Geiseldrama von Gladbeck

Wer den Zweiteiler noch nicht gesehen hat: Heute Abend, 20.15 Uhr, läuft auf Arte "Gladbeck" Teil 1.

Offensichtlich ist, dass Silke Degowski gefallen hat und sie deshalb seine persönliche Geisel wurde. In Oldenzaal, kurz vor dem Umstieg vom Bus in den BMW, hat er zu Rösner gesagt: „Mit der Silke hab ich noch was vor.“ Hat er mit diesen vieldeutigen Worten Silkes Vergewaltigung angekündigt? Dazu ist es glücklicherweise nie gekommen; entweder hat nachher die Anwesenheit zweier weiterer Frauen im Auto Silke vor diesem Schicksal bewahrt oder Degowski war einfach ein bisschen in sie verliebt und sein schlichtes Gemüt hat sich irgendeine Form von „gemeinsamer Zukunft“ als Wunschtraum zusammenfantasiert.

Später im Knast hat er sie wohl tatsächlich ziemlich schnell verdrängt.

Sie war damals sehr auffällig. Jung, hübsch blond.
Ein Typ Frau an die Degowski nie rangekommen wäre. Da spielte er den starken Typen ihr gegenüber.
Vielleicht wäre sie ihm gar nicht aufgefallen, hätte sie sich nicht ein paar Tage vorher die Haare blondiert.
Wie dem auch sei; schade das so ein junger Mensch sein Leben lassen musste, weil die Polizeibehörden versagten.
Hab das damals alles "live im Fernsehen" verfolgt. Silke war schon die auffälligste Geisel im Bus.

Nightrider64 schrieb:Hab das damals alles "live im Fernsehen" verfolgt. Silke war schon die auffälligste Geisel im Bus.

Das einzig Gute ist, dass das Drama sehr umfangreich dokumentiert wurde und so als Mahnmal für zukünftige Generationen bei Polizei und Journalie genutzt werden können.
Ein Drama, das drei Menschen das Leben gekostet hat.
Das Mahnmal an der Autobahn habe ich noch nie entdeckt, obwohl ich dutzende Male an der Stelle, wo Silke starb, vorbei gefahren bin. '(

Ein Kumpel von mir war beim Friseur, als die mit dem Wagen in der Einkaufsstraße Schildergasse in Köln erschienen. Der Friseur hat gleich mal die Tür abgeschlossen und die Rollos runtergelassen.
Der WDR hat sich damals nicht mit Ruhm bekleckert. Das wurde live im Fernseh gezeigt.

E.A.Poe schrieb:Der WDR hat sich damals nicht mit Ruhm bekleckert.

Ich glaube, da war der WDR nicht allein.
Die Berichterstattung von Radio Bremen- ich erinnere mich da an die Sendung "Buten un Binnen"- hat auch jegliche Regeln von Berufsethos oder Anstand vermissen lassen.
Und Hans Meiser, RTL, mit seinem seltsamen Telefoninterview, hat wohl sein Tun in der Situation auch nicht richtig überdacht.

Ines Voitle, die neben Silke Bischoff bis zuletzt im Auto saß, gibt der Polizei die Schuld an Silkes Tod:

Ihre Freundin Silke Bischoff kam bei dem Zugriff ums Leben. Im späteren Prozess wurde Rösner für den tödlichen Schuss zur Verantwortung gezogen. "Ich glaube daran nicht. Er hätte es nicht gewagt, Silke zu erschießen. Die Polizei hat Silke erschossen", sagte Voitle dem "RND". Es sei wie bei ihr "eine Kugel von draußen" gewesen, glaubt sie. Damit widerspricht Voitle Gutachten, die nach der Tat ergeben haben, dass Silke Bischoff durch eine Kugel aus Rösners Waffe gestorben ist.

https://www.merkur.de/welt/vorwuerfe-von-gladbeck-geisel-polizei-habe-andere-geisel-erschossen-zr-10121845.html

Ich war damals 14 und kann mich auch noch sehr genau an die Berichterstattung erinnern. Auch heute fehlen mir noch die Worte, wenn ich darüber nachdenke, wie das '88 ablief. Der Medien Zirkus, die Kompetenzrangeleien der Behörden... Gladbeck wird für immer für eins stehen - Versagen. Die Bilder habe ich noch heute vor Augen, das Gesicht von Silke Bischoff werde ich wahrscheinlich nie vergessen.

