First-world- oder echtes Problem?
14.06.2018 um 13:57
Zum Thema schrieb ich schon vor jahren in einem vergleichbaren Thread:
Natürlich ist es immer schwer, zu vergleichen.
Jemandem, der in Schwellenländern oder "Drittwelt"-Ländern ein paar Tage auf den Zug wartet, um dann unter Lebensgefahr einen Platz auf dem Dach zu ergattern, würde ein deutscher ICE geradezu als Hort der Pünktlichkeit und Krönung der Bequemlichkeit erscheinen, auch wenn es keine Dachplätze gibt.
Jemandem, der in einem Flüchtlingslager in der Wüste für eine Hand voll Reis ansteht, würde der unübersichtliche Supermarkt als Luxusproblem erscheinen.
Jemand, der Rechts-, Bildungs-, Verkehrs- oder Gesundheits"systeme" in anderen Ländern erleben muss, würde sich über die Zustände in der BRD glücklich schätzen.
Haben wir also kein Recht zu Jammern und Wehklagen?
Doch, haben wir, weil nichts so gut wäre, dass man es nicht noch verbessern könnte.
Was bleibt uns also als BMW-Fahrer, als Bahnreisender, als Supermarktkunde? Die Möglichkeit zur Kritik, zur Beschwerde, zum Protest, zum Boykott. Wir können uns wehren, ob nun gegen Tempolimits oder Supermärkte.
Bin ich mit dem Service von BMW nicht zufrieden, dann wechsle ich die Automarke oder den Job, wenn ich mit BMW arbeiten muss. BMWs umkippen und anzünden mag zwar ganz lustig sein, sorgt aber meist nur für mehr Profit bei BMW.
Bin ich mit dem Service der DB nicht zufrieden, dann mache ich meinem Ärger Luft, bombardiere die Beschwerde-Hotlines, mache das Personal rund, schreibe Leserbriefe oder machen bei Vereinen wie "Pro Bahn" mit. Oder fahre BMW :)
Ärgert mich mein Supermarkt, dann beschwere ich mich beim Marktleiter, wende mich an Verbraucherschutz-Organisationen oder an Verbraucher-Magazine im TV. Ich kann auch einen Boykottaufruf starten. Deutsche, kauft nicht bei REWE!
Ich muss nicht alles wehrlos hinnehmen. Es bringt auch nichts, das ganze grosse anonyme und böse System, die Gesellschaft, den Kapitalismus als gesichtsloses und damit unangreifbares "Ding" anzusehen, gegen das man nichts unternehmen kann. Jedes grosse Ganze besteht aus kleinen Teilen. Grosse Ganze sind schwer angreifbar, kleine Teile hingegen kann man gezielt attackieren.
Schaffft man es nicht allein, sucht man sich Verbündete, in dem man Öffentlichkeit herstellt, so wie Du es hier ja löblicherweise tust. Gemeinsam kann man mehr erreichen als allein.
Engagieren kann man sich in Bürgerinitiativen, NGOs, Parteien, Gewerkschaften, Interessenvertretungen aller Art. Das wird sicher nicht sofort die Revolution nach sich ziehen, bei der Autos brennen, Züge zum Entgleisen gebracht werden, Lärmschutzwände eingerissen werden oder Supermärkte geplündert werden - aber es ist immerhin ein Anfang.
Die Veränderung beginnt da, wo Du stehst. Das, was Dir von den genannten Chaos-Faktoren als Bedrohlichstes erscheint, solltest Du anfangen zu bekämpfen, und zwar da, wo Du stehst, mit den Mitteln, die Dir geboten erscheinen.
Das kann vom Gespräch mit dem Marktleiter bis zum bewaffneten Kampf gegen BMW so ziemlich alles sein. Du hast die Wahl der Waffen!