Cathryn
Diskussionsleiter
Profil anzeigen
Private Nachricht
Link kopieren
Lesezeichen setzen
dabei seit 2007
Profil anzeigen
Private Nachricht
Link kopieren
Lesezeichen setzen
Das Mädchen aus dem Main - Ein jahrelanges Martyrium
16.02.2011 um 11:1816.08.2006
Spaziergänger entdeckten sie im Main. Die Knie angewinkelt, in Fötusstellung an den nackten Leib gepreßt, eingewickelt in einen gewöhnlichen Bettbezug. Sie trieb auf dem Wasser, das an diesem Dienstag nachmittag ungewöhnlich niedrig war. Die Strömung hatte sie getragen, von Griesheim bis nach Nied. Etwa zwanzig Stunden lang, zusammen mit einem Sonnenschirmständer, der an den dürren Körper gebunden war. Sie sollte sinken. Für immer unten bleiben auf dem Grund des Flusses, wo sie für alle Zeit verschwunden wäre. Am 31. Juli, einem der heißesten Tage des Jahres 2001, tauchte sie auf. Die Leiche des Mädchens, das bis heute niemand kennt.
Etwa 16 Jahre alt soll sie gewesen sein. Ein Teenager mit dunkelbraunen, halblangen Haaren. 1,57 Meter groß. 38,5 Kilogramm schwer. Sie muß hübsch gewesen sein, als sie noch lebte; wo immer das gewesen sein mag. Ohrringe hatte sie getragen, ebenso einen Nasenring. Vielleicht war sie ein fröhliches Mädchen, das lachen konnte, obwohl es Schmerzen litt. Nicht nur am Tag ihres Todes, sondern schon viele Jahre zuvor.
Um 17 Uhr, wenige Stunden nachdem der Leichnam gefunden worden war, traf sich der Frankfurter Rechtsmediziner Hansjürgen Bratzke mit Vertretern der Staatsanwaltschaft und der Polizei zur Obduktion. Er entdeckte Knochenbrüche, Narben, Brandwunden - Verletzungen, die dem Mädchen von frühester Kindheit an zugefügt worden sind. Das linke Ohr war deformiert, ein „Blumenkohlohr“, wie man es nennt. Bei den meisten Menschen ist es genetisch bedingt, bei der unbekannten Toten Zeichen einer grausamen Tortur. Gestorben ist sie an massiven Schlägen oder Tritten gegen Bauch und Brust. Um 1.30 Uhr war Bratzke fertig - und stellte fest, daß diese Obduktion eine der längsten in der Geschichte der Frankfurter Rechtsmedizin war.
Aus Afghanistan, Indien oder Pakistan
Fünf Jahre sind seitdem vergangen. Die Akte dieses Falles hat sich mit Gutachten gefüllt - von Schädelmessungen über DNS-Analysen bis hin zu Isotopenuntersuchungen. Sie besagen, daß das Mädchen aus Afghanistan, Pakistan oder Nordindien stammte, aber in den letzten zwei Jahren vor seinem Tod in Deutschland gelebt hat. Hunderte Seiten umfassen die Untersuchungen. Manchmal schaut sich Peter Kraft diese Gutachten an. Er kennt sie fast auswendig. Seit der ersten Stunde arbeitet der Kriminalkommissar an diesem Fall, kennt jedes Detail und sucht noch immer. Er sagt: „Die Hoffnung gebe ich nicht auf.“
Hoffnung, die gab es genug. Da waren die Knoten, die keiner der Ermittler jemals zuvor gesehen hat. Sie fanden sie an dem Schal, mit dem der Sonnenschirmständer an den Leichnam gebunden war. Wie sich herausstellte, war das lila-weiß gestreifte Stück Stoff ein Gürtel. Ein sogenannter Nala aus dem pakistanischen oder afghanischen Raum, also jener Region, aus der auch das Mädchen den Untersuchungen nach stammen soll. Über den Nala wurde berichtet, im Fernsehen und in den Zeitungen. Aber niemand hat ihn wiedererkannt. Dann gab es das Laken, in das das Mädchen gehüllt gewesen war, mit einem Leopardenmuster bedruckt.
Etikettenfahnder des Landeskriminalamts haben es untersucht, um herauszufinden, wo es möglicherweise gekauft worden war. Aber das Etikett hatte nichts Besonderes an sich, es war in fünf Sprachen bedruckt, mit Hinweisen auf die Waschtemperatur. So wie in jedem Laken, das man in Deutschland kaufen kann. Auch Mainschiffe wurden durchsucht. Jedes einzelne, das im Todeszeitraum zwischen der Griesheimer Schleuse und dem Fundort in Nied auf dem Main gefahren ist, insgesamt 105 an der Zahl. Die Spur führte ins Leere.
