Das Uni-Phantom (Vergewaltigungsserie Sprockhövel/Bochum)
16.09.2014 um 09:31Ich möchte hier auf eine Serie von ungeklärten Vergewaltigungen im Raum Sprockhövel und Bochum aufmerksam machen, die im Zeitraum von 1994-2002 von ein und demselben Täter an insgesamt mind. 22 Mädchen und Frauen begangen wurde. Von den Medien bekam der Täter den Namen "Uni-Phantom" oder auch "Ruhr-Phantom" verpasst.
Hier die bei Wikipedia zu diesem Fall verfügbaren Informationen:
https://web.archive.org/web/20110721231633/http://www.polizei-nrw.de/bochum/Aktuelles/fahndungen/ek-messer/die_taten/
Hier ein Artikel aus der Zeitschrift NEON von 2005:
1. Wie kann es möglich sein, dass der Täter trotz zigfacher Beschreibungen durch Opfer/Zeugen und hinterlassener DNA-Spuren nie gefunden wurde.
2. Was haltet Ihr für den Grund, warum er zwischen seinen Taten teils mehrjährige Pausen einlegte und ab 2002 gar nicht mehr zuschlug?
3. Wie wahrscheinlich ist es, dass es sich bei den 22 bekanntgewordenen Opfern auch um alle Opfer handelt?
4. Wieso wählte der Täter die Ruhr-Uni Bochum als bevorzugtes "Revier", nachdem er vorher mehrfach in Sprockhövel zuschlug?
Ich hoffe auf eine rege Diskussion an diesem Fall, auch aus dem Grund, weil ich selbst in der Zeit, als das Uni-Phantom aktiv war, viel in der Region unterwegs war, eine Freundin wohnte in der Nähe einer der Bushaltestellen, an der der Täter damals seinen Opfern auflauerte und wir haben auch selbst damals oft nachts den letzten Bus dort genommen. Die Angst war immer im Gepäck. Ich finde es daher sehr erschreckend, dass der Täter niemals gefasst wurde.
Hier die bei Wikipedia zu diesem Fall verfügbaren Informationen:
Uni-Phantom BochumHier die Auflistung aller bekanntgewordenen und dem Ruhr-Phantom zuzuordnenden Taten mit Phantombildern des Täters laut Beschreibung des jeweiligen Opfers (eine eventuelle Dunkelziffer an Taten ist hierbei natürlich unberücksichtigt, man weiß ja nicht, wieviele weitere Opfer oder Beinahe-Opfer es gibt, die keine Anzeige erstattet haben):
Als „Uni-Phantom“ von Bochum wurde ein Sexualstraftäter bekannt, der zuerst im Ennepe-Ruhr-Kreis und später in Bochum bis zu einundzwanzig Sexualstraftaten begangen haben soll. Die erste Tat wurde 1994 in Sprockhövel verübt, Opfer war eine zum damaligen Zeitpunkt 12-jährige Schülerin. Die letzte ihm zugeordnete Vergewaltigung geschah im Dezember 2002.
Taten und Täterprofil
Das erste Opfer des Serientäters war eine 12-jährige Schülerin aus Sprockhövel. Sie wurde am 7. Januar 1994 gegen 13:10 Uhr auf dem Heimweg von der Schule in einem Waldstück vergewaltigt. Im September 1994 schlug der Täter zum zweiten Mal in Sprockhövel zu und missbrauchte dabei eine 44-Jährige sexuell. Bis 1996 folgten weitere Taten im Umfeld von Sprockhövel, ehe der Täter im Juni 1996 zum ersten Mal in Bochum zuschlug. Fortan suchte der Täter sich hauptsächlich junge Frauen im Umfeld der Ruhr-Universität Bochum als Opfer aus und beging so bis ins Jahr 2002 weitere Vergewaltigungen in Bochum. Im Jahr 2003 wurde eine weitere Vergewaltigung des Mannes bekannt, Tatzeitpunkt war der August 2001. Dass die Vergewaltigungen von ein und demselben Täter verübt wurden, ließ sich durch DNA-Untersuchungen von Speichel- und Spermaspuren ermitteln.[1]
Die ausführlichen polizeilichen Ermittlungen haben im Laufe der Jahre zu verschiedenen Erkenntnissen geführt. Frühe Phantombilder zeigen den Täter als Mann mittleren Alters, schlank und mit Schnauzbart. Seine späteren Taten verübte er vermummt, ganz in schwarz gekleidet und mit Baseballkappe. Die Polizei geht aufgrund der Ausführungen der ersten Taten davon aus, dass der Täter über gute Ortskenntnisse im Bereich Sprockhövel verfügt. Möglicherweise wohnt oder wohnte er in Sprockhövel, auch könnte er hier noch verwandtschaftliche Kontakte haben. Alle Tatorte lagen im Bereich von ÖPNV-Haltestellen, hier wird der Täter seine Opfer womöglich zum ersten Mal gesehen haben. Als Opfer sucht der Täter sich vor allem junge Frauen aus, da diese in der Regel ein anderes Freizeitverhalten als ältere Frauen haben und auch in der Nacht und mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind. Im Umkreis der Bochumer Universität befinden sich viele Studentenwohnheime und somit auch viele junge Frauen. Dies wird auch als Hauptgrund dafür angesehen, dass der Täter seine Tatorte von Sprockhövel nach Bochum verlagerte.[2] Der Täter verwendete häufig ein Messer, mit dem er seine Opfer bedrohte.