Ich glaube nicht, daß Rösner Silke bewusst erschossen hat, was hätte das für einen Sinn gehabt ? Es war eigentlich alles gelaufen, wozu also noch die Geiseln töten ? Natürlich kann niemand in sein Hirn gucken, aber ich gehe davon aus, daß der tödliche Schuss entweder wirklich ein Versehen war oder er von draußen kam und dies später unter den Teppich gekehrt wurde, um nicht noch mehr in der Kritik zu stehen. Dieser Zugriff war ein Desaster, wenn auch noch bekannt geworden wäre, daß SB durch die Kugel eines Polizisten gestorben ist, wäre die Polizei gekreuzigt worden. Dennoch tendiere ich mehr in Richtung "Versehen" von Rösner. Ich kann aber durchaus verstehen, daß Ines Voitle die Gutachten anzweifelt.

Mich wundert allerdings ihre Aussage

. Er hätte es nicht gewagt, Silke zu erschießen

(Aus dem obigen Link von @JamieStarr )

Was kann sie damit meinen ? Wieso hätte er es nicht wagen sollen ? Wie gesagt, ich glaube nicht, daß er sie bewusst erschossen hat, aber das Wort "wagen" verwirrt mich in diesem Zusammenhang etwas.

Gladbeck wird immer für das Versagen der Polizei stehen und für die Grenzüberschreitung der Medien.
30 Jahre später kann man sagen, dass sich derartiges nicht wiederholt hat. Das ist tröstlich.
Nichts desto weniger kann man sagen, dass Silke B., der Junge Emanuele de G. und ein ungenannter niederländischer Polizist gestorben sind, weil zwei Versager meinten, eine kleine Bank, in den laut Bankdirektor ohnehin keine großen Bargeldgeschäfte abgewickelt wurden, ausrauben zu müssen.
Hätten die beiden Figuren Silke zusammen mit dem Journalisten Udo R. in Köln frei gelassen, würde Silke keiner Gefahr mehr ausgesetzt gewesen sein.
Von daher finde ich die Frage, welche Kugel Silke letztlich tötete, weniger wichtig.
Sie ist Opfer der Gladbecker Geiselgangster.

Photographer73 schrieb:Ich glaube nicht, daß Rösner Silke bewusst erschossen hat, was hätte das für einen Sinn gehabt ? Es war eigentlich alles gelaufen, wozu also noch die Geiseln töten ?

Also ich erinnere mich auch noch gut an das "Interview", welches Rösner vor dem Bus gegeben hat. Mit der Knarre in der Hand.
Der befand sich wohl im Krieg mir Allem und Jedem. Da kommt man mit normaler Logik nicht ran.
Ich weiß nicht, welche Kugel Silke getötet hat. Aber zugetraut hätte ich es Rösner.

@Photographer73

Richtig schlau werde ich aus der Formulierung auch nicht. Ich lehne mich mal ganz weit aus dem Fenster und mutmaße, daß damit vielleicht gemeint ist, daß Silke einfach zu hübsch war und Rösner ihr deswegen nichts angetan hätte. Wenn man an die finale Aktion der Polizei denkt, Blendgranaten und 62 Schüsse aus Maschinenpistolen, die alle auf der linken Seite des Fluchtautos einschlugen, davon einige nachweislich im Heck des Fahrzeugs, so ist die Wahrscheinlichkeit einer verirrten Kugel höher als die andere Variante. Beim Bund habe ich selbst mit MPs geschossen und man kann mit den Dingern nicht richtig zielen. Außerdem war der BMW gepanzert.

