Emze
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Behinderte - provokant betrachtet
14.01.2014 um 12:29"Koreander" hat mich gerade in einem anderen Thread zu diesem Beitrag, den ich vor vielen Jahren geschrieben habe, inspiriert.
Ist allerdings etwas für geduldige Leser und Freunde langer Texte ;-)
Recht auf Leben
Provokante Betrachtung über Behinderte
Wenn es um heikle Themen wie Moral und Ethik geht, gibt es oft einen großen Unterschied zwischen Gesagtem und Gedachtem. Gehen wir mal unters Volk und fragen, ob Behinderte, besonders geistig Behinderte ein Recht auf Leben haben oder ob es nicht für alle Beteiligten besser wäre, wenn es diese Geschöpfe gar nicht gäbe.
Eine Welle von Empörung und Entrüstung über eine so dumme und ungehörige Frage würde uns entgegenschlagen und wir würden fast überall die gleiche Antwort bekommen, eine Antwort, die wir ganz automatisch erwarten, weil sie den allgemeinen Moral und Ethikvorstellungen entspricht: »natürlich hat jeder Mensch ein Recht auf Leben«. Jeder wird sich hüten, in der Öffentlichkeit etwas anderes von sich zu geben. Und von denen, die anders darüber denken, würde kaum jemand wagen, dies auszusprechen. Die meisten von ihnen trauen sich nicht einmal zu denken, was sie wirklich denken, weil sie sofort von Schuldgefühlen behelligt würden.
Wird die Behinderung eines Kindes rechtzeitig, schon im Mutterleib erkannt, wird dieses Kind noch ganz legal „zum Abschuss“ freigegeben. In diesem Stadium wagen wir es gerade noch zuzugeben, dass ein solches Leben wohl doch nicht lebenswert ist und nur eine Belastung sein würde, von den Kosten ganz zu schweigen.
Doch ist so ein Kind erst mal geboren wird es schon erheblich schwieriger. Ärzte und Schwestern die dieses Kind zuerst zu sehen bekommen, denken im ersten Moment vermutlich fast alle ähnlich »du lieber Himmel, wäre dieses Kind doch besser tot geboren«. Doch kaum einer wagt es solche Gedanken auszusprechen, weil er der Entrüstung seines Umfeldes sicher sein kann.
Ein gesunder Mensch kann sich nun mal nicht vorstellen, worin die Lebensqualität eines Behinderten, insbesondere geistig Behinderten liegt.
Aber auch mit Körperbehinderten tun wir uns schwer. Wie kann ein Mensch glücklich und zufrieden sein, wenn er nicht laufen kann, nicht tanzen, nicht Ski fahren, nicht durch Berglandschaften wandern? Was ist das für ein Leben?
Wie kann jemand glücklich und zufrieden sein, wenn er keine Hände hat, wenn er nicht basteln, handarbeiten, kochen kann. Er kann nicht einmal allein ein Buch lesen, weil er nicht umblättern kann, kann sich nicht waschen oder anziehen.
Was ist das für ein Leben?
Wie kann jemand glücklich und zufrieden sein, wenn er nicht sehen kann. Das Erwachen der Natur im Frühling, die satte Fülle, das bunte Treiben im Sommer, die faszinierende Farbenpracht des Herbstes oder die wunderschöne schneebedeckte, weiße Landschaft an einem strahlenden, sonnigen Wintertag!?
Was ist das für ein Leben?
Wie kann jemand glücklich und zufrieden sein, wenn er nicht hören kann. Nicht den Gesang und das Gezwitscher der Vögel, nicht das Rauschen der Bäume eines Waldes im Wind, nicht das tosende Brausen des Meeres, nicht die wunderschöne Stimme Pavarottis. Wie schrecklich niemals Mozart oder Strauss hören zu können, oder James Blunt, die Beatles oder Lindenberg?
Was für ein Leben soll das sein?
Jeder Mensch ist ein individuelles Einzelstück. Wenn sich auch Gedanken und Empfindungen vieler Menschen in bestimmten Situationen ähneln, so werden sie doch niemals im selben Augenblick dieselben sein. Uns so misst auch jeder Einzelne von uns die Qualität eines Lebens an seinen eigenen individuellen Empfindungen.
