@Simi96 Erstmal danke für diesen deutlich sachlicheren Beitrag von der „anderen Seite“.
Kleine Korrektur:
Simi96 schrieb:Ließt man allerdings nur das Gerichtstranskript (so wie es die Geschworenen damals gehört haben/die hatten auch nicht mehr Infos), dann kann man Avery nur für Schuldig befinden und somit hat die Jury auch das richtige Urteil gefällt. Nach dem Prozess bestanden keinerlei Zweifel.
Nein kann man nicht ohne Weiteres, und konnte auch die Jury nicht. Man weiss heute, dass es in der Beratung ursprünglich 7 zu 5 für „nicht schuldig“ stand, und dann umschwang als ein Juror wegen eines Notfalls ausgetauscht werden musste. Man weiss auch, dass in dieser Jury eine Person war, die mit Polizisten aus Manitowoc-County verwandt war und niemals hätte berufen werden dürfen.
Tatsächlich haben sich seit dem Prozess mindestens zwei Ex-Geschworene an die Öffentlichkeit gewandt und zum Ausdruck gebracht, dass die Mehrheit Avery für nicht schuldig hielt, sich aber hat einschüchtern lassen:
Steven Avery Case 4 Jury Member Says Jury Forced a Conviction
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und hier:
https://www.youtube.com/watch?v=xZGLqy6ceuU (Video: Threatened Juror Recants Steven Avery's Guilty Verdict Making A Murderer)Man kann die Zweifel und Unentschiedenheit auch in dem Urteil selbst deutlich sehen. Avery wurde nämlich 2007 in dem Anklagepunkt „mutilating a corpse“ , also Leichenschändung bzw. Zerstückelung komplett freigesprochen. Laut ein- und derselben Jury war als Avery der Mörder weil Leichenreste auf seinem Grundstück gefunden wurden, hat trotzdem aber die Leiche nicht beseitigt (Dassey laut seinem Urteil ebenfalls nicht).
In dieser Situation hätte die Jury eigentlich ein mistrial erklären müssen, und die Beratungen für gescheitert erklären, war aber nicht gut genug instruiert um das zu wissen. Das lag auch an der sehr geringen juristischen Kompetenz in diesem Gerichtssaal.
In Wisconsin muss man nämlich nicht die Prüfung der Anwaltskammer für die Zulassung in der Kammer ablegen, um als Jurist arbeiten zu können; jeder der Jura studiert hat, kann als Anwalt praktizieren - einfach so.
Weder Richter Patrick Willis noch Kenneth R. Kratz noch übrigens Len Kachinsky hatte eine Zulassung der Anwaltskammer. Buting und Strang waren die einzigen durch die Kammer zugelassenen Anwälte in diesem Gerichtssaal.
Simi96 schrieb:Für mich gibt es aber keinen Beweis für eine so immense Verschwörung, die Notwendig sein muss, wenn er unschuldig ist
So immens ist die nicht. Es handelt sich keineswegs um eine enorm weit hergeholte Behauptung. Erstens sind Justizirrtümer, wie schon erwähnt, immer auch, ab der bewussten Entscheidung zur Vertuschung eine Verschwörung, zweitens gilt ja hier:
1. Laut Zellner wurden die meisten Spuren vom tatsächlichen Mörder gelegt, nur bei Schlüssel und Kugel half die Polizei nach, vermutlich weil man erkannte, dass der vorgefundene Rest nicht astrein war.
2. Die hier verdächtigen Beamten aus dem Sheriffsdepartement von Mainitowoc waren bereits an einem vorsätzlichen Justizirrtum gegen Avery beteiligt gewesen. Dass sie die Skrupellosigkeit und mangelnde Ethik, sowie ausreichend geringe Fachkompetenz hatten, so etwas durchzuziehen ist insofern unbestreitbar.
3. Der zuständige Staatsanwalt Kratz wurde wegen sexueller Nötigung im Amt aus selbigem gedrängt und es gibt massive Korruptionsvorwürfe, bis hin zu Rechtsbeugung, bei früheren Verfahren.Die Unterschlagung von Beweismitteln in diesem Fall inklusive vorsätzlicher Täuschung konnte ihm von Zellner schwarz auf weiß und zweifelsfrei nachgewiesen werden. Insofern ist er jemand dem man eine gesteigerte oder auch nur existente Berufsethik nicht unterstellen sollte.
4. LE und Staatsanwaltschaft arbeiten bekanntlich unter Leitung des Staatsanwaltes bei einer Ermittlung eng zusammen.
5. Nicht ALLE Personen müssen eingeweiht gewesen sein. Sherry Culhane und Leslie Eisenberg waren erkennbar nicht eingeweiht. Manche wussten nicht über jeden Aspekt Bescheid. Wiegerts Telefonat mit dem Toyota Händler, das er auch noch für die Akten dokumentiert hat, zeigt dass er nicht von Anfang an über den Batterietausch Bescheid gewusst haben dürfte.
Nein, dieser Fall ist eben nicht 9/11. Hier handelt es sich um eine Verabredung zur Vertuschung. Für die Verabredung gibt es noch keinen greifbaren Beweis, für die Vertuschung sehr wohl.