marlonc schrieb:Davon darf man aber bei einer Beurteilung der Gesamtsituation nicht einfach ausgehen. Es wäre möglich, aber es hätte auch anders sein können.
Vieles hätte -in der grauen Theorie- anders sein
können. Deshalb gibt es ja auch einen Gesamtzusammenhang, der sehr aufwendig ermittelt werden muß, um eben die wahrscheinliche Ursache durch möglichst viele Faktoren zu untermauern und andere Ursachen zumindest weitestgehend auszuschließen. In jedem Abschlussbericht wird deshalb auch immer die Formulierung "probable cause" (wahrscheinliche Ursache) und nicht "definitive cause" (endgültige Ursache) gewählt. Nichts desto trotz gibt es durch die ermittelte Indizien- und Beweiskette ein klares Bild. In diesem konkreten Fall eine Ursache, die mMn gerichtssicher und klar auf der Hand liegt.
Anders wäre es gewesen, hätte man beispielsweise lediglich den CVR ausgewertet und deshalb
allein auf erweiterten Suizid geschlossen. Dann würde gelten, was Du geschrieben hast.
marlonc schrieb:Es gab sicher den Point of no Return aber es wird zB nicht beschrieben, wann dieser gewesen wäre.
Das Flugzeug war bis zum Aufprall in einer stabilen Fluglage und nicht durch technische Fehler beeinträchtigt. Es gibt auf den Blackboxes keinerlei dokumentierte Störungen, der Autopilot (welcher sich bei technischen Störungen abschaltet) steuerte das Flugzeug nach Vorgabe des PIC, also in dem Fall AL. Demzurfolge wäre jederzeit die Möglichkeit gegeben gewesen, den Sinkflug zu beenden und das Flugzeug wieder steigen zu lassen.
Erst als das Flugzeug technisch bedingt (performance) die Felswand nicht mehr hätte übersteigen können, war das Schicksal besiegelt, gewissermaßen der von Dir gemeinte "point of no return".
ABER: Das spielt doch nur dann eine Rolle, wenn man wild darüber spekuliert, wie AL reagiert hätte, wäre der Kapitän wieder in das Cockpit gelangt. Deshalb wurde im Bericht auch kein "Point of no return" festgelegt.
Hätte er einen Sturzflug eingeleitet und/oder die Triebwerke heruntergefahren, bevor der Kapitän seinen Platz erreicht und eingreifen kann ? In dem Fall wäre der ominöse "point of no return" weit früher gewesen. Hätte, wäre, wenn... Nach dem Motto: Hätte der Hund nicht gesch....., hätte er einen Hasen gefangen. Daher wurde da im Bericht nichts festgelegt. Völlig zurecht.
marlonc schrieb:Aus meiner Sicht wird im kompletten Bericht nicht ausreichend bewiesen, dass AL tatsächlich psychisch krank war. (Das ist wohl auch nicht möglich ohne die Untersuchungsprotokolle, Gesprächsprotokolle mit seinem Psychiater). Wenn man mal davon absieht, was dann mit dem Flugzeug passiert ist, dann kann es genauso gewesen sein, wie ich es geschildert habe.
Warum bedarf es da eines Beweises ? Es besteht anhand der auf den Blackboxes festgehaltenen Flugdaten kein Zweifel, dass der PIC (AL) den Sinkflug selbst einleitete, sogar "nachkorrigierte" und keine Versuche unternahm, den Absturz des Flugzeuges abzuwenden oder den Kapitän in das Cockpit eintreten zu lassen. Im Gegenteil. Es wurde auch kein Notruf über Funk abgesetzt oder dem gegen die Cockpittür trommelnden Kapitän irgendetwas zugerufen. Für mich steht schon anhand der ausgewerteten Daten völlig außer Frage, dass AL zumindest bis kurz vor dem Aufprall bewusst agierte und das Flugzeug absichtlich auf Kollisionskurs brachte. Ob er nun aus persönlichen Gründen, spontaner Frustration oder aus einer psychischen Störung handelte, ist doch für die Ermittlung der Ursache eher zweitrangig, da die Suizidabsicht bereits daraus klar ersichtlich ist. Dieser Sachverhalt spielt eher im Bezug auf die Fliegerärzte, die erlaubte Rückkehr ins Cockpit (Fortsetzung der Ausbildung, dann regulärer Flugdienst) und natürlich für die Hinterbliebenen eine Rolle.