„Es ist doch nur ein Mädchen!“
„Wir haben so vieles versucht“, sagt Kraft, für den dieser Mordfall einer der traurigsten seiner bisherigen Laufbahn war. Er erinnert sich an die Tage auf den Schiffen und in den Häfen und an die Stunden, die er vor dem Computer verbrachte, in der Hoffnung, daß die nächste E-Mail die langersehnte Lösung bringt. Selbst in Afghanistan, Pakistan und Nordindien haben sie Fahndungsplakate aufgehängt, in Kirchen und Jugendzentren - auf deutsch, türkisch und arabisch, dann auch in Farsi, Urdu, Dari und Paschtu. Zuletzt erstellten sie eine Liste mit jungen Frauen aus diesen Ländern, die irgendwann einmal in Deutschland gelebt hatten. Es waren mehr als tausend. Die Ermittler suchten sie alle auf, sprachen mit ihnen. Irgendwann sagte eine dieser Frauen: „Was macht ihr für einen Aufstand? Es ist doch nur ein Mädchen!“
Da begriff Peter Kraft, daß es Kulturkreise gibt, in denen sich niemand darum schert, wenn ein Mädchen ermordet wird. 204 Hinweise sind bei der „Soko Leopard“ bisher eingegangen, 115 davon zur möglichen Identität des Opfers, elf zum möglichen Täter. „Wenn ein deutsches Kind verschwindet, bekommen wir 200 Hinweise allein an einem Wochenende“, berichtet Kraft. „Hier müssen wir auf jeden Mosaikstein hoffen, der uns vielleicht weiterbringt.“ Es gibt Hypothesen. Eine davon lautet, das Mädchen habe in Deutschland in einer Pflege- oder Adoptivfamilie gelebt. Eine andere besagt, daß sie womöglich als Dienstmädchen angestellt war. Die Mißhandlungen, sagt Kraft, ließen diesen Schluß zu. Denn es gab andere Mädchen, die ähnlich brutal gequält wurden und schließlich vor ihren Dienstherren geflüchtet sind. Die Polizei ermittelte bis in Diplomatenkreise hinein. Die Dienstboten-Theorie ist noch immer nicht widerlegt.
Polizisten kauften einen Grabstein
Eines Tages, sagt Kraft, werde es weitergehen. Dann werde es andere Spuren geben, die zu jenem Menschen führten, der das Mädchen so brutal aus dem Leben gerissen habe. Der Nala und das Laken, sie liegen noch immer beim Landeskriminalamt. Die Indizien verschwinden nicht. Und die Technik schreitet voran.
„Immer, wenn ich etwas über mißhandelte Mädchen höre, die womöglich über längere Zeit eingesperrt gewesen sind“, sagt Kraft, „denke ich an die Tote aus dem Main.“ An das Mädchen ohne Namen, das nun auf einem Friedhof im Norden Frankfurts seine letzte Ruhe gefunden hat. Kraft und seine Kollegen haben einen Grabstein gekauft. „Unbekanntes Mädchen“ steht darauf. „Gefunden am 31. Juli 2001 im Main.“ Regelmäßig wird das Grab mit Blumen geschmückt. Regelmäßig wird auch die Akte geöffnet, damit die Erinnerung an den Fall nicht verlorengeht. „Das letzte Mosaiksteinchen ist noch nicht gefunden“, sagt Kraft. „Aber irgendwann bestimmt.“
Quelle: www.faz.net
Abgesehen davon, dass dieser Fall wirklich schrecklich ist, möchte ich gern ein paar Dinge ansprechen, die mir seltsam erscheinen:
1. Wenn dieses Mädchen 2 Jahre lang in Deutschland lebte – muss jemand es kennen. Es ist nicht möglich, ohne Geld und Nahrung zwei Jahre lang zu leben, ohne dass man von jemandem gesehen wird.
2. Wenn sie wirklich ein Dienstmädchen war, müssten Ladenbesitzer sie kennen. Lieferanten, Postboten, usw. Wo sind die?
3. Ist sie eventuell einem Ehrenmord zum Opfer gefallen? Sie wog nur 38,5 kg auf 1,57m. Entweder war sie sehr zierlich gebaut – oder man ließ sie vor dem Mord bereits hungern und tötete sie schließlich?