Für jemanden der dahinschmilzt und die Welt vergisst, wenn er Mozart hört, scheint das Leben nicht mehr lebenswert, müsste er auf diesen Genuss verzichten.
Ein leidenschaftlicher Bergsteiger oder Sportler kann sich nicht vorstellen, was ein Leben im Rollstuhl lebenswert macht.
Jeder geht nur von seinen eigenen Gefühlen, Erfahrungen und Erkenntnissen aus. Wie sollte er auch anders, er kennt ja nur diese wirklich. Woher soll er wissen, was in einem anderen Menschen vorgeht. Manche glauben es zu wissen, können jedoch bei ihren Vermutungen auch nur wieder von sich selbst ausgehen. Wir können es einfach nicht wissen. Was wir jedoch können, ist uns mehr Toleranz und Offenheit aneignen, für Dinge die außerhalb unseres eigenen Gedankenapparates noch existieren. Wir können versuchen, die Individualität des Anderen zu akzeptieren und sollten aufhören uns andere Köpfe zu zerbrechen. Wir könnten aufhören, Dinge und Menschen zu verurteilen, nur weil wir sie nicht verstehen. Jeder kann nur das begreifen, was er aufgrund seiner bisherigen Lebenserfahrung nachvollziehen kann, das, was er mit selbst Erlebtem, Gesehenem und Gefühltem vergleichen kann.
Warum sagen wir z.B. Kindern oft, das verstehst du noch nicht? Weil ihnen eben entsprechende Vergleichserfahrungen noch fehlen.
Die Summe des Erlebten, Gesehenem und Gefühltem ist die Lebenserfahrung und die ist eben bei jedem sehr unterschiedlich. Deshalb können wir bei niemandem voraussetzen, dass er uns auf Anhieb versteht. Und so gibt es auch vieles was wir nicht verstehen. Wir sollten es deshalb nicht unwirsch von uns weisen, sondern einfach nur beobachten, fragen und lernen.
Das Schlimmste für einen Behinderten, ist sicher nicht seine Behinderung, sondern der Umgang mit den sogenannten „Normalen“.
Viele „Normale“ fühlen sich Behinderten gegenüber unsicher und gehen ihnen lieber aus dem Weg, weil sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen. Es ist für einen „Normalen“ fast unmöglich, sich einem Behinderten gegenüber völlig unbefangen zu verhalten, wenn sie sich das erste Mal begegnen. Es entsteht auf beiden Seiten eine spannungsgeladene Unsicherheit. Die „Normalen“ versuchen diese Unsicherheit zu überspielen und sich so „normal“ wie möglich zu verhalten, während sie fast zwangsläufig denken, »armer Teufel, was ist das für ein Leben«. Der Behinderte spürt diese Gedanken, was seinerseits sein Unbehagen steigert.
Wir brauchen mehr Offenheit und Verständnis auf beiden Seiten. Wir „Normalen“ sollten vielleicht zunächst einmal in Erwägung ziehen, dass es doch etwas geben könnte, was das Leben dieser Menschen lebenswert macht, von dem wir nur einfach nichts wissen......können.
Und die Behinderten sollten vielleicht ein wenig nachsichtiger mit den „Normalen“ sein.
Vielleicht sollten sie einem „Normalen“, der sie hilflos ansieht oder versucht, gerade das zu vermeiden, einfach sagen, »mach dir keine Gedanken Kumpel, mir geht`s besser als du denkst. Und nun steh nicht so belämmert rum, sondern schieb mich ruhig ein Stück, wenn du sowieso in meine Richtung gehst«
Das Eis wäre sicher auf beiden Seiten gebrochen.
Es gibt natürlich auch Behinderte, die grantig die Hilfe der „Normalen“ ablehnen, was uns natürlich zusätzlich verunsichert, weil wir nie wissen, ob wir an so einen geraten. Und viele von uns machen dann lieber einen Bogen um einen Rollstuhlfahrer, der vielleicht Hilfe haben wollte. Wir gehen dem Risiko aus dem Weg vielleicht angefaucht zu werden »ich brauche ihre Hilfe nicht«, ein Ausdruck von Verbitterung jener die vielleicht noch mit ihrer Lebenslage zu kämpfen haben.
