Zugzwang schrieb:Moral(philosophie, Ethik) ist allerdings die »zwischenmenschliche Instanz« die versucht persönliche Defizite zum Allgemeinwohl zu überwinden.
Damit hast du recht. Die Moral definiert einen Wertekatalog bzw. eine Handlungsmaxime, die dem Ziel eines friedlichen und zivilisierten Miteinanders innerhalb einer (heterogenen) Gesellschaft angelehnt ist.
Insofern ist es natürlich, bezogen auf dein Sparkassen-Beispiel, moralisch gesehen richtig, einem Menschen, der Hilfe benötigt, auch Hilfe zukommen zu lassen. Ungeachtet der Tatsache, um was für einen Menschen es sich handelt, wie er gekleidet war, etc.
Wie du aber ebenso richtig feststellst, gibt es neben der Moral noch unglaublich viele andere Faktoren, die unser Handeln beeinflussen. Ich denke, dass die allermeisten Menschen wissen, was moralisch gesehen als „das richtige Verhalten“ definiert wird (immer bezogen auf die Kultur, in der das Individuum lebt), und dennoch handeln sie alle dem mehr oder weniger zuwider und das oft gar nicht mal aus böser Absicht oder egozentrischer Gewissenlosigkeit, sondern aufgrund von Angst, Unsicherheit, Scham, Unwissenheit, Unachtsamkeit.
Das von dir genannte psychologische Phänomen existiert tatsächlich. Ebenso wie viele Menschen in puncto Ersthilfe Angst haben, einen Fehler zu machen, Angst haben, von der scheinbar hilflosen Person zurechtgewiesen oder gar angegriffen zu werden und sich aufgrund dessen in der Hoffnung wiegen, jemand anders würde schon eingreifen. Moralisch gesehen ist das natürlich verwerflich, aber es ist auch menschlich und es ist erklärbares Verhalten.
Ebenso wie es im Grunde auch menschlich und erklärbar ist, einem Obdachlosen gegenüber Ekel zu empfinden – viele wollen sich das vielleicht nicht eingestehen, aber wir Menschen sind noch immer maßgeblich von sehr primitiven Gefühlen und Urinstinkten geleitet. Und in der Natur ist es in Gefügen sozialer Säugetiere nicht unüblich, dass kranke, schwache oder unangepasste Individuen verstoßen und ausgesondert werden, da sie langfristig gesehen dem Überleben der Gruppe schaden.
Diese Mechanismen sind auch heute noch in uns präsent, nur werden sie zum Teil besser verschleiert und schön geredet – nichtsdestotrotz existieren sie. Auch wenn wir als fortschrittliche Gesellschaft eine solche Selektion nicht mehr nötig haben und sie moralisch gesehen deswegen auch nicht mehr zu rechtfertigen ist. Nachvollziehbar sind solche Reaktionen schon – der Unterschied wird dann dort gemacht, wo ich mir dieser Tatsache bewusst werde und sie aktiv reflektiere und mein Verhalten anpasse.
Ich behaupte, dass viele Menschen, die anderen gegenüber mit überproportional destruktiven Vorurteilen begegnen, neben anderen (psychischen) Defiziten, vorrangig sehr unreflektierte Menschen sind. Aber das führt an dieser Stelle zu weit ins Off-Topic. Ich denke allerdings, dass aus unserer Diskussion ganz gut hervorgegangen ist, dass diese Dinge keineswegs monokausal zu betrachten sind, sondern immer auf ganz viele einzelne Faktoren zurückzuführen sind, welche wiederum an weiteren einzelnen Faktoren hängen, wie ein Spinnennetz oder ein Mosaik, dessen kleinste Teile ein großes Ganzes ergeben.