4. Wie kam sie nach Deutschland? Wer waren ihre Kontaktpersonen? Wenn sie aus dem indischen Raum stammte – war sie eventuell Opfer einer Kinderheirat und auf der Flucht?
Spaziergänger entdeckten sie im Main. Die Knie angewinkelt, in Fötusstellung an den nackten Leib gepreßt, eingewickelt in einen gewöhnlichen Bettbezug. Sie trieb auf dem Wasser, das an diesem Dienstag nachmittag ungewöhnlich niedrig war. Die Strömung hatte sie getragen, von Griesheim bis nach Nied. Etwa zwanzig Stunden lang, zusammen mit einem Sonnenschirmständer, der an den dürren Körper gebunden war. Sie sollte sinken. Für immer unten bleiben auf dem Grund des Flusses, wo sie für alle Zeit verschwunden wäre. Am 31. Juli, einem der heißesten Tage des Jahres 2001, tauchte sie auf. Die Leiche des Mädchens, das bis heute niemand kennt.
Etwa 16 Jahre alt soll sie gewesen sein. Ein Teenager mit dunkelbraunen, halblangen Haaren. 1,57 Meter groß. 38,5 Kilogramm schwer. Sie muß hübsch gewesen sein, als sie noch lebte; wo immer das gewesen sein mag. Ohrringe hatte sie getragen, ebenso einen Nasenring. Vielleicht war sie ein fröhliches Mädchen, das lachen konnte, obwohl es Schmerzen litt. Nicht nur am Tag ihres Todes, sondern schon viele Jahre zuvor.
Um 17 Uhr, wenige Stunden nachdem der Leichnam gefunden worden war, traf sich der Frankfurter Rechtsmediziner Hansjürgen Bratzke mit Vertretern der Staatsanwaltschaft und der Polizei zur Obduktion. Er entdeckte Knochenbrüche, Narben, Brandwunden - Verletzungen, die dem Mädchen von frühester Kindheit an zugefügt worden sind. Das linke Ohr war deformiert, ein „Blumenkohlohr“, wie man es nennt. Bei den meisten Menschen ist es genetisch bedingt, bei der unbekannten Toten Zeichen einer grausamen Tortur. Gestorben ist sie an massiven Schlägen oder Tritten gegen Bauch und Brust. Um 1.30 Uhr war Bratzke fertig - und stellte fest, daß diese Obduktion eine der längsten in der Geschichte der Frankfurter Rechtsmedizin war.
Aus Afghanistan, Indien oder Pakistan
Fünf Jahre sind seitdem vergangen. Die Akte dieses Falles hat sich mit Gutachten gefüllt - von Schädelmessungen über DNS-Analysen bis hin zu Isotopenuntersuchungen. Sie besagen, daß das Mädchen aus Afghanistan, Pakistan oder Nordindien stammte, aber in den letzten zwei Jahren vor seinem Tod in Deutschland gelebt hat. Hunderte Seiten umfassen die Untersuchungen. Manchmal schaut sich Peter Kraft diese Gutachten an. Er kennt sie fast auswendig. Seit der ersten Stunde arbeitet der Kriminalkommissar an diesem Fall, kennt jedes Detail und sucht noch immer. Er sagt: „Die Hoffnung gebe ich nicht auf.“
Hoffnung, die gab es genug. Da waren die Knoten, die keiner der Ermittler jemals zuvor gesehen hat. Sie fanden sie an dem Schal, mit dem der Sonnenschirmständer an den Leichnam gebunden war. Wie sich herausstellte, war das lila-weiß gestreifte Stück Stoff ein Gürtel. Ein sogenannter Nala aus dem pakistanischen oder afghanischen Raum, also jener Region, aus der auch das Mädchen den Untersuchungen nach stammen soll. Über den Nala wurde berichtet, im Fernsehen und in den Zeitungen. Aber niemand hat ihn wiedererkannt. Dann gab es das Laken, in das das Mädchen gehüllt gewesen war, mit einem Leopardenmuster bedruckt.
Etikettenfahnder des Landeskriminalamts haben es untersucht, um herauszufinden, wo es möglicherweise gekauft worden war. Aber das Etikett hatte nichts Besonderes an sich, es war in fünf Sprachen bedruckt, mit Hinweisen auf die Waschtemperatur. So wie in jedem Laken, das man in Deutschland kaufen kann. Auch Mainschiffe wurden durchsucht. Jedes einzelne, das im Todeszeitraum zwischen der Griesheimer Schleuse und dem Fundort in Nied auf dem Main gefahren ist, insgesamt 105 an der Zahl. Die Spur führte ins Leere.
