@psychiatristpsychiatrist schrieb:Ich habe einige Fragen zum Anwalts-Mandantenverhältnis
Ein anderer User hatte hier im Strang schon mal einiges zu dem Thema sehr gut erklärt. Ich finde es leider auf die Schnelle nicht mehr.
Es wurde insbesondere schon darüber diskutiert, inwieweit der Anwalt, wenn er die Wahrheit kennt (was nicht immer der Fall ist), dem Gericht gegenüber lügen darf.
Es ist dabei unbestritten, dass Anwälte eigentlich nicht bewusst für ihren Mandanten lügen dürfen. Dennoch bleibt ihnen bei der Beachtung dieser Regeln noch ein großer Verhaltensspielraum. Der Rechtsanwalt darf z.B. die Lügen des Mandanten selbst nicht aufdecken. An erster Stelle steht für ihn in jedem Fall das Interesse seines Mandanten.
In zulässiger Weise können Anwälte ihren Vortrag auf Halbwahrheiten beschränken, indem sie ihre Partei belastende Umstände bewusst ausblenden oder den Fokus auf Nebenschauplätze lenken. Es besteht immer die Möglichkeit, Beweisverwertungsverbote durchzusetzen, Belastungszeugen der Lüge zu überführen oder zumindest unglaubhaft erscheinen zu lassen und darüber hinaus Entlastungszeugen auf Nebenschauplätzen einzubringen, solange letztere wahre Sachverhalte bezeugen.
Zudem ist bei einem Verstoß das Entdeckungsrisiko nahezu nicht vorhanden. Selbst im unwahrscheinlichen Fall einer Entdeckung drohen nur Bagatellstrafen.
Das Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant ist verfassungsrechtlich geschützt: Der Anwalt und seine Mitarbeiter haben nicht nur eine Schweigepflicht, sondern gegenüber allen Gerichten, Staatsanwaltschaften und der Polizei ein Aussageverweigerungsrecht über das, was der Mandant seinem Anwalt anvertraut hat.
Rechtsanwälte haben ihre Mandanten zunächst beratend über die Rechtslage, die Erfolgschancen, Risiken, Beweisprobleme und Kostenrisiken zu informieren. Sie beraten ihren Mandanten natürlich auch, wie er sich bei Befragungen durch die Polizei, die Staatsanwaltschaft oder vor Gericht am besten verhält. Ob sich der Mandant an ihren Rat hält, können sie aber nicht beeinflussen.
Ich kann natürlich auch nur spekulieren, ob Roux von OP über den wahren Tathergang informiert wurde. So beharrlich wie er ganz offensichtliche Dinge vor Gericht bestritten hat, kann ich mir vorstellen, dass OP seine Anwälte nicht eingeweiht hat – diese werden sich aber in jedem Fall ihre eigenen Gedanken machen.
Natürlich werden die Anwälte von OP in jedem Fall vor Prozessbeginn eine Verteidigungsstrategie erarbeitet und mit OP besprochen haben.
Die zum Teil sehr kurzfristig einberufenen Zeugen (insbesondere Vorster) sowie kurzfristig angesetzte Wiederholungen von Tests während des laufenden Prozesses machen für mich deutlich, dass hier offenbar erst sehr spät bestimmte Tatsachen den Anwälten bekannt wurden – vermutlich, weil OP sie nicht oder nicht vollständig oder falsch informiert hat.
Ich gehe davon aus, dass sich OP während des Kreuzverhörs nicht durchgehend an das gehalten hat, was ihm seine Anwälte geraten haben. Ich kann mir z. B. nicht vorstellen, dass sie ihm geraten haben, den Vorfall im Tashas abzustreiten, obwohl die Fakten klar gegen ihn sprechen. Hier hat er seiner Glaubwürdigkeit insgesamt sehr geschadet. Auch dass er im Falle der illegalen Munition trotz Belehrung über die klare Rechtslage bei seinem Plädoyer „nicht schuldig“ blieb, war vermutlich nicht im Sinne der Anwälte. OP hat hier erneut den Eindruck verstärkt, dass er sich vor Verantwortung drückt und sich über das Gesetz stellt.
Die angespannte Körperhaltung Rouxs, seine Gesichtsausdrücke während des Kreuzverhörs von OP bestätigen auch meinen Eindruck, dass dort vieles nicht so lief wie abgesprochen.
Was den Mordvorwurf betrifft, gehe ich davon aus, dass die Anwälte eigentlich die Verteidigungsstrategie „putative self defence“ verfolgen wollten. Diese wurde jedoch durch die Aussagen OPs im Kreuzverhör stark beschädigt. Er hätte hier aussagen müssen, dass er bewusst geschossen hat, um den bevorstehenden Angriff des Einbrechers abzuwehren. Stattdessen hat er verschiedene andere Versionen angeführt: mal war es ein Unfall, dann schoss er aus Angst, dann hatte er keine Zeit nachzudenken…
Ich denke, dass der suboptimale Auftritt OPs im Kreuzverhör die Anwälte dazu veranlasst hat, nun über die Angststörung zu versuchen, die Strafe wegen verminderter Schuldfähigkeit zu mindern. Ich glaube nicht, dass diese Strategie ihre erste Wahl war. Das zeigt die kurzfristige Involvierung Vorsters (erst Anfang Mai). Das Vorgehen ist meiner Meinung nach riskant, denn sollte sich die Diagnose Vorsters nicht bestätigen und OP als voll schuldfähig eingestuft werden, hätte OP selbst für den Fall, dass die Einbrecherversion von der Richterin geglaubt wird, keine stimmige Verteidigungsstrategie.