Und eine weitere Merkwürdigkeit:

Letzte Zweifel am Ablauf der Ereignisse dieser Minuten bleiben. Der BMW 735i war zwar mit einem Mikrophon bestückt wie andere Fluchtfahrzeuge zuvor auch, Bandaufzeichnungen der Gespräche aber sind in den Unterlagen der Staatsanwaltschaft nicht vorhanden.
Ausgerechnet über die letzte Phase des Polizeieinsatzes, der zur Katastrophe wurde, liegen nach offizieller Darstellung nur spärliche, handschriftlich verfaßte Notizen vor - die Wanze war im Einsatz, ein Bandgerät der Polizei lief angeblich nicht mit.

http://www.general-anzeiger-bonn.de/region/siebengebirge/bad-honnef/Der-t%C3%B6dliche-Schlussakt-im-Siebengebirge-article1112070.html

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13496231.html

JamieStarr schrieb: Außerdem war der BMW gepanzert.

Mitnichten. Der war keinesfalls gepanzert.
Er war abgeregelt, so das er nicht mehr als 200km/h fahren konnte, verwanzt und hatte einen Funk Motorunterbrecher, dessen Funksteuerung aber bei dem Einsatztrupp nicht mitgeführt wurde.

Mit Maschinenpistolen wurde auch nicht geschossen, sondern ausschließlich mit Pistolen.

Die ganze Aktion der Befreiung war diletantisch. Man musste davon ausgehen, das Silke von einer verirrten Polizeikugel getötet wurde.

Der Gutachter, den die Justiz beauftragt hat um das zu klären, hat aber eindeutig ermittelt, das die Kugel die Silke tötete mit Sicherheit aus Rösners Waffe stammte.

Da ich damals, wie auch heute an die Unabhängigkeit der Justiz in diesem Land glaube, muss ich das erst einmal als gegeben hinnehmen. Wird wohl auch so gewesen sein.

"Er hätte es nicht gewagt, Silke zu erschießen".
Vielleicht, weil Degowski ein Auge auf sie geworfen hatte.

Photographer73 schrieb:Ich glaube nicht, daß Rösner Silke bewusst erschossen hat, was hätte das für einen Sinn gehabt ? Es war eigentlich alles gelaufen, wozu also noch die Geiseln töten ? Natürlich kann niemand in sein Hirn gucken, aber ich gehe davon aus, daß der tödliche Schuss entweder wirklich ein Versehen war oder er von draußen kam und dies später unter den Teppich gekehrt wurde, um nicht noch mehr in der Kritik zu stehen. Dieser Zugriff war ein Desaster, wenn auch noch bekannt geworden wäre, daß SB durch die Kugel eines Polizisten gestorben ist, wäre die Polizei gekreuzigt worden. Dennoch tendiere ich mehr in Richtung "Versehen" von Rösner. Ich kann aber durchaus verstehen, daß Ines Voitle die Gutachten anzweifelt.

Ich sehe es auch so. SB wurde just in dem Moment erschossen, als sich die Ereignisse überschlugen. Das Fluchtfahrzeug wurde (leider recht unglücklich) gerammt, es kam zu einem Schusswechsel. Beide Geiselnehmer waren übermüdet, ggf. auch (rest)alkoholisiert und gingen -mehr oder weniger- auf dem Zahnfleisch. Dazu waren sie nicht die hellsten Lichter im Hafen. Die Polizei war ebenfalls mit den Nerven am Ende, hatte nur noch den Alles oder Nichts Gedanken wie damals beim Zugriff der GSG 9 in Mogadischu. Es war einfach eine sehr ungünstige, unübersichtliche Grenzsituation mit vielen unerfahrenen, nervlich heruntergerittenen Beteiligten. Der Tod der SB wäre -wie auch der des Jungen- absolut vermeidbar gewesen. Und hätte es kein fortwährendes Kompetenzgerangel der Einsatzleitung und Versagen der Nerven bei einigen Kräften vor Ort gegeben, wäre soetwas wie geordnete Kommunikation und Übersicht zustande gekommen, wir würden heute über eine Heldengeschichte diskutieren, wie die geglückte Befreiung der Landshut. Leider ist es nicht so.

Ich kann mich auch noch sehr gut an das Drama erinnen. Wenige Minuten vor der Buskaperung führ ich in Huckelriede am Ort des Geschehens vorbei. Zuhause angekommen wollte ich nicht glauben, was da im Fernsehen zu sehen war. Es war total irreal.

