@moric Ja, im Prinzip ist es genau das, was du sagst, der gut verknüpfende Verstand, aber durch die Hochsensibilität bezieht man wesentlich mehr Details ein, die anderen gar nicht auffallen. Ich weiß oft selber nicht, wie ich auf die Dinge komme, die ich da ausspucke. Erinnerst du dich an diese Art Fragestellung aus Klassenarbeiten, wenn du nicht nur die Lösung nennen sollst, sondern auch erklären, wie du darauf kommst? Letzteres funktioniert bei mir nicht, meine Psychiaterin nennt es "verwilderte" Hochbegabung. In tatsächlichen Prüfungssituationen weiß ich dann gefühlt gar nichts, weil meine Art von Wissen mir selbst wie raten vorkommt, nur, dass ich eben immer richtig "rate". Ich hab selber kein Vertrauen in diese Begabung. Es ist für mich nur ein Bauchgefühl, kein tatsächliches Wissen, dass ich aus einer klaren Erinnerung abrufen kann. Daran ist aber mehr das Bilderdenken schuld, weniger die Hochsensibilität.
Also eigentlich ist es schon Wissen, versichert mir meine Therapeutin, aber durch mein Bilderdenken kann ich es oft nicht erklären, es ist nur schwer in Worte zu fassen. Ich kann ja schlecht sagen: Doch, das wird klappen, ich sehe es, weil in meinem Kopf all diese bunten, lustigen Formen reibungslos ineinandergreifen und miteinander verschmelzen. Oder: nein, das geht nicht, da ist ein kaputtes Zahnrad dazwischen. Wenn da in Wirklichkeit gar kein Zahnrad ist, verstehst du? Oder: Warte, ich muss in meinem Kopf das Licht ausmachen, damit ich diese Infomation finde, sie leuchtet nämlich im Dunkeln. Da sag ich dann lieber: Du, keine Ahnung, das weiß ich nicht.
Ja, ich habe all diese Störungen auf einmal. Es ist einfach zu viel passiert und ich kann nichts davon vergessen. Und ich denke, ohne die Hochsensibilität hätten bestimmte belastende oder gar traumatisierende Erlebnisse aus meiner Kindheit nicht so lange und intensiv auf mich eingewirkt. Mit mehr Rückhalt und Verständnis seitens meiner Familie hätte ich vielleicht das Selbstbewußtsein und die Nervenstärke entwickeln können, manches anders zu verarbeiten. Aber ich wurde einerseits von der normalen Gesellschaft isoliert, durch unsere Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas während meiner Kindheit, und durch die Hochsensibilität war ich zusätzlich noch innerhalb meiner eigenen Familie wie isoliert, immer anders als der Rest, immer das seltsame Kind. Ich habe weder von innen noch von außen ein gesundes, soziales Miteinander erfahren dürfen. Meine Familie ist etwas...naja, sagen wir, rustikal.
Auf diese Online-Tests bin ich auch erst gestoßen, nachdem meine Psychiaterin mich als hochsensibel bezeichnet hat und nachdem meine Therapeutin mich getestet hat. Vorher habe ich mich nicht mit dem Thema befasst, überhaupt nichts davon gewußt. Grade von Zart besaitet halte ich selber nicht viel. Natürlich ist bei den Onlinetests ein ganz klares Muster erkennbar, natürlich kann man diese so beantworten, dass man auf jeden Fall hochsensibel ist, wenn man es denn sein möchte. Und umgekehrt. Die Therapeutin testet anders. Man spricht bei jeder einzelnen Frage ausführlich über Beispielsituationen und es dauert auch insgesamt viel länger als so ein Onlinetest. Das ging seitenweise und über mehrere Sitzungen. Sie hat auch am Ende keine Punktzahl genannt, sondern lediglich gesagt, dass ich in allen Bereichen sehr eindeutige Ergebnisse in Richtung ausgeprägte Hochsensibilität habe.
Für mich fühlt es sich einfach nur an, als sollte es mich eigentlich gar nicht geben, nicht hier und nicht heute. Ich wäre vielleicht ein prima Steinzeitmensch mit guten Instinken und hohen Überlebenschancen gewesen, aber das hier...puh.