Na der Fall ist doch jetzt geklärt, so oder so wird es zu einer Mordverurteilung kommen, denn @BaroninVonPorz hat dies ja nun so ganz wunderbar aufgeklärt.
Dass es in jedem Fall zu einer Mordverurteilung kommt, habe ich nirgendwo behauptet. Ich äußere hier wie alle anderen auch in meinen Einschätzungen nur meine persönliche Meinung, bei der ich mich bemühe, diese stets zu begründen. Nach dem, was bisher bekannt ist, würde ich eine Verurteilung wegen Mordes als sehr gut vertretbar und auch gerechtfertigt betrachten. Jedem steht es frei, eine andere Auffassung zu vertreten – insbesondere wird auch die Richterin zu ihrer eigenen Bewertung kommen.
Ich kann somit auch nicht ausschließen, dass die Richterin, OP am Ende des Prozesses seine Version der Tatnacht glaubt. MMn bestehen aber angesichts der gegebenen Beweis- und Indizienlage bereits sehr hohe Hürden für OP, glaubhaft darzulegen, dass er sich geirrt hat und nicht wusste, dass er auf Reeva schießt. Erst wenn ihm dies gelingt, ist ja die Basis dafür geschaffen durch das Vorbringen eines Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund (z.B. Putativnotwehr) den Mordvorwurf zu entkräften oder zumindest das Strafmaß zu reduzieren.
Sowohl für die Darlegung des Irrtums als auch des Rechtfertigung- oder Entschuldigungsgrunds kommt es in nicht unerheblichen Maße auf die Glaubwürdigkeit OPs an. Nach meinem Dafürhalten ist es jedoch OP während des Kreuzverhörs nicht gelungen, sich als glaubwürdig zu präsentieren, was ich nicht zuletzt auch an den Aussagen zu den drei weiteren Anklagepunkten festmache.
OPs Version stehen zudem die Zeugenaussagen der Nachbarn entgegen, die eine Frau vor den Schüssen schreien hörten. Die Wahrnehmung der Zeugen wird von den Erkenntnissen der Experten zur Schussabfolge gestützt. Die Richterin müsste somit, um OPs Version zu folgen, davon ausgehen, dass sich die Zeugen geirrt haben und keine Frau, sondern OP schreien hörten – obwohl dieser -jedenfalls bisher- den Beleg dafür, dass er im emotionalen Zustand wie eine Frau schreit, schuldig geblieben ist. Wenn OP nicht noch eine Erklärung dazu liefert, warum die Zeugen zeitgleich mit den Frauenschreien einen Mann hörten, müsste die Richterin -wenn sie seine Version annimmt- davon ausgehen, dass die Zeugen sich die Stimme einbildeten oder unter Eid falsche Angaben gemacht haben. Zudem müsste sie akzeptieren, dass Reeva entgegen der Einschätzung der vom Staat bestellten Experten trotz der schwersten Verletzungen keinen Ton von sich gegeben hat.
Darüber hinaus müsste die Richterin hinnehmen, dass zu der von OP angegebenen Zeit (5 Minuten vor den Schlägen) offenbar niemand die 4 Schüsse gehört hat. Dafür konnten die am weitesten entfernten Nachbarn die Schläge (wenn auch einen zuviel) vernehmen, die diese nach OPs Version jedoch mit Schüssen verwechselten. Den Geräuschen, die die Stipps etwa 10 Minuten vor den Schüssen (nach OPs Version) hörten, dürfte sie keine Bedeutung beimessen oder müsste unterstellen, dass Mrs. Stipp nicht in der Lage ist, ihre Uhr richtig abzulesen oder dass sie wiederholt vor Gericht eine falsche Angabe gemacht hat. Dies gilt insbesondere auch für ihre und die Aussage ihres Mannes, wonach unmittelbar nach den Schüssen bereits Licht im Badezimmer brannte.
