@betav Zuerst einmal:
Ich finde es sehr mutig von dir, dieses Thema anzusprechen. Geht es doch um die wahrscheinlich schwerste Aufgabe, die Eltern obliegt, nämlich sich damit auseinanderzusetzen, loslassen zu lernen. Ich persönlich kenne keine Eltern, denen das leichtfiele, insbesondere was die Frage & Sorge um die Kinder betrifft, dass sie ihr Leben gut meistern werden, wenn man mal nicht mehr ist.
Aus Sicht eines "Kindes", das beide Eltern recht plötzlich verloren hat, finde ich es sehr gut, dass du dich mit diesen Fragen auseinandersetzt, sowohl in deinem als auch im Interesse deiner Kinder.
Was mir sehr geholfen hat, es zu verkraften und mein Leben stabil weiterzuleben, war, dass wir bereits zu Lebzeiten und auch in jüngeren Jahren sehr offen und ehrlich auch mit den Themen Tod und Sterben umgegangen sind. Zu wissen, wie meine Eltern selbst zu diesem Thema stehen, zu wissen, was ihre Sorgen in Bezug auf uns waren und vor allem, was sie sich für uns wünschen und wie sie zu den Dingen stehen, die sie uns hinterlassen, hat uns nachfolgend eine klare Richtlinie gegeben, wie wir diese Dinge handhaben können, ohne als Hinterlassenschaft mit diffusen Schuldgefühlen, Zweifeln und offenen Fragen konfrontiert sein zu müssen.
Das fängt bei solch schnöden Bagatellen an, wie z.B., was wir mit Möbeln und Kleidung machen, an denen Erinnerungen hängen. "Darf" man sie weggeben/ wegwerfen? Sollten wir sie nicht lieber unser Leben lang behalten (und in unserem eigenen Leben "mitschleppen"), weil sie unseren Eltern etwas bedeutet haben, sie Mühe und Geld reinsteckten etc.? Da kann man ein Bild, einen Sessel schon immer potten hässlich gefunden haben - doch sterben die Eltern, wird plötzlich jeder auch noch so winzige Gegenstand und Schnipsel, den sie berührt haben, zum Heiligtum. Und auch für uns Kinder war es eine der schwersten Aufgaben, diese Dinge eines Tages loszulassen.
Die früheren Gespräche mit unseren Eltern hierüber haben es uns leichter gemacht. Ebenso wie ein Testament, das klar und explizit nicht nur die Regelungen, sondern auch persönlichen Wünsche (!) beinhaltete, wie wir diese Dinge handhaben können (nicht müssen!).
Auch die Gespräche darüber, wie sie zu Krankheit und Leiden stehen, hat uns in mancher Stunde hilfreiche Gedanken gegeben, wenn wir mal wieder stundenlang grübelten, ob wir etwas anders machen sollen, ob wir hätten mehr tun können, ob sie uns etwas vorwerfen, ob wir uns etwas vorzuwerfen haben. Natürlich gibt man sich auch den absurdesten Fragen hin! Vor allem jenen, die man zu Lebzeiten nie für möglich gehalten hat. Niemand hat zu Lebzeiten eine Vorstellung davon, welche Fragen es sind, mit denen man sich nach ihrem Tod konfrontiert sieht. Daher ist es so wichtig, zu wissen, wie sie zu Lebzeiten darüber dachten.
Einer der wichtigsten Punkte war auch, zu wissen, wie sie sich selbst ihre Beerdigung gewünscht hätten. Verstehe mich nicht falsch, das waren keine Gespräche, die wir hochoffiziell am Familienkrisenküchentisch sachlich besprochen hätten. Sondern es waren immer mal wieder hier und da ein paar Sätze, die sie sagten, die uns hinterher deutlich zeigten, wie wir diesen wichtigen letzten Gang gestalten werden, so dass es für sie als auch für uns ein "guter" und auch heilsamer Abschied würde, einer, auf dessen Grundlage man sein Leben neu aufstellen kann, ohne von Schuldgefühlen, Versäumnissen und Reue an die Vergangenheit festgekettet zu werden.
Wichtig war dafür auch, zu wissen, wer und was unseren Eltern im Leben wichtig war. Das heißt: zu wissen, WER unsere Eltern waren. Unsere Eltern haben uns an ihrem Leben, ihrer Vergangenheit und ihren Träumen teilhaben lassen. Und es war nach ihrem Tod sehr heilsam, einige Aufgaben und Ziele fortzuführen, die ihre eigenen Ziele und vielleicht offen gebliebene Aufgaben waren. Es war keine Last, sondern eine Erfüllung, diese fortführen zu können. Das war für uns heilsam und hat uns das Gefühl gegeben, aus ihrem Tod, dieser schlimmen Situation, noch etwas Gutes hervorzubringen. Das beinhaltete auch, mit für uns völlig wildfremden Menschen Kontakt aufzunehmen, von denen wir wussten, dass sie für unsere Eltern ein wichtiger Teil ihrer Vergangenheit waren. Als Kind kümmert man sich nicht darum, wer und warum wichtige Kontakte für sie waren. Aber nach ihrem Tod waren es genau diese Menschen, mit denen wir offen sprechen, uns gemeinsam mit ihnen erinnern und unsere Eltern neu kennenlernen konnten, was uns half, Offengebliebenes und Lücken unserer eigenen Vergangenheit schließen zu können. Das war wichtig.
Natürlich war es auch wichtig, dass unsere Eltern uns zu Lebzeiten nicht außen vor gehalten haben oder uns vorm Leben ferngehalten haben, so dass wir nachfolgend auch halbwegs gerüstet waren, was amtliche und behördliche Dinge betraf. Wichtig vor allem auch, dass ihre Finanzen geregelt waren, wir auch zu Lebzeiten Einblick darin hatten, um nicht im Todesfall, wie es vielen Anderen leider ergeht, plötzlich von tausend Bankbriefen erschlagen zu werden, wo zig Konten existieren, auf denen nichts als Schulden zu finden sind. Es ist wichtig und erleichtert den Umgang mit der Situation ungemein, zu sehen, dass die eigenen Eltern weitgehend alles abgesichert haben, wenn der Ernstfall eintritt.
Es gäbe viele viele Dinge zu diesem Thema zu sagen, aber das Wichtigste sind m.E. diese Gespräche, die man zu Lebzeiten über die o.g. Dinge führte, die es uns zumindest erheblich erleichterten, neu in unser Leben zu finden, trotz dieser schwierigen Situation. Der Verlust jedoch an sich, Eltern zu verlieren, egal in welchem Alter, ist nichts, auf das man vorbereitet werden kann. Das ist einfach eine Aufgabe, die jeder für sich allein im Leben bewältigen und lernen muss. Und das ist auch okay so. So ist das Leben.