Falscher Jesus unter Irren
Die Lust auf Veränderung nicht an einem Holzklotz oder Marmorbrocken auszulassen, sondern auf gesellschaftliche Zustände zu lenken - gegen diese Utopie von Joseph Beuys ist erst mal nichts zu sagen ...
Ein jesusartiger Maler als "Heiligenbildnis" - Pinsel in der einen, Lambruscoflasche in der anderen Hand. Davor brennende Kerzen, Dankgaben, Devotionalien. Dieser Voodoo- oder Kargokult-ähnliche Altar war in einer Ecke der Kunsthalle aufgebaut. Auf einem Opfertischchen Gaben und kleine Zettelchen mit persönlichen Wünschen - auffallend viele an den "San José" gerichtet: "O Heiliger Joseph (Beuys), hilf!"
Im Jahre 1990 hatten kubanische Künstler in der Düsseldorfer Kunsthalle ein karnevaleskes Crossover präsentiert: Porträts, zu monumentalen Polit-Ikonen aufgeblasen, Parteiphrasen und Comicsprache wild gemischt. Dazwischen als weihnachtskrippenartige Figürchen der Held des antikolonialen Befreiungskampfes José Martí (1853-1895) und der "Maximo Lider" Fidel Castro - beide in einem Boot und mit vergoldetem Blechheiligenschein. Ein Mix von Sinnbildern, Personen und Dingen unterschiedlichster Erdteile und Epochen ...
Auch Joseph Beuys habe die kubanische Kunstszene stark beeinflusst, waren sich die Künstler im Interview einig. Die beuyssche Utopie, dass "alle Menschen zu Skulpteuren, Bildhauern oder Architekten" an der Gesellschaft werden, dass jeder einzelne seine Lebens- und Umwelt mitgestaltet, war zunächst eine Provokation im Castrostaat - Maler dienten da oft nur als Lieferanten bunter Polit-Deko.
Das dunkle Gemunkel und die "unscharfen Kategorien" des "Schamanen" stießen bei den jungen Kubanern aber auf Ablehnung. "Beuys' ehrgeizige Vorstellungen von der therapeutischen Wirkung der Kunst sind besonders verführerisch", so Félix Suazo. Oftmals sei aber "eine sehr viel radikalere Therapie nötig": Die "Veränderung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Strukturen."
Achtzehn Jahre ist er nun tot. Von Zeit zu Zeit wird "der Schamane" aber wieder exhumiert, um ihm ein paar Lobeshymnen darzubringen - oder das Gegenteil. Beuys als "Vertreter eines völkischen Okkultismus zu entlarven", sei "mehr als überfällig" gewesen, hieß es hier jüngst über die Ausstellung "Inkarnationen" (TERZ 10.03). Die Beuysbiographie "Flieger, Filz und Vaterland" (Elefanten Press; 1996) wollte ebenfalls die braun-okkulten Seiten des "Schamanen" beleuchten. Seltsam nur, dass die Autoren so tun, als seien sie die Begründer fundierter Beuys-Kritik (ein Marketingtrick?). Ihre Schlüsse sind oft recht wunderlich.
Wenn Beuys sich mit einem Koyoten in einer New Yorker Galerie einsperren lässt, der dann auch noch frecherweise auf das frisch entfaltete "Wall Street Journal" pinkelt, so ist das für die Autoren - na klar! - Antiamerikanismus. Wenn Beuys von der Stadt nichts sehen will - immerhin es ist New York - New York -die Wall Street - "Hier saß für die Nazis das sogenannte raffende jüdische Kapital" - dann ist das doch ein klarer Fall von ... Wer bei solchen Assoziationsketten endet, dem ist offensichtlich der überreichliche Konsum von beuysschem Gedankensalat nicht gut bekommen. Wer anhand von Beuys' documenta-"Honigpumpe" dessen Idee eines "menschlichen" Bienenstaates mit fleißigen Arbeiterinnen (no sex!) als das analysiert, was es ist, um dann aber bei Karel Gott und der Biene Maja zu enden - ("Auch im Dritten Reich war die Biene Maja beliebt. Ihr aufopferungsvoller Kampf gegen artfremde Elemente in ihrem organischen Bienenstaat ..." - Wenn "fundierte Kritik" heute so aussieht, ahnt der Leser rasch, dass das alles kein gutes Ende nehmen wird.
Die Behauptung der Filz-Fett-Vaterland-Autoren, eine kritische Auseinandersetzung mit "dem Schamanen" habe es nie gegeben, ist nicht haltbar. 1987 - dem Jahr nach Beuys' Tod - zeigte das Kunstmuseum die Ausstellung "Brennpunkt Düsseldorf". Im Vordergrund standen Beuys und seine Schüler. Zu sehen waren Arbeiten, Fotos und Dokumente von Happenings und Aktionen. Fotos von Aktionen der "Mietersolidarität" und einer Hausbesetzung, die 1970 von KünstlerInnen mitinitiiert und kreativ mitgestaltet worden waren, ebenfalls. "Die politischen Aktionen überholten bald alle vorausgegangenen Kunstformen in der Radikalität des Verlangens nach Veränderung", heiß es im Katalog. Unter Berufung auf Paul Celans "Nachdenken hilft" finden sich dort auch programmatische Aufsätze abgedruckt - unter anderem Buchlohs "Joseph Beuys - Die Götzendämmerung".
Quelle:
http://www.terz.org/texte/texte_12_03/joseph_beuys.htm
Die Staaten blühen nur, wenn entweder Philosophen herrschen oder die Herrscher philosophieren.
Die schlimmste Art der Ungerechtigkeit ist die vorgespielte Gerechtigkeit.
- Platon -