dort lag und krass gesagt: Abwägen musste, ob das Kind stirbt oder ich - da, gebe ich zu, habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als dass dieser mir unbekannte Junge sterben möge und sein Geschrei verstummen möge.
Ja, dafür schäme ich mich manchmal - und davon träume ich manchmal auch nach vierzig Jahren immer noch.
Ich habe 1984 einige Wochen in einem kleinen Dorf in Nicaragua zugebracht. Die Gegend galt als contra-gefährdet. Aus diesem Grund blieb auch die kleine Schule im Nachbardorf (ca. 7 km entfernt) geschlossen, die Kinder blieben murrend zu Hause, denn in solchen Ländern gehen die Kids noch gern zur Schule, wissend, dass sie nur so aus ihrem Elend heraus kommen können.
Nach ein paar Tagen waren die Dorfbewohner der Meinung, die Gefahr sei vorbei, die Contras abgezogen, die Gegend wieder sicher.
Also wurde die Schule wieder eröffnet, die Kinder konnten wieder lernen gehen.
Drei kleine Mädchen, vielleicht 8 bis 10 Jahre alt, gehen am frühen Morgen Hand in Hand die Strasse runter und singen ein Lied, dessen Text ich mit meinen geringen Spanischkenntnissen nicht verstehe. Fröhlich lachend winken sie mir zu und verschwinden hinter einer Wegbiegung. Es gibt einen gar nicht mal so lauten Knall. Eine Staubwolke steigt hinter den Büschen auf. Ich renne hin und finde die Kinder, bzw. das, was eine Mine von ihnen übrig gelassen hat. Eine ist überhaupt nicht mehr als Mensch zu erkennen,die andere hat keine Beine und kein Gesicht mehr. Die dritte stirbt in meinen Armen, weil ich ihre blutenden Beinstümpfe nicht richtig abbinden kann. Alles, was ich tun kann, ist, ihr immer wieder ein Schlaflied "Schlaf Kindlein, schlaf" zu singen und zu weinen, bis sie tot ist.