Yang Jisheng - GrabsteinYang Jisheng ist Historiker und nach seinem Berufsleben als Journalist bei der chinesischen Nachrichtenagentur
Neues China widmet er seine Recherchen der großen Hungersnot während des
Großen Sprungs nach vorn von 1958 bis 1962, bei der auch sein Vater verhungert ist. Aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit hatte Yang Zugang in Archive, was es ihm ermöglichte, eine detaillierte Darstellung von Unfassbarem zu geben. 2012 erschien die deutsche Übersetzung dieses Standardwerks über diese Epoche der chinesischen Geschichte. Yang sieht in diesem Werk die Grabsteinaufschrift für die Jahrzehnte lang verschwiegenen Opfer, ein Denkmal, das über sein Leben hinaus in den Bibliotheken der Welt stehen wird. Das Original erschien 2007 in Hongkong, in China selbst ist das Buch verboten. Yang lebt in Hongkong, erhielt 2016 keine Ausreisegenehmigung in die USA, um eine Auszeichnung der Harvard-Universität entgegennehmen zu können.
Yang strukturiert sein Buch, indem er zunächst für die am meisten betroffenen Regionen (Xinyang, Henan, Gensu, Sichuan, Anhui) die in den Archiven vorhandenen Berichte auswertet und durch Zeitzeugeninterviews ergänzt. Die Schilderungen des Hungers, dem zum Teil bis zu 70 Prozent eines Produktionsteams zum Opfer fielen, sind an der Grenze des Erträglichen. Es liegen Berichte über Kannibalismus vor (Leichen wurden ausgegraben und gekocht, Familienmitglieder und sogar Kinder wurden ermordet und gegessen). Diejenigen, die sich beklagt haben, wurden zum Teil als Gegner der Revolution und Lügner gebrandmarkt, unter Folter zur Selbstkritik gezwungen, eine Prozedur, die viele nicht überlebten oder zu Invaliden machte. Aus dem Dorf Jianwang in Henan liegen folgende Informationen zu Folterungen vor:
Zur Volkskommune mit ihren Vereinen, den Produktionsbrigaden, den Produktionsgruppen und den Kadern gehörten 1510 Personen, davon haben 628 körperliche Gewalt angewandt, das macht 45,1 Prozent sämtlicher Kader, geschlagen wurden 3528 Personen (davon waren 231 selbst Kader), dabei zu Tode geprügelt wurden 558 Personen, 636 Personen starben an den Folgen der Misshandlungen, verkrüppelt wurden 141 Personen, in den Tod getrieben 14 Personen, verjagt 34 Personen.
Neben dem Einsatz von Faustschlägen, Fußtritten, Kälte und Hunger wurden die Menschen extrem grausamen Strafen ausgesetzt wie unter anderem den Kopf unter Wasser drücken, Haare ausreißen, Ohren abschneiden, die Handflächen mit Zahnstochern aus Bambus durchbohren, mit Kiefernnadeln Zähne putzen, als Fackeln verbrannt werden, glühende Asche in den Mund stopfen, Brustwarzen abbrennen, Schamhaar ausreißen, in die Vagina fahren und lebendig begraben. - »Berichte an Qu Zhipu«, Li Li, 28. November 1960
Bei der »Himmelslaterne« wird der Körper des Gefangenen vollkommen in Plastik gehüllt, mit Petroleum besprüht, auf den Kopf gestellt und angezündet.
Aus Gansu sind folgende Strafen in den Archiven berichtet: Einritzen von Schriftzeichen ins Gesicht, Ausreißen der Haare, Ausreißen des Bartes, Abschneiden der Ohren, Abhacken der Finger, Gießen von kochendem Wasser über den Kopf.
