Ungeklärter Mord an W. Rehfeld in Leipzig am 4.12.1985
18.02.2016 um 17:59
Also ich versuche mal einen möglichst plausiblen Tathergang darzustellen, der mit den bekannten Fakten vereinbar ist:
Herr Rehfeld mag privat und im Allgemeinen ein sehr liebenswerter Mensch gewesen sein, aber in dieser Nacht hatte er etwas zu viel "gebechert" und sich deshalb auch nicht immer ganz vorbildlich und auch nicht immer ganz umsichtig verhalten. Das soll natürlich in keinster Weise seine Beraubung oder gar seine Ermordung rechtfertigen, aber für den Tathergang ist es schon wichtig zu wissen, dass er an diesem Abend nicht mehr der Nüchternste war.
Ich glaube eher der 2. Zeitung (Name: "WiL"?) vor allem in dem Punkt, dass Herr Rehfeld und der Tatverdächtige (im Folgenden "TV" genannt) sich in der Nähe des Bahnhofs kennengelernt haben (und nicht, wie die BILD behauptet, erst in der Carola-Bar). Warum? Weil die WiL dazu viel mehr Details zu kennen scheint und auch nennt.
Sie fuhren also zu zweit in einem Taxi zur Carola-Bar. Auch der TV sprach gehörig dem Alkohol zu, wie vor allem an seinem Verhalten später im Bahnhof deutlich wird, als er sich bei einem Toilettenmann noch um eine Flasche Alkohol bemühte und er mitten in die Bahnhofshalle pinkelte. Ein Nüchterner tut das nicht und es ist auch kaum vorstellbar, dass er erst in den Morgenstunden mit dem Trinken angefangen hat und sich in der Carola-Bar vorher in Abstinenz geübt hatte. Nein, auch der TV hatte getrunken und vermutlich nicht zu knapp.
Dann wird von einem Streit zwischen den beiden noch beim Verlassen der Carola-Bar berichtet. Trotzdem stiegen die zwei Streithähne anschließend in ein Taxi (ohne Lizenz). Dieses "Taxi" hat aber 300 Meter nach der Carola-Bar schon wieder angehalten, weil der TV pinkeln wollte.
Es haben ja schon einige angemerkt, dass das alles etwas merkwürdig klingt: erst streiten sie, dann nehmen sie trotzdem gemeinsam ein Taxi, nur um nach ganz kurzer Zeit wieder auszusteigen.
Aber das kann durchaus weitgehend der Wahrheit entsprechen: Ich nehme an, dass der TV allmählich zum Bahnhof zurückwollte, um seinen Zug nicht zu verpassen, Herr Rehfeld wollte aber mit ihm noch eine "Bekannte" aufsuchen, er wollte den Abend noch nicht beenden. Da der TV aber auf Rehfeld angewiesen war, da er in Leipzig ortsunkundig war und vermutlich überhaupt nicht wusste, wie er allein zurück zum Bahnhof finden könnte, kam es darüber zum Streit. Wahrscheinlich war der Besuch bei der Dame vorher nicht vereinbart worden. Möglicherweise hatte der TV auch gar nicht (mehr) genügend Geld, um sich selbst ein Taxi zurück zum Bahnhof zu leisten.
Irgendwie haben sie sich dann aber doch wieder zusammengerauft und vorübergehend geeinigt und sind in ein Taxi eingestiegen. Warum ging diese Fahrt dann aber nur ein paar hundert Meter weit?
Ich könnte mir vorstellen, dass Herr Rehfeld nun das Fahrtziel genannt hat, dem TV dämmerte, dass Rehfeld weiterhin nicht den Hauptbahnhof zusteuerte, der TV erneut erbost war und unter einem Vorwand das Taxi verlassen wollte. Rehfeld aber folgte ihm. Dann kam es zu einer handfesten Auseinandersetzung.
Es ist schon wichtig hervorzuheben, dass nicht etwa der TV dem Herrn Rehfeld nachsetzte, sondern umgekehrt, Herr Rehfeld folgte dem TV. Das allein spricht eigentlich gegen eine "Mordabsicht" im engeren Sinne.