marlonc schrieb:Es könnte aber genauso sein, dass AL einen Hirntumor hatte der diese Sehstörungen verursacht hat und nur bisher kein Arzt gesagt hatte „wir machen mal ein MRT“. Da aber keine organische Ursache festgestellt worden war, hatte der Psychologe/Psychiater gar keine Wahl als eine psychosomatische Störung zu diagnostizieren.
Und was hat das mit der Absturzursache zu tun ? Selbst wenn der Pilot einen nicht diagnostizierten Hirntumor gehabt hätte, der ihn bei Ausübung seiner Dienstpflichten beinträchtigte, hätte er schon aufgrund seiner Sehstörungen nicht im Cockpit sitzen dürfen. Er flog jedoch trotz Krankschreibung und damit gegen ärztlichen Rat und bar jeder Vernunft weiter, was in dem Fall auch nicht von einem verantwortungsbewussten Chrakter zeugen würde. Im übrigen denke ich nicht, dass ihn jener spekulative Hirntumor hätte unabsichtlich handeln lassen, er also nicht mehr in der Lage war, die Cockpittür zu öffnen, einen Notruf abszusetzen oder zumindest dem Kapitän etwas zuzurufen. Immerhin führte er ja noch bis kurz vor dem Aufprall bewusste Steuerbefehle aus und manipulierte am Autopiloten. Wer dazu in der Lage ist, kann auch die Cockpittür öffnen, funken oder eine Lautäußerung von sich geben. Die Tumortheorie ist daher ziemlich unwahrscheinlich und im Bezug auf die Ursache mMn zu vernachlässigen.
marlonc schrieb:Man läuft Gefahr, ein zirkuläres Argument zu machen:
„Er hat das Flugzeug abstürzen lassen, also muss er psychisch krank gewesen sein. Weil er psychisch krank war, muss er das Flugzeug abstürzen haben lassen.“
Du reitest da auf dieser psychischen Krankheit herum, obschon das für die Tat an sich nur eine Nebenrolle spielt. AL steuerte das Flugzeug absichtlich in den Gleitflug und in die Felswand. Das ist anhand der Daten und unter dem Ausschluß einer technischen Ursache faktisch nachgewiesen. Ob er jetzt aus Rache, aus Frust, aus sonstigen persönlichen Gründen oder einer psychischen Erkrankung heraus handelte, ist doch für die Ursache (CFIT als erweiterter Suizid) nicht wirklich relevant. Erst nach der Feststellung der Ursache mag das wichtig werden. Wenn es z.B. darum geht, ob Ärzte korrekt handelten und die Gefahr nicht erkannten oder ob AL die Fluglizens hätte entzogen werden müssen, wie man solche Taten in Zukunft ggf. verhindern kann usw. usf.
marlonc schrieb:Aber mir persönlich fehlt dann doch die relative Einordnung. Also aufgrund der Krankschreibungen etc. nehmen wir an, dass eine psychische Erkrankung bestanden haben könnte. Das Hinzunehmen des Verhalten (Internetsuchen, Flughöhenmanipulation auf dem Hinflug, Arbeiten trotz starker Einschränkung der Sehfähigkeit) lässt darauf schließen, dass...“
Diese Einordnung ergibt sich doch aus dem Gesamtkontext des Berichtes. AL hatte Sehstörungen, er war schon allein deshalb "not fit to fly". Er war krankgeschrieben, verschwieg das aber seinem Arbeitgeber. Er recherchierte dazu im Netz, simulierte den Absturz auf dem Hinflug, er handelte bis zumindest kurz vor dem Aufprall bewusst und in
offensichtlich suizidaler Absicht. Am Fluggerät konnten keinerlei relavante technische Störungen zum Absturzzeitpunkt nachgewiesen werden. Ergo -> Erweiterter Suizid. Da ist eine entsprechend zusammenfassende Einordnung doch obsolet.