Eine der Strafen ist, dass während der Hungersnot auch noch Essen entzogen wurde. Dabei galt das Prinzip "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!" auch für Kranke. Aus verschiedenen Volkskommunen in Sichuan ist überliefert:
Dem Kommunemitglied Zhu Haiging, der wegen der Wassersucht nicht zur Arbeit gehen konnte, wurde über zwei Monate hinweg immer wieder das Essen entzogen - im ersten Monat bekam er am Tag nur 150 Gramm Nahrung, im zweiten Monat nur noch 100 Gramm, in den letzten fünf Tagen gab man ihm schließlich gar nichts mehr. Zhu ist langsam verhungert.
Das Kommunemitglied Feng Yinshan hatte eine siebenköpfige Familie, vier konnten wegen der Wassersucht nicht zur Arbeit gehen, woraufhin an die gesamte Familie kein Essen mehr ausgegeben wurde, mit dem Resultat, dass die gesamte Familie ausstarb.
Yang Simin, ein über 50 Jahre altes weibliches Mitglied des 14. Verwaltungsbezirks der Volkskommune Gaofeng, wurde von den Kadern verdächtigt, ein Huhn gestohlen zu haben. Sie wurde ausgepeitscht und am darauffolgenden Tag auf freien Fuß gesetzt. Auf dem Weg nach Hause brach sie ohnmächtig zusammen, woraufhin der Parteizellensekretär des Bezirks Befehl gab, sie zu begraben, doch als es soweit war, hat sie noch gestöhnt - sie wurde dennoch begraben, bei lebendigem Leib.
Aus der Provinz Anhui ist die Bestrafung eines Kindes überliefert:
Der Leiter des Produktionsteams Zhaoqiao hat einen kleinen Jungen geschnappt, wie er unreifes Getreide stibitzte, und dem Kind mit dem Messer vier Finger abgeschnitten.
Die Erinnerung an Kannibalismus ist über Jahrzehnte in den Gehirnen derjenigen eingebrannt, die ihn erlebten. So berichtet Yu Dehong (von 1959 bis 1960 Sekretär beim Gebietskommissar von Xinyang) dem Verfasser während seiner Recherchen:
Das Getreide war im staatlichen Ankauf verschwunden, die Herbsternte war gerade vorbei, die Bauern hatten nichts zu essen. In einem Dorf an der Westseite von Fanghu gab es eine Familie Yang: Wenn da ein Erwachsener starb, wurde er nicht hinausgetragen. Es waren nur noch zwischen drei und acht Jahre alte Kinder übrig, die ein paar Monate überlebten, weil sie das Fleisch der Erwachsenen gegessen haben. Später dann hat man in diesem Haus einen großen Haufen Menschenknochen weggeschafft. Die Kinder sagten, die Fersen und Handflächen eines Menschen schmecken am besten.
Die Behörden waren über die Hungertoten informiert:
Wie viele Menschen waren nun in Xinyang ums Leben gekommen? Das Gebietskomitee von Xinyang sprach in einem Bericht an das Provinzkomitee von über 380000 Menschen. [Anmerkung des Verfassers: Die Lokalchroniken sprechen von 483000 Personen].
Die Ursache der Hungersnot lag für Yang in der Reorganisierung der Eigentumsstruktur ab Dezember 1953, dem Wahn der beschleunigten Entwicklung (Großer Sprung), der Einführung der Volksküchen. Während zunächst Produktionsgenossenschaften gegründet wurden und Einzelbauern ein privates Stück Land hatten, wurde mit der Zusammenfassung in riesige Volkskommunen das Eigentum dem Staat überführt.
Die Kader der Volkskommunen setzten die Arbeitskräfte nach ihrem Gutdünken ein, sie hatten keine freie Entscheidung mehr, was sie arbeiten und welche Produkte sie herstellen. So wurden während des Großen Sprungs Unmengen an Bauern zur Herstellung von Stahl an die Hochöfen gezwungen oder zu Arbeiten an Großbaustellen - meist Wasserbauarbeiten wie Dämme - abgeordnet. Diese Leute fehlten hinten und vorne in der Landwirtschaft, vor allem da weder Industrie noch Landwirtschaft mechanisiert war.