Viele weitere Punkte sprechen gegen einen regelrechten Mord:
- der Kampf in Hör- und fast Sichtweite des Taxifahrers
- eine Mülltonne als "Tatwaffe"
- die Rückkehr des TV zum Taxi (an seiner Stelle wäre ich zu Fuß geflohen)
- das regelrecht naive Verhalten des TV im Bahnhof, wo er freimütig von seiner Prügelei berichtete
- das sorglos-auffällige Verhalten des TV im Bahnhof; durch seine Pinkelei in die Bahnhofshalle wären sogar seine Personalien ja um ein Haar aufgenommen worden
- das auffällige Äußere: wenn ich von vornherein eine Straftat plane, kleide ich mich möglichst unauffällig. erst recht versuche ich nach dem Mord mich dieser auffälligen Kleidung zu entledigen, um nicht noch weiter aufzufallen
- ein einigermaßen "professioneller" Straftäter betrinkt sich nicht hemmungslos vor und nach der Tat (außer vielleicht er ist übelster Alkoholiker)
Aus diesen Gründen kann ich mir einen "Mord" - im Sinne des §211 - eigentlich nicht vorstellen. Mir hat es den Anschein, als habe der TV Herrn Rehfeld nicht direkt töten wollen, ja, als ob es ihm nicht einmal klar gewesen sei, dass er ihn de facto getötet hat. Sonst hätte er m.E. völlig anders reagiert. Vielleicht war Herr Rehfeld ja wirklich noch nicht tot, als der TV den Tatort verlassen hat.
Allerdings - und das spricht gegen ihn - hat er sein am Ende wehrloses Opfer beraubt. Aber der Raub muss nicht der Zweck der Handgreiflichkeiten gewesen sein. Vielleicht wollte er seinen Kontrahenten zusätzlich demütigen oder er ergriff einfach spontan die günstige Gelegenheit oder er brauchte schlicht Geld für die Taxifahrt (wobei er in diesem letzteren Fall allerdings nicht auch noch die Uhr hätte mitnehmen müssen).
Dass der Taxifahrer so lange gewartet hat, ist nicht so besonders verwunderlich. Ich nehme an, die "Geschäfte" waren so spät in der Nacht doch nicht als so florierend zu erwarten, dass er auf die beiden Fahrgäste leicht verzichten konnte. Es kann auch sein, dass er sich durchaus Sorgen machte und in dieser Situation nicht einfach davonbrausen wollte. Als zumindest einer der beiden Fahrgäste dann zurückkehrte, hat er dessen Erklärung aber ("mein Bekannter will lieber zu Fuß nach Hause gehen") akzeptiert. Allzu lange dürfte der Vorgang auf dem Schulhof aber nicht gedauert haben, ich gehe davon aus, dass der Taxifahrer höchstens 15 Minuten wartete. Hätte es länger gedauert, wäre er entweder wirklich weitergefahren oder er wäre ausgestiegen, um nach dem Rechten zu sehen.
Da der TV sich dermaßen naiv und "unprofessionell" verhalten hat und irgendwie auch kein Unrechtsbewusstsein zeigte, wie ich oben ausgeführt habe, könnte ich mir sogar vorstellen, dass er tatsächlich auch gegenüber der Bahnangestellten die Wahrheit gesagt hat, dass er also wirklich ein Schäfer in der Gegend von Schwerin war (und vielleicht immer noch ist!). Das einzig Mysteriöse bliebe dann, warum er nicht identifiziert werden konnte. Ich nehme zwar an, dass die Leipziger Polizei alles in ihrer Macht Stehende getan hat, den Täter zu ermitteln, hinsichtlich der Behörden in anderen DDR-Bezirken habe ich eher meine Zweifel. Da könnte durchaus einiges versandet sein, zumal eben gar nicht sicher war, ob der Täter wirklich in Mecklenburg zu suchen sei.
Es bliebe übrigens noch eine ganz andere Möglichkeit offen: Der Tatverdächtige hat Herrn Rehfeld wirklich nicht getötet und auch nicht beraubt, sondern nur verprügelt. Herr Rehfeld war, nachdem das Taxi mitsamt dem "Schäfer" abgefahren war, zwar verletzt (und immer noch alkoholisiert), aber durchaus noch lebendig. Diese missliche Situation hätte sich genausogut jemand ganz anderes zu Nutze machen können, der dann tatsächlich einen Mord begangen hat!
Angeschlagene Menschen werden von Räubern immer als leichte "Beute" betrachtet. Das hört und liest man häufig und auch in meinem privaten Umfeld hat da schon jemand einmal üble Erfahrungen damit gemacht.
Wer könnte dafür in Frage kommen? Das Folgende ist jetzt natürlich hoch spekulativ, aber ich gehe einmal davon aus, dass in der DDR in den 80er-Jahren zu dieser weit vorgerückten Stunde nicht mehr viele Menschen auf den Straßen waren, schon gar nicht an einem Wochentag. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht gering, dass die wenigen Nachtschwärmer, die in diesen Straßenzügen noch unterwegs waren, aus - genau - der Carola-Bar kamen. Möglicherweise ein Gast, der mitbekommen hat, dass Herr Rehfeld sehr viel Geld bei sich trägt. Es könnte durchaus sein, dass DIESER sich die missliche Lage des Opfers zu Nutze gemacht hat und dass dieser der eigentliche Mörder ist. Wir können es nicht wirklich wissen.