Warum gibt es nur so viele Atheisten ?
23.09.2007 um 00:05
DER WERT DER RELIGION
Wie stark das Gesicht einer menschlichen Gemeinschaft und das Leben des Einzelnen in ihr von der
Religion geprägt wird, kann man kaum besser schildern, als Guardini es in seinem Buch über die
Gestalten in Dostojewskijs Romanen getan hat. Das Leben dieser Gestalten ist vom Kampf um die
religiöse Wahrheit in jedem Augenblick erfüllt, es ist gewissermaßen vom christlichen Geist durchtränkt,
und so spielt es nicht einmal eine besonders wichtige Rolle, ob diese Menschen im Kampf um das Gute
siegen oder unterliegen. Auch die größten Schurken unter ihnen wissen noch, was gut und was böse ist,
sie messen ihr Tun an den Leitbildern, die das christliche Vertrauen ihnen gegeben hat. Hier gleitet auch
der bekannte Einwand gegen die christliche Religion ab, daß die Menschen sich in der christlichen Welt
genauso schrecklich aufgeführt hätten wie außerhalb. Das ist zwar leider wahr, aber die Menschen
bewahren in ihr ein klaresUnterscheidungsvermögen von gut und böse; und nur dort, wo dies noch vorhanden
ist, bleibt die Hoffnung auf Besserung. Wo keine Leitbilder mehr den Weg bezeichnen, verschwindet
mit der Wertskala auch der Sinn unseres Tuns und Leidens, und am Ende können nur Negation
und Verzweiflung stehen.
Die Religion ist also die Grundlage der Ethik, und die Ethik ist die Voraussetzung des Lebens. Denn wir
müssen ja täglich Entscheidungen treffen, wir müssen die Werte wissen oder mindestens ahnen, nach
denen wir unser Handeln ausrichten. An dieser Stelle erkennt man auch den charakteristischen
Unterschied zwischen den eigentlichen Religionen, in denen der geistige Bereich, die zentrale geistige
Ordnung der Dinge eine entscheidende Rolle spielt, und den engeren Denkformen, besonders unserer
Zeit, die sich nur auf die gerade erfahrbare Gestalt einer menschlichen Gemeinschaft beziehen. Solche
Denkformen gibt es in den liberalen Demokratien des Westens ebenso wiein den totalitären Staatsgebilden
des Ostens. Zwar wird auch hier eine Ethik formuliert, aber es wird von einer Norm des
sittlichen Verhaltens gesprochen, und diese Norm wird aus einer Weltanschauung, d.h. aus dem
Anschauen der unmittelbar sichtbaren, erfahrbaren Welt hergeleitet.
Die eigentliche Religion aber spricht nicht von Normen, sondern von Leitbildern, nach denen wir unser
Tun richten sollen und denen wir bestenfalls nahekommen können. Und diese Leitbilder entstammen
nicht dem Anschauen der unmittelbar sichtbaren Welt, sondern dem Bereich der dahinter liegenden
Strukturen, von dem Plato als dem Reich der Ideen gesprochen hat und über den in der Bibel der Satz
steht: Gott ist Geist.
Die Religion ist aber nicht nur die Grundlage der Ethik, sie ist, und auch dies können wir von Guardini
lernen, vor allem die Grundlage des Vertrauens. So wie wir als Kinder die Sprache lernen und die in ihr
mögliche Verständigung als wichtigstenBestandteil des Vertrauens zu den Menschen empfinden, so
entsteht aus den Bildern und Gleichnissen der Religion, die ja auch eine Art dichterische Sprache
darstellen, das Vertrauen in die Welt, in den Sinn unseres Daseins in ihr. Die Tatsache, daß es viele verschiedene
Sprachen gibt, ist dabei gar kein Einwand, auch nicht der Umstand, daß wir scheinbar zufällig
in einen bestimmten Sprachraum oder Religions-bereich hineingeboren sind und davon geprägt werden.
Wichtig ist ja nur, daß wir in dieses Vertrauen zur Welt hineingeführt werden, und das kann in jeder
Sprache geschehen.
Für die Menschen aus dem russischen Volk zum Beispiel, die in Dostojewskijs Romanen auftreten und
über die Guardini schreibt, ist das Wirken Gottes in der Welt ein stets wiederholtes unmittelbares
Erlebnis, und so erneuert sich ihr Vertrauen immer wieder, auch wenn die äußere Not dem scheinbar
unerbittlich im Wege steht.
Schließlich ist die Religion, wie ich schon sagte,von entscheidender Bedeutung für die Kunst. Wenn wir,
so wie wir es getan haben, mit Religion einfach die geistige Gestalt bezeichnen, in die eine menschliche
Gemeinschaft hineingewachsen ist, so ist es fast selbstverständlich, daß auch die Kunst ein Ausdruck der
Religion sein muß. Ein Blick in die Geschichte der verschiedensten Kulturkreise lehrt, daß man in der Tat
die geistige Gestalt einer früheren Zeit am unmittelbarsten aus den noch erhaltenen Kunstwerken
erschließen kann, selbst wenn man die religiöse Lehre, in der die geistige Gestalt formuliert worden ist,
kaum mehr kennt.