Mit den Volkskommunen wurde auch die Sozialstruktur zertrümmert. Es wurden nicht nur Familienbande zerschnitten (Familie als Ausdruck einer kapitalistischen Produktionweise), in Einzelhaushalten wurde mit der Einführung der Volksküchen das Kochen verboten. Die Menschen mussten täglich in den Volksküchen essen, die jedoch bis zu zwanzig Kilometer vom Wohnort entfernt waren. Wer erwischt wurde, zuhause zu kochen oder Lebensmittel vorrätig zu haben, wurde streng bestraft.
Mit den Volkskommunen wurde auch die Versorgungsstruktur geändert. Der freie Bauernmarkt wurde abgeschafft, die Volkskommunen erhielten Abgabe- und Rückkaufquoten. Das Getreide musste nach Abgabequote dem Staat geliefert werden, der wiederum mittels Rückkaufquote die Lebensmittelversorgung stellen sollte. Die Abgabenquoten wurden nach geschätzten Ernteerträgen festgelegt, und die wurden ab 1958 mit dem Großen Sprung viel zu hoch angegeben. Praktisch alle Volkskommunen meldeten viel zu hohe Fantasiezahlen für ihre Erträge, um oben gut dazustehen. Noch dazu wurden Spitzenertragsfelder gemeldet, auf denen Getreide mehrerer Felder gestapelt wurden (reine Lügenfelder). Gefordert wurde auch viel zu enge Aussaat (das Getreide verrottete) und Tiefpflügen (ruinierte den Boden). Da die festgelegten Abgabequoten eingehalten werden mussten, wurde auch Saatgut und Selbstverpflegungsgetreide abgeliefert, in den Häusern wurde nach Nahrungsmittel gesucht, und wenn jemand welche zuhause hatte, wurden sie requiriert und die Familien als Revolutionsfeinde gebrandmarkt.
Als die Volksküchen 1958 eingeführt wurden, erhielten sie einen Lebensmittelvorrat, der viel schneller aufgebraucht war, als er hätte halten sollen. So kam es, dass 1959 Volksküchen kein Essen mehr hatten. Manche konnten drei Monate kein Essen zur Verfügung stellen. Gleichzeitig war private Versorgung verboten, die Familien waren ausgeplündert. Abermilliionen von Menschen hatten nichts mehr zu essen. Sie aßen Hunde und Ratten, als die aus waren Gras und Baumrinden, schließlich einander. Gleichzeitig waren die staatlichen Lager für Export, Städte und Kader voll. Geholfen wurde nicht. Manche Volkskommunen schafften die Volksküchen ab, erlaubten private Versorgung und sogar Selbstversorgungsfelder, also kleine private Anbauflächen. Mit diesen Maßnahmen konnten Menschenleben gerettet werden. Wer sie jedoch einführte, war immer in Gefahr, als Rechtsabweichler verfolgt, eingesperrt, in ein Lager gesteckt oder hingerichtet zu werden.
Politisch wurde dieser verrückte Weg mit der Konferenz von Lushan 1958 noch gefördert, bei der Mao General Peng Duhae niedermachte, weil er es wagte, in einem persönlich an Mao gerichteten Brief diesen über die schreckliche Lage aufgrund von falscher Politik hinzuweisen. Der Kampf gegen Rechtsabweichler wurde verstärkt. Laut Mao habe nur ein Finger ein Problem (also 10 Prozent), neun Fingern ginge es prächtig. Die Drei Banner müssen hochgehalten werden (Aufbau von Industrie und Landwirtschaft, Volkskommunen, Volksküchen). Regionale Kader wagten es nicht, gegen diese Direktive zu handeln, auch wenn es einer Unmenge von Menschen das Leben kostete. Für die Katastrophenprovinz Xinyang sagte Mao:
dass Grundbesitzer, Reiche, Konterrevolutionäre und üble Elemente, die die Führungsmacht an sich gerissen und ihr Unwesen getrieben hätten. Die Lage in zwei Dritteln des Gebiets sei ausgezeichnet, in einem Drittel sei sie miserabel.