Sie müsste akzeptieren, dass Reeva in der Nacht unbemerkt zunächst an verriegelter Tür, Cricketschläger und Alarmanlage vorbei in die Küche geschlichen ist, um etwas zu essen und nach ihrer Rückkehr alles wieder in den Ursprungszustand zu bringen. Auch dürfte sie der Wahrnehmung der Zeugin, die bereits eine gute Stunde vor den Schüssen auf einen Streit hinweist, keine Bedeutung zumessen. Auch diese Zeugin müsste sich geirrt oder falsche Angaben gemacht haben.
In gleicher Weise müsste sie die Textnachrichten, in denen Reeva auf Probleme in der Beziehung aufmerksam macht, außen vor lassen. Ebenso unbemerkt wie Reeva in die Küche entschwand, müsste sie sich später nur wenige Zentimeter von OP entfernt aus dem Bett in Richtung Bad geschlichen haben, ohne dort das Licht anzumachen, aber stattdessen lautstark das Fenster aufzuschieben und etwas später die Tür zuzuschlagen. Auf irgendwelche Weise müsste sie dann auch noch ein Wood movement hörbar gemacht haben, ohne dabei allerdings die Tür zu öffnen.
Die Richterin müsste OP des weiteren glauben, dass er alle Geräusche, die verdeutlicht hätten, dass sich Reeva und kein Einbrecher im Bad bzw. der Toilette aufhielt oder zumindest, dass ein Angriff nicht unmittelbar bevorstehen konnte, nicht gehört hat (etwaige Geräusche bei der Benutzung der Toilette wie insbesondere Toilettenspülung sowie das Abschließen der Tür).
Reeva dürfte auf die Rufe OPs niemals geantwortet haben. Auch ist sie entgegen seiner Aufforderung nicht in Deckung gegangen oder hat wie von OP geheißen, versucht, die Polizei zu rufen, obwohl sie das Handy nach seiner Version bei sich hatte. Der Tatort müsste in vielerlei Hinsicht durch die Polizei manipuliert worden sein, ohne dass dieser zu diesem Zeitpunkt OPs Version bekannt war. Erst nach der Manipulation, bei der man penibel auch auf Passgenauigkeit bei Blutspuren achtete, wurden die Polizeifotos geschossen.
Hinsichtlich des Standortes des Zeitungsständers in der Toilette, den OP als von den Polizeifotos abweichend angibt, müssten sich neben den staatlichen Experten auch die von OP selbst bzw. seiner Verteidigung bestellten Experten irren. Auch müsste der vom Staat eingesetzte Experte hinsichtlich der Schlagspuren an der Tür, aus denen er ableitet, dass OP auf Stümpfen war, diesbezüglich falsch liegen.
Über etwaige Widersprüche und Erinnerungslücken in OPs Aussage, auf die hier im Strang schon verschiedentlich eingegangen wurde, müsste die Richterin zudem großzügig hinwegsehen. Dies wären alles nur Voraussetzungen, die erfüllt sein müssten, damit die Richterin OPs Version grundsätzlich akzeptiert. Damit allein ist noch keine Verteidigung begründet, die den Mordvorwurf entkräftet. Ich kann nicht ausschließen, dass die Richterin am Ende des Prozesses der Version OPs Glauben schenkte. Ich persönlich könnte diese Entscheidung (ausgehend von dem aktuellen Wissenstand) nur schwer nachvollziehen, was insoweit also meine persönliche Meinung darstellt.
Auch hinsichtlich der in Betracht kommenden Verteidigungskonzepte bin ich skeptisch.
Für die zunächst als favorisiert geltende Putativnotwehr finden sich mMn in dem Vortrag OPs vor Gericht zu viele Aussagen, die explizit der putative self defence widersprechen. Eine ähnliche Bewertung nimmt der kürzlich von mir verlinkte Strafrechtsexperte vor. OP hätte verdeutlichen müssen, dass er sich bewusst für die gewählte Abwehrhandlung (also das 4-malige Abfeuern seiner Waffe in Richtung des Angreifers) entschieden hat, da er sie in diesem Moment für erforderlich hielt, um den drohenden Angriff abzuwehren. Stattdessen macht er Aussagen, wonach die Schussabgabe versehentlich, offenbar gegen seinen eigentlichen Willen geschah, denn er beabsichtigte eigentlich nicht, die Waffe abzufeuern. Er wollte nicht mal, den Abzug betätigen.
