Fünffachmord in Tirol
08.10.2019 um 21:19
Ich verstehe den Täter bis zu dem Zeitpunkt, an dem ihn der Vater erstmals an der Tür abwies, nur allzu gut. Denke ich jedenfalls.
Du weisst, dass es bei dir nicht gut läuft, zumindest nicht so gut wie beispielsweise bei deinem Bruder, dem alles gelingt, besser gelingt als allen anderen. Du kompensierst das, indem du auf dicke Hose machst, was in deiner eher konservativ geprägten Umgebung auch gut funktioniert. Du kannst ein liebes, junges Mädchen beeindrucken, die du irgendwo triffst.
Du fokussierst alles auf sie, deine Hoffnungen, deine Schwächen, du öffnest dich ihr und lässt sie vielleicht sogar die Seite sehen, die du vor sonst allen versteckst. Du kannst dein Glück nicht fassen, sie ist so lieb und so hübsch, du verdienst sie doch gar nicht. Sie nimmt dich mit in ihre Familie auf, irgendwann wohnst du bei denen und erlebst (eventuell erstmals) Nestwärme. Du wirst verletzlich und willst das für den Rest deines Lebens haben, darum verlobst du dich mit diesem jungen Mädchen. Dein Leben ist endlich sinnvoll, du bist gerettet.
Dann beginnt sie eine Arbeit und erkennt mit der Zeit, was das Leben ihr für Möglichkeiten bietet. Sie bekommt Anerkennung von allen Seiten, jeder mag sie, Menschen wollen ihre Gesellschaft, ihre Kollegen lieben sie, sie wird immer besser im Job und bekommt irgendwann ein richtiges Gehalt. Sie will anderes erleben als Skikneipen und Autotreffen. Vermutlich bekommt sie immer mehr Aufmerksamkeit und auch Angebote von "besseren Männern" als von dir. Du merkst, dass sie dir entgleitet. Vielleicht macht dir das erstmal nichts, vielleicht willst du kein Schwein sein und denkst du liebst sie ja auch.
Du beginnst, dich selbst zu belügen. Doch der Schmerz in dir wird grösser, du weisst es stimmt etwas nicht mehr zwischen euch. Sie wird immer hübscher, sie überflügelt dich, du bleibst links liegen. Du merkst du bist schon lang nicht mehr gut genug für sie. Deshalb willst du sie heiraten, damit sie für immer dir gehört. Es wird schon alles gut werden. Vielleicht sagt sie sogar noch ja. Vielleicht auch nicht.
Eines Tages sagt sie dir, dass es vorbei ist. Du kommst nach fünf Jahren nicht einfach so über die Phase "Verleugnung" hinweg und suchst Wege, weiter zu hoffen. Du zerreisst innerlich. Deine Frau will dich nicht mehr. Sie will dir dein Leben wegnehmen. Sie wirft dich aus dem Nest. Du bist allein, dein Leben ist vorbei, alles ist vorbei. Doch du hast es nie gelernt, eine Trennung abzuschliessen. Du hoffst weiter. Du kämpfst, vielleicht weist sie dich mehrmals ab. Du kämpfst und verleugnest weiter. Es kostet dich all deine Kraft, jeden Tag, es ist dein einziger Lebensinhalt, so wie sie es vorher war.
Dann siehst du sie mit einem anderen Mann. Alles bricht zusammen. Du gehst zu ihr und willst kämpfen, sie weist dich ab. Du realisierst nun, dass es aus ist. Du weinst, du schreist, du kannst deinen Schmerz nicht richtig kanalisieren. Und dann beschliesst du, dass du weiter kämpfen willst. Du fährst zu ihr. Jetzt sagt dir auch noch der Vater, vielleicht dein gefühlter Ersatzvater, dass das Mädchen dich nicht mehr will. Das er dich nicht mehr will. Das die ganze Familie dich nicht mehr will. Das du niemals mehr wiederkommen darfst.
Bei einem normalen Menschen wäre das der Moment, in dem du heim fährst und dich mit Weinkrämpfen im Bett wälzt und für einige Tage, Wochen oder Monate in Depressionen versinkst, um dann eines Morgens aufzuwachen und dich bei dem Gedanken "die Sonne scheint heute aber schön" zu erwischen. Und mit deinem Leben weiter zu machen.
Im Falle des Täters hat diese Sicherung nicht funktioniert oder war nicht vorhanden. Und das bedeutete für fünf Menschen den Tod, für viele junge Leute im Umfeld das Ende von Unbeschwertheit und Jugend und den Tod vieler schöner Erinnerungen und für das weitere Umfeld eine Zeit der Trauer und für alle eine nicht zu unterschätzende Wende in ihrem Leben.
Sehr traurig.