Die Schuld wurde Leuten zugewiesen, die es gar nicht mehr gab. Also wurden diese gebrandmarkt, welche vom Weg des Kommunismus abweichen und Genossenschaften wie Einzelbauern wieder Land geben wollten, damit die Produktion wieder einigermaßen eigenverantwortlich vonstatten gehen könne. So zum Beispiel sollte der alte Revolutionär Lu Xianwen erschossen werden, weil er den Weg der Volkskommunen kritisierte, 1993 schrieb er in seinen Erinnerungen:
Da die Partei immer wieder die Volkskommunen als goldene Brücken und den Kommunismus als Paradies propagiert hatte, wollten die Massen, ermutigt von den leeren Phrasen der Propaganda, auf der Stelle ein kommunistisches Leben führen. Die Kontrolle über Produktion und Leben in den Volkskommunen lag in den Händen der Kader, sie setzten die Planwirtschaft ins Werk um. Die Massen hatten keine Kontrolle über die Produktion oder ihr Leben, weshalb sie sich auch nicht darum kümmerten, ob, was sie produzierten, gut war oder schlecht, sie waren vollständig von der Parteiorganisation abhängig, es gab auch keinerlei Hintertüren mehr für das Überleben. Das Getreide wurde auf der Stelle direkt für
die staatlichen Speicher zwangseingekauft, den Massen blieb nichts. Sie hatten gerade die Ernte eingebracht und sie hungerten. Aber sie glaubten fest daran, dass die Kommunistische Partei niemanden verhungern lassen würde, und hofften, dass die übergeordneten Behörden das Getreide zurückschicken würden. Aber das Getreide ging und kam nicht wieder!
Deshalb kann man in gewissem Sinn sagen, dass die Organisationsform der Volkskommunen die gesellschaftliche Ursache für die Ereignisse von Xinyang ist.
Als in Sichuan nicht mehr übersehen werden konnte, dass Massen von Menschen verhungerten (insgesamt waren es etwa 10 Millionen), wurde einfach einer Wurmkrankheit die Schuld zugeschrieben. In der Provinz Anhui wurde ein Arzt namens Wang Shanliang verhaftet, weil er es wagte zu sagen, gegen die Wassersucht gäbe es ein wirksames Medikament: Nahrung.
Dabei hat die parteiinterne Publikation der Planungskommission
Wirtschaftsnachrichten bereits in Nummer 9/1959 den wahren Grund für die Hungersnot formuliert:
Eine Arbeitsgruppe des Provinzkomitees von Anhui hat letztlich über die beklagte Nahrungsmittelsituation im Kreis
Tongcheng eine Untersuchung durchgeführt. Das Material dieser Untersuchung zeigt, dass das sogenannte Nahrungsmittelproblem in den ländlichen Gebieten nicht ein Problem des Mangels an Getreide, sondern der zu hohen staatlichen Ankaufquoten, also ein ideologisches Problem ist.
Mao reagiert am 28. Februar 1959 auf diese Information und verschärfte noch die linke Position, dass der Weg der Volkskommunen (also der Ankaufswirtschaft) noch verstärkt gegangen werden muss:
Das grundlegende System von Brigadeeigentum und in Teilen von Kommuneeigentum [...] muss nach einigen Jahren [...] über den Haufen gestoßen werden und zu einem grundlegenden System des Kommuneeigentums und in Teilen von Brigadeeigentum werden.