Wir Menschen, jedenfalls die meisten von uns, haben einen natürlichen Drang zur Hilfsbereitschaft. Wenn wir z.B. jemanden sehen, der sein Auto schiebt, springen wir ganz spontan hinzu und schieben mit.
Wenn eine Mutter mit ihrem Kinderwagen in den Bus einsteigen will, findet sich ganz automatisch jemand, der mit anfasst.
Wenn wir jemanden sehen, der sich abmüht, ein schweres Möbelstück auf einen Hänger zu laden, packen wir ganz selbstverständlich mit an. Und genauso selbstverständlich stehen wir einem Rollstuhlfahrer zur Verfügung, der Hilfe braucht und annehmen möchte. Das hat in dem Moment nichts mit seiner Behinderung zu tun, sondern ist zum Glück eine unserer natürlichen Tugenden. Und das ist etwas, was so mancher Behinderte noch nicht begriffen hat und noch lernen muss. Es gibt eben auch unter den Behinderten offene, freundliche und verständnisvolle Menschen sowie grantige Griesgrame.
Aber was soll`s, ist doch alles normal. Reden wir drüber.
Ein anderes Problem ist das Verständnis für geistig Behinderte. Der erste unterschwellige oder auch offene Gedanke beim Anblick eines solchen Wesens, dass seine Umwelt scheinbar überhaupt nicht wahrnimmt, ist meistens, »wozu lebt so einer überhaupt? Die vegetieren nutzlos vor sich hin, merken nichts und kosten den Staat Millionen. Wozu das alles?«
Doch wir sollten uns mal die Mühe machen, etwas weiter zu denken. Keiner von uns sog. „Normalen“ kann sich in so einen Menschen hineinversetzen und eine eventuelle Lebensqualität nachempfinden. Aber das heißt ja nicht, dass es sie nicht vielleicht doch gibt. Wer will das wissen?
Nur weil wir uns etwas Bestimmtes nicht vorstellen können, weil es aufgrund unserer beschränkten persönlichen Erfahrung jenseits unseres Begriffvermögens ist, bedeutet das ja nicht, dass es das, was immer es sein mag, nicht gibt.
Wie wollen wir wissen, was in so einem scheinbar geistig völlig abwesenden Individuum vor sich geht. Jeder Mensch hat seine eigenen Vorstellungen und macht sich sein eigenes Bild. Versuchen wir z.B. einem blind geborenem die Farbe rot zu erklären. Wir werden verzweifelt nach Worten und Vergleichen suchen und der Blinde wird sich irgendein Bild machen, obwohl er mit unseren Vergleichen natürlich überhaupt nichts anfangen kann. Aber er hat sein Bild und wir haben unseres. Und beide sind so verschieden, wie ein Stück Sahnetorte und ein Rollschuh, aber für beide ist das Bild real, denn jeder hat seine eigene Realität.
Vielleicht haben diese geistig entschwebten auch ihre Realität. Auf irgendeiner Ebene sicher. Es ist nicht die unsere. Aber sie sind nun einmal da und haben, wie jedes andere Lebewesen, ein Recht in ihrer Welt auf unserer Erde zu leben.
Jeder von uns hat seine Aufgabe im Leben. Mag die Aufgabe dieser vermeintlich armen Geschöpfe darin bestehen, den Rest der Welt zum Nachdenken und zu mehr Toleranz anzuregen. Wir wissen nichts von diesen Menschen, denn sie können sich uns nicht mitteilen. Wir wissen nicht einmal, ob sie überhaupt ein Ich-Bewusstsein haben und wissen, was leben heißt und ob sie überhaupt etwas vom Leben haben.
Nach unseren Maßstäben sicher nicht. Aber was sind unsere Maßstäbe denn eigentlich wert? Wer oder was sind wir denn überhaupt. Ein kleiner unscheinbarer Haufen auf einem „Staubkorn“ im Universum.
Und weil wir so vieles nicht wissen, sollten wir nicht so vermessen sein, jemandem das Recht auf Leben abzusprechen.
Mit den Körperbehinderten können wir uns zumindest verständigen und wenn beide Seiten lernen, das Problem von beiden Seiten zu betrachten, gibt es vielleicht eines Tages keine Behinderten und „Normalen“ Menschen mehr, sondern einfach nur noch Menschen.