Die Unfähigkeit der Polizei und das abartige Vorgehen der Presse wurde ja schon ausführlich geschildert. Vielleicht ist ein nahezu unfassbares Details hier noch nicht bekannt. Der Busfahrer sah die Gangster bewaffnet mit den beiden Gladbecker Geiseln auf den Bus zukommen, aber er fuhr lt. seiner Aussage nicht fort, weil die Busampel Rot zeigte. Später sagte er dann, seine Schicht ist nun zuende und daraufhin durfte er den Bus verlassen, nachdem sich ein anderer Busfahrer bereiterklärt hatte, den Bus zu lenken.

Noch eine Korrektur:
Der ums Leben gekommene Polizist war übrigens kein niederländischer wie in einem der vorherigen Beiträge erwähnt, sondern ein Bremer Polizist, der bei der Verfolgung des Busses an der Unterführung des Autobahnzubringers Arsten tödlich verunglückte.

Misses_F schrieb:"Er hätte es nicht gewagt, Silke zu erschießen".
Vielleicht, weil Degowski ein Auge auf sie geworfen hatte.

Vielleicht geht/ging sie davon aus, dass Rösner psychisch gar nicht dazu fähig gewesen wäre, jemanden zu erschießen? Klingt zwar unglaubwürdig, aber immerhin hatte Ines ja ein paar Stunden mit den Geiselnehmern verbracht und glaubte vielleicht, sie einschätzen zu können?

Wie auch immer: Dass Rösner Silke gezielt erschossen hat, glaube ich nicht. Das wäre tatsächlich ziemlich unsinnig gewesen, denn das Spiel war ja praktisch schon vorbei, und es wäre für ihn auf jeden Fall besser gewesen, neben Banküberfall und Geiselnahme nicht noch ein Tötungsdelikt begangen zu haben.
Es war wohl eher ein "Unfall", egal ob durch die Waffe eines Polizisten oder eines der Geiselnehmer.

AlteTante schrieb:Es war wohl eher ein "Unfall", egal ob durch die Waffe eines Polizisten oder eines der Geiselnehmer.

Wenn man sich die Situation anschaut in der dieser tödliche Schuß gefallen ist, würde ich das auch als sehr naheliegend ansehen. Es war eben eine äußerst unübersichtliche Gemengelage mit sehr bleihaltiger Luft. Da hätte es sogar noch mehr Opfer geben können. Der Zugriff lief nämlich mMn auch nicht so, wie es sich die Beamten vorgestellt hatten. Insofern hatten die Beamten fast noch Glück im Unglück, dass nicht noch viel mehr passiert ist.

JamieStarr schrieb:Ines Voitle, die neben Silke Bischoff bis zuletzt im Auto saß, gibt der Polizei die Schuld an Silkes Tod:

Ihre Freundin Silke Bischoff kam bei dem Zugriff ums Leben. Im späteren Prozess wurde Rösner für den tödlichen Schuss zur Verantwortung gezogen. "Ich glaube daran nicht. Er hätte es nicht gewagt, Silke zu erschießen. Die Polizei hat Silke erschossen", sagte Voitle dem "RND". Es sei wie bei ihr "eine Kugel von draußen" gewesen, glaubt sie. Damit widerspricht Voitle Gutachten, die nach der Tat ergeben haben, dass Silke Bischoff durch eine Kugel aus Rösners Waffe gestorben ist.

Ich glaube auch, dass die Kugel von der Polizei kam. Für die Geiselnehmer bestand keine Veranlassung, hier auf die Geiseln zu schießen. Vermutlich wurde das Gutachten gefälscht oder unterschlagen.
Man hat sie dann ja auch unverhältnismäßig lange eingesperrt. Ich weiß nicht, ob das überhaupt juristisch korrekt war. Hart an der Grenze. Gefühlt war das sicherlich angebracht, weil Degowski kaltblütig einen 14-jährigen Jungen.erschoss. Das geht gar nicht.

Heute sind es 30 Jahre. Rest in peace, Silke, Emanuele und Ingo.