„Es ist doch nur ein Mädchen!“
„Wir haben so vieles versucht“, sagt Kraft, für den dieser Mordfall einer der traurigsten seiner bisherigen Laufbahn war. Er erinnert sich an die Tage auf den Schiffen und in den Häfen und an die Stunden, die er vor dem Computer verbrachte, in der Hoffnung, daß die nächste E-Mail die langersehnte Lösung bringt. Selbst in Afghanistan, Pakistan und Nordindien haben sie Fahndungsplakate aufgehängt, in Kirchen und Jugendzentren - auf deutsch, türkisch und arabisch, dann auch in Farsi, Urdu, Dari und Paschtu. Zuletzt erstellten sie eine Liste mit jungen Frauen aus diesen Ländern, die irgendwann einmal in Deutschland gelebt hatten. Es waren mehr als tausend. Die Ermittler suchten sie alle auf, sprachen mit ihnen. Irgendwann sagte eine dieser Frauen: „Was macht ihr für einen Aufstand? Es ist doch nur ein Mädchen!“
Da begriff Peter Kraft, daß es Kulturkreise gibt, in denen sich niemand darum schert, wenn ein Mädchen ermordet wird. 204 Hinweise sind bei der „Soko Leopard“ bisher eingegangen, 115 davon zur möglichen Identität des Opfers, elf zum möglichen Täter. „Wenn ein deutsches Kind verschwindet, bekommen wir 200 Hinweise allein an einem Wochenende“, berichtet Kraft. „Hier müssen wir auf jeden Mosaikstein hoffen, der uns vielleicht weiterbringt.“ Es gibt Hypothesen. Eine davon lautet, das Mädchen habe in Deutschland in einer Pflege- oder Adoptivfamilie gelebt. Eine andere besagt, daß sie womöglich als Dienstmädchen angestellt war. Die Mißhandlungen, sagt Kraft, ließen diesen Schluß zu. Denn es gab andere Mädchen, die ähnlich brutal gequält wurden und schließlich vor ihren Dienstherren geflüchtet sind. Die Polizei ermittelte bis in Diplomatenkreise hinein. Die Dienstboten-Theorie ist noch immer nicht widerlegt.
Polizisten kauften einen Grabstein
Eines Tages, sagt Kraft, werde es weitergehen. Dann werde es andere Spuren geben, die zu jenem Menschen führten, der das Mädchen so brutal aus dem Leben gerissen habe. Der Nala und das Laken, sie liegen noch immer beim Landeskriminalamt. Die Indizien verschwinden nicht. Und die Technik schreitet voran.
„Immer, wenn ich etwas über mißhandelte Mädchen höre, die womöglich über längere Zeit eingesperrt gewesen sind“, sagt Kraft, „denke ich an die Tote aus dem Main.“ An das Mädchen ohne Namen, das nun auf einem Friedhof im Norden Frankfurts seine letzte Ruhe gefunden hat. Kraft und seine Kollegen haben einen Grabstein gekauft. „Unbekanntes Mädchen“ steht darauf. „Gefunden am 31. Juli 2001 im Main.“ Regelmäßig wird das Grab mit Blumen geschmückt. Regelmäßig wird auch die Akte geöffnet, damit die Erinnerung an den Fall nicht verlorengeht. „Das letzte Mosaiksteinchen ist noch nicht gefunden“, sagt Kraft. „Aber irgendwann bestimmt.“
Quelle: www.faz.net
Abgesehen davon, dass dieser Fall wirklich schrecklich ist, möchte ich gern ein paar Dinge ansprechen, die mir seltsam erscheinen:
1. Wenn dieses Mädchen 2 Jahre lang in Deutschland lebte – muss jemand es kennen. Es ist nicht möglich, ohne Geld und Nahrung zwei Jahre lang zu leben, ohne dass man von jemandem gesehen wird.
2. Wenn sie wirklich ein Dienstmädchen war, müssten Ladenbesitzer sie kennen. Lieferanten, Postboten, usw. Wo sind die?
3. Ist sie eventuell einem Ehrenmord zum Opfer gefallen? Sie wog nur 38,5 kg auf 1,57m. Entweder war sie sehr zierlich gebaut – oder man ließ sie vor dem Mord bereits hungern und tötete sie schließlich?
4. Wie kam sie nach Deutschland? Wer waren ihre Kontaktpersonen? Wenn sie aus dem indischen Raum stammte – war sie eventuell Opfer einer Kinderheirat und auf der Flucht?