:-)
Ist allerdings etwas für geduldige Leser und Freunde langer Texte ;-)
Recht auf Leben
Provokante Betrachtung über Behinderte
Wenn es um heikle Themen wie Moral und Ethik geht, gibt es oft einen großen Unterschied zwischen Gesagtem und Gedachtem. Gehen wir mal unters Volk und fragen, ob Behinderte, besonders geistig Behinderte ein Recht auf Leben haben oder ob es nicht für alle Beteiligten besser wäre, wenn es diese Geschöpfe gar nicht gäbe.
Eine Welle von Empörung und Entrüstung über eine so dumme und ungehörige Frage würde uns entgegenschlagen und wir würden fast überall die gleiche Antwort bekommen, eine Antwort, die wir ganz automatisch erwarten, weil sie den allgemeinen Moral und Ethikvorstellungen entspricht: »natürlich hat jeder Mensch ein Recht auf Leben«. Jeder wird sich hüten, in der Öffentlichkeit etwas anderes von sich zu geben. Und von denen, die anders darüber denken, würde kaum jemand wagen, dies auszusprechen. Die meisten von ihnen trauen sich nicht einmal zu denken, was sie wirklich denken, weil sie sofort von Schuldgefühlen behelligt würden.
Wird die Behinderung eines Kindes rechtzeitig, schon im Mutterleib erkannt, wird dieses Kind noch ganz legal „zum Abschuss“ freigegeben. In diesem Stadium wagen wir es gerade noch zuzugeben, dass ein solches Leben wohl doch nicht lebenswert ist und nur eine Belastung sein würde, von den Kosten ganz zu schweigen.
Doch ist so ein Kind erst mal geboren wird es schon erheblich schwieriger. Ärzte und Schwestern die dieses Kind zuerst zu sehen bekommen, denken im ersten Moment vermutlich fast alle ähnlich »du lieber Himmel, wäre dieses Kind doch besser tot geboren«. Doch kaum einer wagt es solche Gedanken auszusprechen, weil er der Entrüstung seines Umfeldes sicher sein kann.
Ein gesunder Mensch kann sich nun mal nicht vorstellen, worin die Lebensqualität eines Behinderten, insbesondere geistig Behinderten liegt.
Aber auch mit Körperbehinderten tun wir uns schwer. Wie kann ein Mensch glücklich und zufrieden sein, wenn er nicht laufen kann, nicht tanzen, nicht Ski fahren, nicht durch Berglandschaften wandern? Was ist das für ein Leben?
Wie kann jemand glücklich und zufrieden sein, wenn er keine Hände hat, wenn er nicht basteln, handarbeiten, kochen kann. Er kann nicht einmal allein ein Buch lesen, weil er nicht umblättern kann, kann sich nicht waschen oder anziehen.
Was ist das für ein Leben?
Wie kann jemand glücklich und zufrieden sein, wenn er nicht sehen kann. Das Erwachen der Natur im Frühling, die satte Fülle, das bunte Treiben im Sommer, die faszinierende Farbenpracht des Herbstes oder die wunderschöne schneebedeckte, weiße Landschaft an einem strahlenden, sonnigen Wintertag!?
Was ist das für ein Leben?
Wie kann jemand glücklich und zufrieden sein, wenn er nicht hören kann. Nicht den Gesang und das Gezwitscher der Vögel, nicht das Rauschen der Bäume eines Waldes im Wind, nicht das tosende Brausen des Meeres, nicht die wunderschöne Stimme Pavarottis. Wie schrecklich niemals Mozart oder Strauss hören zu können, oder James Blunt, die Beatles oder Lindenberg?
Was für ein Leben soll das sein?
Jeder Mensch ist ein individuelles Einzelstück. Wenn sich auch Gedanken und Empfindungen vieler Menschen in bestimmten Situationen ähneln, so werden sie doch niemals im selben Augenblick dieselben sein. Uns so misst auch jeder Einzelne von uns die Qualität eines Lebens an seinen eigenen individuellen Empfindungen.
Für jemanden der dahinschmilzt und die Welt vergisst, wenn er Mozart hört, scheint das Leben nicht mehr lebenswert, müsste er auf diesen Genuss verzichten.
