Zugzwang schrieb:Jeder der einen Obdachlosen auf der Straße liegen sieht fühlt etwas (Empathie). Der eine angewidert, ein anderer hat Mitgefühl.
Hier muss ich noch mal kurz einhaken.
Ich denke, es ist wichtig, zwischen den eigenen Gefühlen und der Empathie zu differenzieren. Nicht jeder, der in seiner Empathie eingeschränkt ist, ist auch automatisch "gefühllos". Die Empathie beschreibt ausschließlich die Fähigkeit, mich in eine andere Person hineinzuversetzen (gedanklich wäre das dann die kognitive Empathie) und an seinen Gefühlen zu partizipieren, sie quasi "mit zu fühlen" (affektive/emotionale Empathie). Diese Fähigkeit ist von meinem Zugang zu meinen eigenen Gefühlen erst einmal unabhängig zu betrachten, obgleich es schon so ist, dass Menschen, die in ihrer Empathie besonders stark eingeschränkt sind, oft auch einen schlechten Zugang zu ihren eigenen Gefühlen haben.
Wenn ich also einen Obdachlosen auf der Straße sehe und Ekel empfinde, dann würde ich das nicht als Empathie bezeichnen, sondern schlicht als ein Gefühl, das
ich bei seinem Anblick empfinde.
Fühle ich mich hingegen schlecht und stelle mir die Frage, wie es ihm gehen könnte, überlege vielleicht, wie man ihm helfen könnte, dann wäre das Empathie, denn ich versuche mich in diesen anderen Menschen hineinzuversetzen und fühle dabei das Elend, das sich mir bei seinem Anblick bietet.
Ansonsten gehen wir schon konform, denke ich.
Unzurechnungsfähigkeit wird, zumindest vor Gericht, ohnehin anders definiert und nicht jeder, der nachweislich nicht empathisch ist, ist auch automatisch schuldunfähig.
Ich denke im Übrigen nicht, dass wir heutzutage weniger empathisch sind als früher (ich meine das schon einmal in diesem Thread erwähnt zu haben), sondern eher im Gegenteil. Wir verstehen heute viel mehr und werden toleranter - den Grund für unser wachsendes Unsicherheitsgefühl und die gestiegene innere Unruhe vermute ich eher an anderer Stelle. Steigende Komplexität und Anforderungen an den einzelnen Menschen, Informationsflut über die Massenmedien, Globalisierung und damit steigende Anonymität, Leistungsdruck, etc.
Natürlich könnte man sich fragen, ob das auch die Empathiefähigkeit des Menschen beeindlusst, was es wohl auch irgendwo tut, nur denke ich, dass wir in vergangenen Epochen nicht weniger Probleme mit - und untereinander hatten. Sie waren nur einfach "anders".