Günther Rühle - Theater in Deutschland 1945-1966Mit etwa 2000 Seiten Fließtext, einem massiven Fußnotenteil und einer umfangreichen Zeitleiste ist der zweite Band von Rühles Theatergeschichte wieder ein grandioser Wurf, der aufgrund der kurz gehaltenen Kapitel nie langweilig wird.
Bis ins kleinste Detail werden die Mühen für die Theaterwelt nach Kriegsende, der Konflikt zwischen den "Daheimgebliebenen" und den Remigranten, die Auswirkungen der Teilung Deutschlands auf das Theater sowie ein Blick in die Theaterwelt Österreichs und die Schweiz ausgebreitet.
Faszinierend ist zu lesen, wie groß die Fluktuation von Personen noch in den 50er Jahren zwischen Ost und West war und schließlich beinahe zum Erliegen kam, bis Mitte der 60er Jahre durch eine Tauwetterperiode Ensembles wieder im jeweils anderen Teil von Deutschland spielen konnten.
Gemeinsam war beinahe allen Theatern nach Kriegsende der Rückgriff auf Klassiker, allen voran auf
Nathan der Weise von Lessing. Der Westen verlor sein Berliner Zentrum, was zum Aufblühen regionaler Theater führte, was schließlich eine neue Generation von Theaterschaffenden wie Peter Zadek (Remigrant aus England) hervorbrachte. Geprägt waren die vielen Theater im Westen von Individuen der alten Schule, von Gründgens und Hilpert ("Daheimgebliebene") bis zu Piscator und Kortner (Remigranten), aber auch von neuen Autoren von Dürrenmatt und Frisch bis hin zu Hochhuth, Weiss und schließlich Handke.
In der DDR hingegen versuchte der Staat über viele Jahre hinweg den sozialistischen Realismus mit seinen positiven Helden und den entscheidungskräftigen Parteifunktionären durchzusetzen, was nicht gelang. Die Intendanten in einer durchaus vielfältigen Theaterszene zogen sich zu den Klassikern zurück (Pflege des "Erbes", Faust als tätiger Mensch), arbeiteten jedoch auf sehr hohem Niveau. Eine Sonderrolle spielte (der österreichische Staatsbürger) Brecht mit seinem Berliner Ensemble. Immer wieder kritisiert, da er mit seinem Drang nach einem Theater, das eingreift und das Denken verändern möchte, den Vorgaben eines positiven Helden nicht entsprach, auch war seine Haltung zum 17. Juni nicht unbedingt auf Parteilinie. Nach seinem Tod jedoch und erfolgreichen West-Tourneen des Berliner Ensembles wurde Brecht als Exportschlager gefeiert.
Zeitgenössische und internationale Autoren wurden im Westen leichter in die Spielpläne integriert als in der DDR. Die sowjetischen Autoren fielen mehr oder weniger beim Publikum durch, Stücke zeitgenössischer Autoren (Müller, Kipphardt, Hacks) wurden ständig mit Verboten belegt, während Westautoren wie Weiss oder Hochhuth zeitweise hochgelobt waren. Kipphardt zog frustriert in den Westen und dessen dort geschriebenen Doku-Dramen über NS-Themen kamen wieder zurück in die DDR (skurril eigentlich).
1966 als Endpunkt dieses Bandes setzt Rühle einerseits wegen des Todes von Piscator, Engel und Wolfgang Langhoff in diesem Jahr (zuvor schon Gründgens), andererseits wegen des Erscheinens junger Regisseure wie Autoren, die ein völlig neues Theater einforderten (Peter Stein, Claus Peymann, Peter Handke als Beispiele).
Aufgrund seiner unfassbaren Breite, aber auch Tiefe und der aus großer Kenntnis schöpfenden sehr anschaulichen Schreibweise ist dieser Band wie schon der erste eine absolute Empfehlung für Freunde des Theaters und der Literatur, und sei es nur zum Reinblättern, um an irgendeinem Punkt einzuhaken.