Ein leidenschaftlicher Bergsteiger oder Sportler kann sich nicht vorstellen, was ein Leben im Rollstuhl lebenswert macht.
Jeder geht nur von seinen eigenen Gefühlen, Erfahrungen und Erkenntnissen aus. Wie sollte er auch anders, er kennt ja nur diese wirklich. Woher soll er wissen, was in einem anderen Menschen vorgeht. Manche glauben es zu wissen, können jedoch bei ihren Vermutungen auch nur wieder von sich selbst ausgehen. Wir können es einfach nicht wissen. Was wir jedoch können, ist uns mehr Toleranz und Offenheit aneignen, für Dinge die außerhalb unseres eigenen Gedankenapparates noch existieren. Wir können versuchen, die Individualität des Anderen zu akzeptieren und sollten aufhören uns andere Köpfe zu zerbrechen. Wir könnten aufhören, Dinge und Menschen zu verurteilen, nur weil wir sie nicht verstehen. Jeder kann nur das begreifen, was er aufgrund seiner bisherigen Lebenserfahrung nachvollziehen kann, das, was er mit selbst Erlebtem, Gesehenem und Gefühltem vergleichen kann.
Warum sagen wir z.B. Kindern oft, das verstehst du noch nicht? Weil ihnen eben entsprechende Vergleichserfahrungen noch fehlen.
Die Summe des Erlebten, Gesehenem und Gefühltem ist die Lebenserfahrung und die ist eben bei jedem sehr unterschiedlich. Deshalb können wir bei niemandem voraussetzen, dass er uns auf Anhieb versteht. Und so gibt es auch vieles was wir nicht verstehen. Wir sollten es deshalb nicht unwirsch von uns weisen, sondern einfach nur beobachten, fragen und lernen.
Das Schlimmste für einen Behinderten, ist sicher nicht seine Behinderung, sondern der Umgang mit den sogenannten „Normalen“.
Viele „Normale“ fühlen sich Behinderten gegenüber unsicher und gehen ihnen lieber aus dem Weg, weil sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen. Es ist für einen „Normalen“ fast unmöglich, sich einem Behinderten gegenüber völlig unbefangen zu verhalten, wenn sie sich das erste Mal begegnen. Es entsteht auf beiden Seiten eine spannungsgeladene Unsicherheit. Die „Normalen“ versuchen diese Unsicherheit zu überspielen und sich so „normal“ wie möglich zu verhalten, während sie fast zwangsläufig denken, »armer Teufel, was ist das für ein Leben«. Der Behinderte spürt diese Gedanken, was seinerseits sein Unbehagen steigert.
Wir brauchen mehr Offenheit und Verständnis auf beiden Seiten. Wir „Normalen“ sollten vielleicht zunächst einmal in Erwägung ziehen, dass es doch etwas geben könnte, was das Leben dieser Menschen lebenswert macht, von dem wir nur einfach nichts wissen......können.
Und die Behinderten sollten vielleicht ein wenig nachsichtiger mit den „Normalen“ sein.
Vielleicht sollten sie einem „Normalen“, der sie hilflos ansieht oder versucht, gerade das zu vermeiden, einfach sagen, »mach dir keine Gedanken Kumpel, mir geht`s besser als du denkst. Und nun steh nicht so belämmert rum, sondern schieb mich ruhig ein Stück, wenn du sowieso in meine Richtung gehst«
Das Eis wäre sicher auf beiden Seiten gebrochen.
Es gibt natürlich auch Behinderte, die grantig die Hilfe der „Normalen“ ablehnen, was uns natürlich zusätzlich verunsichert, weil wir nie wissen, ob wir an so einen geraten. Und viele von uns machen dann lieber einen Bogen um einen Rollstuhlfahrer, der vielleicht Hilfe haben wollte. Wir gehen dem Risiko aus dem Weg vielleicht angefaucht zu werden »ich brauche ihre Hilfe nicht«, ein Ausdruck von Verbitterung jener die vielleicht noch mit ihrer Lebenslage zu kämpfen haben.