Ganz konnte die Wahrheit nicht verschleiert werden, aber die Schuld wurde nach unten abgeschoben, die Menschen hungerten, da die kleinen Kader Feste feierten (was sie auch taten, aber das allein war nicht der Grund, warum Millionen verhungerten). So Zeng Qingmei, Sekretär des Ständigen Ausschusses der Provinzkomitees und des Kontrollkomitees Anhui, zuständig für die Parteidisziplin:
1960 hat das Gebietskomitee eine Menge Arbeitskräfte für den Bau eines Hotels abgezogen. Während des Mondfestes im Herbst verhungerten die Menschen auf der Straße, aber die Gebiets- und Kreiskomiteesekretäre haben bei ihren Treffen große Saufgelage gegeben, außer an Sonntagen Partys veranstaltet, jemanden zum Tanzen gesucht und Nachtbankette ausgerichtet.
Auch das Zentralkomitee der KPCh inklusive Mao ließ sich Villen errichten.
Der zweite Teil des Buchs handelt die Politik des Zentralkomitees, des Politbüros und Maos ab. In diesem wird anhand von protokollarischen Aufzeichnungen nicht nur gezeigt, wie die Politik der Drei Banner Ursache der Hungersnot wurde, sondern wie Mao Kritik an diesem Weg abkanzelte und jegliche Entscheidung weg von den Volkskommunen und dem Staatskommunismus als rechten Weg brandmarkte. Dennoch setzte sich kurzfristig ab 1962 die pragmatische Fraktion von Zhou Enlai, Chen Yun, Li Xiannian und Bo Yibo durch. Familien wurden wieder die kleinste Produktionseinheit, die Hungersnot konnte abgewendet werden. Dieser Erfolg wiederum war einer der Ursachen, die Mao zur Politik der Kulturrevolution ab 1966 trieb. Er wollte mit seinen vermeintlichen Gegnern abrechnen.
Yang stellt sich auch die Frage, wie es überhaupt zu dieser Politik kommen konnte, die nach seiner Schätzung etwa 36 Millionen Menschen das Leben kostete. Er sieht die Ursache in der Staats- und Parteistruktur.
In einem Staat, in dem eine Partei allein herrscht, gibt es nur einen Ausweg, wenn die eigene Meinung mit der der Führung nicht übereinstimmt: Man muss die eigenen Ansichten aufgeben und der Führung gehorchen. Wenn sich der Führer und andere Führungspersönlichkeiten in der Öffentlichkeit bekämpfen, dann führt das zu einer »Spaltung der Partei«, ein unverzeihliches Verbrechen.
Auf einer Rede bei der Tagung des Zentralkomitees im Mai 1958 warnte Mao diejenigen, welche die Generallinie der Partei (Errichtung der Volkskommunen und des Staatseigentums) kritisierten mit diesen Worten:
Wenn die Partei gespalten wird, dann wird es Chaos geben. [...] Man muss vor allem die Gesamtlage berücksichtigen, wer die Gesamtlage nicht berücksichtigt, der wird auf die Nase fallen. [...] Man darf nicht die Spaltung riskieren, die Spaltung zu riskieren wäre ein Fehler.
Nur sehr wenige werden es wagen, über die wahren Ausmaße der Katastrophe oder gar deren Ursachen zu berichten. Im Kreis Tongwei der Provinz Guizhou war 1960 bereits ein Drittel der Bevölkerung verhungert und das Provinzkomitee berichtet Folgendes nach Beijing:
Die Volkskommunen sind ein wahrer Segen, die Kantinen haben das Ihre getan, es schmeckt und jeder wird satt, es steigt und steigt der Elan. Gut geführten Kantinen haben die Kommunemitglieder ihre Privatparzellen übergeben, weil es ihnen gelungen ist, das Ernährungsproblem zu lösen. Wo die Kantinen gut geführt werden, haben die Kommunemitglieder ein warmes großes Zuhause, und nach und nach konzentriert sich alles um diese Kantinen herum, immer mehr kleine Anwesen bilden einen relativ großen Siedlungskomplex, was die Bedingung schafft für den Aufbau von Neugemeinden.