Es sagt z.B.: „The discharge was accidental.“ Dabei ist das sein Verständnis eines accidental discharge: „..my understanding is that I didn’t intend to discharge my firearm.“ Das Abfeuern der Schüsse geschah somit unabsichtlich/versehentlich.
Ich gehe davon aus, dass die Aussage in dieser Form nicht mit seiner Verteidigung abgestimmt war, denn Roux versuchte hier zeitnah zu intervenieren und zu behaupten, Oscar hätte selbst nie von einem accidental discharge gesprochen. Die Richterin muss ihn dann darauf hinweisen, dass seine Einschätzung nicht zutrifft. Offenbar ist dieser Wink mit dem Zaunpfahl seitens Roux aber bei OP nicht angekommen, weil er die Aussage im späteren Prozessverlauf bekräftigt. Auf die ausdrückliche Frage Nels zum Beispiel, ob er absichtlich (deliberately) geschossen hat, sagt er Nein.
U.a. sagt “I never meant to pull the trigger.”
„, I didn`t intend to shoot. My firearm was pointed at the door. I didn`have time to think and I fired my weapon. It was an accident.”
Mit einer versehentlichen Handlung kann somit auch keine Absicht, z.B. sich oder seinen Partner zu schützen, verbunden sein.
Nel spricht ihn an Tag 21 dann auch explizit auf seine Verteidigung an und geht noch mal auf den Kern der putative self defence ein , indem er fragt, ob er nicht gezielt auf die vermeintlichen Angreifer schoss, um die Angreifer zu töten oder um die erwartete Attacke abzuwehren. Damit wird ihm die putative self defence quasi auf dem Silbertablett serviert, aber… er schlägt aus. “I didn’t have time to think.” ist seine Antwort.
Er schoss, ohne nachdenken zu können, je nach Begründung, weil er keine Zeit oder Angst hatte, obwohl er es gar nicht beabsichtigte. Das kann nach meiner Auffassung keine Putativnotwehr sein, sondern lässt sich bestenfalls mit einer eingeschränkten Steuerungsfähigkeit in Folge einer krankhaften Störung erklären. Ob eine solche vorliegt, wird die Begutachtung ergeben.
Auch hier kann ich aber nicht ausschließen, dass die Richterin OPs vielfältiges Angebot an Aussagen bzgl. seiner Verteidigung so interpretiert, dass es noch irgendwie zur Putativnotwehr passt und sich auf diese Weise eine Entkräftigung des Mordvorwurfes ergibt. Ich kann hier nur meine eigene Einschätzung darlegen und versuchen, diese entsprechend zu begründen. Auch kann ich nicht vorhersagen, ob nicht evtl. doch – entgegen der Annahme Vorsters – bei OP eine so intensive Erkrankung diagnostiziert wird, die seine Schuldfähigkeit vollständig ausschließt. Dann hätte die Richterin kaum eine Wahl und sollte (nach Vorgabe des Gesetzes) den Angeklagten nicht für schuldig befinden.
Wenn die etablierten Verteidigungsansätze im Falle OPs nicht greifen sollten, besteht zudem immer noch die Möglichkeit, für Pistorius einen Präzedenzfall zu schaffen. Vielleicht geht dann die sog. Pistorius defence in die südafrikanische Rechtsgeschichte ein, die eine Entschuldigung für alle Fälle bietet, in denen der Beschuldigte keine Zeit hatte, über sein Handeln nachzudenken und handelte, ehe er sich versah. Ich würde dies nicht für gerechtfertigt halten, aber auch hier schließe ich nicht aus, dass dies von anderen und ggf. auch der Richterin anders bewertet wird.
Ab Montag wird es in jedem Fall wieder spannend…