Wir Menschen, jedenfalls die meisten von uns, haben einen natürlichen Drang zur Hilfsbereitschaft. Wenn wir z.B. jemanden sehen, der sein Auto schiebt, springen wir ganz spontan hinzu und schieben mit.
Wenn eine Mutter mit ihrem Kinderwagen in den Bus einsteigen will, findet sich ganz automatisch jemand, der mit anfasst.
Wenn wir jemanden sehen, der sich abmüht, ein schweres Möbelstück auf einen Hänger zu laden, packen wir ganz selbstverständlich mit an. Und genauso selbstverständlich stehen wir einem Rollstuhlfahrer zur Verfügung, der Hilfe braucht und annehmen möchte. Das hat in dem Moment nichts mit seiner Behinderung zu tun, sondern ist zum Glück eine unserer natürlichen Tugenden. Und das ist etwas, was so mancher Behinderte noch nicht begriffen hat und noch lernen muss. Es gibt eben auch unter den Behinderten offene, freundliche und verständnisvolle Menschen sowie grantige Griesgrame.
Aber was soll`s, ist doch alles normal. Reden wir drüber.
Ein anderes Problem ist das Verständnis für geistig Behinderte. Der erste unterschwellige oder auch offene Gedanke beim Anblick eines solchen Wesens, dass seine Umwelt scheinbar überhaupt nicht wahrnimmt, ist meistens, »wozu lebt so einer überhaupt? Die vegetieren nutzlos vor sich hin, merken nichts und kosten den Staat Millionen. Wozu das alles?«
Doch wir sollten uns mal die Mühe machen, etwas weiter zu denken. Keiner von uns sog. „Normalen“ kann sich in so einen Menschen hineinversetzen und eine eventuelle Lebensqualität nachempfinden. Aber das heißt ja nicht, dass es sie nicht vielleicht doch gibt. Wer will das wissen?
Nur weil wir uns etwas Bestimmtes nicht vorstellen können, weil es aufgrund unserer beschränkten persönlichen Erfahrung jenseits unseres Begriffvermögens ist, bedeutet das ja nicht, dass es das, was immer es sein mag, nicht gibt.
Wie wollen wir wissen, was in so einem scheinbar geistig völlig abwesenden Individuum vor sich geht. Jeder Mensch hat seine eigenen Vorstellungen und macht sich sein eigenes Bild. Versuchen wir z.B. einem blind geborenem die Farbe rot zu erklären. Wir werden verzweifelt nach Worten und Vergleichen suchen und der Blinde wird sich irgendein Bild machen, obwohl er mit unseren Vergleichen natürlich überhaupt nichts anfangen kann. Aber er hat sein Bild und wir haben unseres. Und beide sind so verschieden, wie ein Stück Sahnetorte und ein Rollschuh, aber für beide ist das Bild real, denn jeder hat seine eigene Realität.
Vielleicht haben diese geistig entschwebten auch ihre Realität. Auf irgendeiner Ebene sicher. Es ist nicht die unsere. Aber sie sind nun einmal da und haben, wie jedes andere Lebewesen, ein Recht in ihrer Welt auf unserer Erde zu leben.
Jeder von uns hat seine Aufgabe im Leben. Mag die Aufgabe dieser vermeintlich armen Geschöpfe darin bestehen, den Rest der Welt zum Nachdenken und zu mehr Toleranz anzuregen. Wir wissen nichts von diesen Menschen, denn sie können sich uns nicht mitteilen. Wir wissen nicht einmal, ob sie überhaupt ein Ich-Bewusstsein haben und wissen, was leben heißt und ob sie überhaupt etwas vom Leben haben.
Nach unseren Maßstäben sicher nicht. Aber was sind unsere Maßstäbe denn eigentlich wert? Wer oder was sind wir denn überhaupt. Ein kleiner unscheinbarer Haufen auf einem „Staubkorn“ im Universum.
Und weil wir so vieles nicht wissen, sollten wir nicht so vermessen sein, jemandem das Recht auf Leben abzusprechen.
Mit den Körperbehinderten können wir uns zumindest verständigen und wenn beide Seiten lernen, das Problem von beiden Seiten zu betrachten, gibt es vielleicht eines Tages keine Behinderten und „Normalen“ Menschen mehr, sondern einfach nur noch Menschen.
:-)