Noch im Dezember 1960 streicht das Zentralkomitee die Bedeutung der Volkskantinen (das sind die, die nicht mehr beliefert werden konnten) für den Klassenkampf hervor:
Kantinen sind gegenwärtig der Ort, an dem der Klassenkampf in den ländlichen Gebieten am schärfsten ausgetragen wird.
An einer Stelle bezeichnet Yang die hohen Kader als "Wahnsinnige". Bei solchen Aussagen lässt sich erahnen, wie er zu dieser Wertung kommt. Aber er steht damit nicht allein. Deng Xiaoping 1978:
Der Große Sprung nach vorn war aus dem fiebernden Hirn Mao Zedongs entsprungen? Ja waren wir denn nicht alle wie von Sinnen? Keiner hat widersprochen, Liu Shaogi nicht, Zhou Enlai nicht, ich nicht, und Genosse Zhen Yun hat geschwiegen.
Im statistischen Teil präsentiert Yang die Ankauf- und Rückkaufquoten, die tatsächliche landwirtschaftliche Produktion, sodass sich die Probleme nachvollziehen lassen und sich immer wieder die Frage stellt, warum wurde Politik auf Basis von irrwitzigen Produktionszahlen ("Legende von den Rekordernten") sowie irrwitzigen ideologischen Fantasien betrieben?
Es ist nachzuweisen, dass die Produktion sank und die Ankaufquoten stiegen. Städte wie Tianjin, Beijing und Shanghai wurden ab Anfang 1961 ausschließlich mit importiertem Getreide versorgt, obwohl die Devisen knapp waren. Dort durfte aus politischen Gründen und solchen des internationalen Rufs niemand verhungern. Es wird wohl importiert worden sein, weil die Knappheit bekannt war. Die Landbevölkerung ließ man verhungern. Und um die Getreideimporte zu finanzieren, wurden Schweine, Öl und Eier in rauen Mengen exportiert, was wiederum alles von den Bauern geplündert war.
Am 14. November 1960 unterbreitete das Zentralkomitee (!) einen "Vorschlag zu einer Herstellung von Nahrungsersatzmitteln im großen Stil". Nahrungsersatzmittel waren: Eichelmehl, Maiswurzelmehl, Weizenwurzelmehl, künstlicher Fleischextrakt aus Hefepilzen, verschiedene Algenarten, Insekten. Nicht wenige Menschen starben an Vergiftungen durch Nahrungsersatzmittel.
Aber warum gab es keinen Widerspruch? Auch hier sieht Yang das Problem in der politischen Struktur.
In der »Versammlungspolitik« werden die Ansichten der obersten Führungspersonen auf Versammlungen durchgesetzt und abweichende Meinungen werden ausgegrenzt. Als China noch ein Kaiserreich war, hat nur der Kaiser seine eigene Meinung vertreten. Wenn er jemanden disziplinieren wollte und sich irrte, konnten Fürsprecher ein gutes Wort einlegen. Unter den Bedingungen der »Versammlungspolitik« haben so viele mit den Wölfen geheult, dass eine »Diktatur der Mehrheit« entstand, in der es nicht einmal mehr eine Fürsprache geben durfte.
Auf der Konferenz von Lushan führt Mao selbst den von der Partei hochgehaltenen Begriff der "Demokratie" ad absurdum:
Anfang der Lushan-Konferenz verlangten sie Demokratie, als hätten wir jetzt keine Demokratie, als hätten wir keine freie Meinungsäußerung, als stünden alle unter einem solchen Druck, dass sie nicht wagten, den Mund aufzumachen [...] Erst später wurde klar, dass sie die Generallinie angreifen wollten, dass sie die Generallinie zerstören wollten. Sie wollten Redefreiheit, Redefreiheit für die Zerstörung der Generallinie, Redefreiheit für eine Kritik der Generallinie.
Und in der Lyrikzeitung
Shikan schrieb Mao am 1. September 1959:
Eine kleine Gruppe von Opportunisten im Land mit einem Schild ›Kommunismus‹ um den Hals haben ein paar Lappalien aufgebauscht und unter diesem Banner einen Angriff auf die Generallinie, den Großen Sprung nach vorn und die Volkskommunen gestartet.
Wenn Millionen Menschen verhungern, ist das für Mao also eine "Lappalie". Diejenigen, welche die Wahrheit berichten, sind für Mao in diesem Text "Saukerle". 1957 wurden Intellektuelle zum Schweigen gebracht, 1958 auf der Konferenz von Lushan die hohen Parteifunktionäre und nun die Basiskader in den Provinzen. Wer von den Hungersnöten berichtet, ist ein "Saukerl".
Mit diesem Hintergrund getrauten sich die Kader in den Provinzen nicht die echten Zahlen der Toten nach Beijing zu senden. Gepaart noch in der Hoffnung, dass bei Nennung niedrigerer Todeszahlen mehr Lebensmittelzuteilungen genehmigt würden und die Lebenden die Ration der Toten mit erhalten.
Zwei Jahre später sagte Mao heuchlerisch, als ob nicht er selbst die Jagd nach denen angestachelt hätte, welche die reale Lage schilderten:
Es sind gute Leute, Leute, die die Wahrheit gesagt haben, als Rechtsopportunisten ausgerichtet worden, ja sogar als Konterevolutionäre.
Und wie ambivalent Mao seine Ziele in der Partei formulierte, belegt folgendes Zitat aus einer parteiinternen Mitteilung vom 29. April 1959:
Wir müssen sagen, wie viel wir ernten, wir dürfen keine Lügen dulden, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben. [...] Wenn die Wirklichkeit mich Lügen straft, und doch relativ hohe Ziele erreicht werden und mich wie einen Konservativen dastehen lassen, dann sei dem Himmel Dank und alle Ehre.
Yang schließt daraus, dass Mao mit seinem insgeheimen Ziel der Lüge Tür und Tor geöffnet hat. Die Kader wollten es dem Großen Steuermann recht machen.
Im November 1960 war es dann wohl auch dem Zentralkomitee zu heikel und es beschloss in einem Dringlichkeitspapier zwölf Punkte zur Linderung der Not:
- Drei-Stufen-Eigentumssystem (also weg von einheitlichen Volkskommunen)
- Fehler der Politik der Gleichheit und Umverteilung müssen korrigiert werden
- Das Eigentumssystem der Produktionsteams (also der Kollektive) muss gestärkt werden
- Das Teileigentumssystem der kleinen Produktionsgruppen muss beibehalten werden
- Privatparzellen und häuslicher Nebenerwerb werden erlaubt
- Senkung der Abgabequoten
- Arbeitslohn wird wieder eingeführt (vorher nur Verteilung von Sachmitteln)
- Einsparung von Arbeitskräften in der Industrie (Abschaffung der Zwangsarbeit für Bauern)
- Bereitstellung von Nahrungsmitteln für Gemeinschaftsküchen
- Wiederherstellung von Märkten in ländlichen Gebieten
- Verbindung von Arbeit und Freizeit muss beachtet werden (es gab unfassbar lange Arbeitsschichten)
- Neuausrichtung der Arbeitsweise und Volkskommunen
Diese Maßnahmen griffen sofort. Parteimitglieder und Kader durften nicht auf den neu entstandenen freien Märkten einkaufen, aber deren Versorgung war zumeist nicht so gering, dass sie an Hunger litten. Aber es gab auch Widerstand von den Kadern. In einigen Gebieten wurden zu wenig Privatparzellen freigegeben, die Provinz Sichuan weigerte sich überhaupt, diese Richtlinien umzusetzen (Sichuan hatte mit 10 Mio Hungertoten eine sehr hohe Opferzahl). Dieser Weg wurde als Wiederherstellung des Kapitalismus angeprangert.
Aber auch die Einsparung von Arbeitskräften hatte eine weitere Auswirkung: In den Städten wurde die Zahl der Bewohner reduziert, indem sie in ihre Heimatregionen zwangsdeportiert wurden. Laut einem Bericht des Zentralkomitees vom 31. Juli 1963 betraf die Abwanderung aus den Städten 28 Millionen Menschen. Viele von ihnen waren in ihren Heimatgemeinden nicht willkommen und fanden auch keine Arbeit. Aber Mao jubelte: "Unsere Leute sind gut! Wohin man die Millionen ruft, dorthin kommen sie, wohin man sie schickt, dorthin gehen sie."
Jahrzehnte wurden die wahren Zahlen der Hungersnot verschwiegen, doch Statistik kann nicht lügen. Die Bevölkerungspyramide der Volkszählung von 1982 spricht Bände. Man beachte den Einbruch bei den etwa 20-Jährigen.
Original anzeigen (0,2 MB)Folgende Übersicht zeigt die Zahl der nicht natürlichen Todesfälle, wie sie aus allen Provinzen an das Zentralamt geliefert wurde. Einheit ist in 10.000.
Original anzeigen (0,2 MB)Dies ergibt 20,98 Millionen Tote, die nicht eines natürlichen Todes gestorben sind. Yang setzt sich mit allen chinesischen wie nicht chinesischen Berechnungen der Opferzahlen der Hungerkatastrophe von 1958 bis 1962 auseinander, die von etwa 15 Millionen bis über 50 Millionen reichen. In einer ausführlich begründeten Schätzung geht Yang von etwa 36 Millionen Hungertoten für die Zeit des Großen Sprungs aus und folgt damit dem chinesischen Statistiker Wang Weizhi.
Als wesentliche Ursache dieser Hungersnot sieht Yang, selbst ab 1964 Mitglied der KPCh und von den Ereignissen 1989 ernüchtert, im Herrschaftssystem, einer Mischung aus Demokratischem Zentralismus und Stalinismus, sowie einem absolut herrschenden Despoten Mao, der sich bei seinen Entscheidungen nicht um die Verfassung kümmert und sich mehr und mehr als Nachfolger der chinesischen Kaiser sieht sowie immer mehr den brutalen, despotischen Seiten des ersten Kaisers der Qin-Dynastie Qin Shihuangdi Positives abgewinnt.
Es ist diese Despotie, welche ein System gebiert, in dem jeder Täter und Opfer zugleich sein kann. Nach oben unterwürfig, nach unten herrscherisch.
In einem demokratischen System gibt es einen normalen Mechanismus für den Wechsel des Führungspersonals, aber in einer Despotie sind die obersten Führungspersonen umgeben von Speichelleckerei und Intrigen, ihr Wechsel geht immer mit Brutalitäten und Blutvergießen einher.
Dass Yang die systemimmanenten Ursachen ausschlaggebender für die Hungersnot waren als das Verhalten von Menschen, legt er überzeugend dar:
Ein System, das keine Mechanismen zur Fehlerkorrektur hat, ist äußerst gefährlich; die besten Mechanismen zur Fehlerkorrektur hat die Demokratie. Was Fehler und Fehlerkorrektur angeht, so ist das System ein weit wichtigerer Faktor als das Führungspersonal. Wenn gute Leute ein schlechtes System führen, können sie dessen Schaden begrenzen, aber ihre Wirkungsmöglichkeiten sind begrenzt. Während der großen Hungersnot waren die verschiedenen Provinzen aufgrund der unterschiedlichen Eignung ihres Führungspersonals unterschiedlich schwer betroffen, aber dennoch sind Millionen verhungert. Wenn andererseits schlechte Leute ein gutes System führen, werden sie zwar auch Schaden anrichten, aber dieser Schaden kann schnell entdeckt und korrigiert werden. Und sie werden sehr schnell ihre Macht verlieren.