Auffällig sind zudem die Zeitabstände zwischen den Taten. So lagen zwischen den ersten Taten oftmals nur einige Wochen und nie mehr als rund ein halbes Jahr. Eine erste Serie von Straftaten kann auf den Zeitraum von 1994 bis 1997 eingegrenzt werden. Die letzte Tat dieser ersten Vergewaltigungsserie beging der Täter am 18. November 1997. Anschließend schlug der Täter knapp drei Jahre nicht mehr zu, die nächste Tat fand im Sommer 2000 statt. Eine weitere Tat folgte im August 2000, ehe der Täter erneut seine Verbrechen pausierte. Der nächste bekannte Fall stammt aus dem August 2001, eine weitere Vergewaltigungsserie fand zwischen Sommer und Dezember 2002 statt. Am 1. Dezember 2002 beging der Täter seine letzte bekannte Tat. Seitdem schlug er im Raum Bochum nicht mehr zu und lässt bei der Polizei viele Fragen ungeklärt.
Ermittlungskommission Messer
Der von der Presse als Uni-Phantom getaufte Serientäter sorgte für großangelegte Fahndungsaktionen der Bochumer Polizei. Nach seiner letzten Tat im Jahr 2002 waren in Bochum monatelang bis zu 40 Beamte an potentiellen Tatorten im nächtlichen Einsatz. Die Ermittlungskommission Messer (kurz EK Messer) umfasste zeitweise bis zu 20 Mitarbeiter, zwischenzeitlich wurde ein Profiler von Scotland Yard hinzugezogen. Studenten und Angestellte der Ruhr-Universität sowie Männer aus Sprockhövel und Bochum wurden zu Speichelproben gebeten, was vor allem von einigen Studenten stark kritisiert wurde. Ein Jurastudent, der eine Speichelprobe verweigerte, zog bis vors Bundesverfassungsgericht, jedoch vergeblich. Die am Ende über 10.000 Speichelproben unter den von Profilern eingegrenzten Personengruppen blieben jedoch ebenfalls erfolglos.[3] Die Bochumer Polizei wandte sich im Zuge der Ermittlungsarbeiten auch an das ZDF, ein Beitrag über die Vergewaltigungsserie wurde im Rahmen der Sendung Aktenzeichen XY … ungelöst ausgestrahlt.
Auch nach vielen Jahren erreichen noch Hinweise die Polizei Bochum, so dass die Ermittlungskommission weiter besteht. Leiter der Kommission ist zurzeit Kriminalhauptkommissar Frank Plewka.
Textquelle: Wikipedia: Uni-Phantom Bochum
https://web.archive.org/web/20110721231633/http://www.polizei-nrw.de/bochum/Aktuelles/fahndungen/ek-messer/die_taten/
Hier ein Artikel aus der Zeitschrift NEON von 2005:
Campus der AngstDiskussionsansatz:
Ein Phantom geht um: der Vergewaltiger von Bochum. 21 Frauen hat er in den letzten elf Jahren überwältigt, meist auf dem Gelände rund um die Uni.
Es war mitten am Tag, als er sie »von hinten anging, mit einem Messer bedrohte und zu sexuellen Praktiken nötigte«. Seine erste Vergewaltigung, Januar 1994 – die Polizeisprache bleibt nüchtern. »Sie« war ein 12-jähriges Mädchen, um 13 Uhr 10 wohl auf dem Nachhauseweg von der Schule. »Er drohte dem Kind mit Tötung, falls es nicht das täte, was er verlangte.« Im September darauf hat er eine 44-Jährige überfallen, zwei Monate später eine 22-jährige. Dann eine Jugendliche, gerade mal 17. Die »fleischigen großen Hände« werden in den Akten beschreiben, den »fuseligen Schnäuzer«, das Messer am Hals, wie er »sein Opfer knien« ließ und »die Geschädigte mit Kabelbinder« fesselte, »bevor er sie missbrauchte «. Von den Schreien, dem Schweiß, der nasskalten Erde, auf die er seine Opfer presste, steht da nichts. Doch die Bilder tanzen sofort vor den Augen, wie in einem schlechten Krimi, und über allem klebt der Geruch von Angst.
Anna kennt die Fälle. Sie hat die Homepage der »EK Messer« durchforstet, alles gelesen, auf gute Neuigkeiten gehofft. Einundzwanzig versuchte und vollendete Vergewaltigungen in elf Jahren – und immer der gleiche Täter. »Es ist unfassbar, dass sie den nicht kriegen«, sagt sie und schüttelt den Kopf. »Wie ein Phantom, das über allem hängt.« Anfangs hat er in dem Ruhrpottkaff Sprockhövel zugeschlagen, doch seit acht Jahren konzentriert er sich auf Bochum, auf das Gelände rund um die Universität. Da, wo Anna studiert und lebt. Und mit ihr über 15 000 junge Frauen.
Sie haben’s ja gut gemeint, die Städtebauer, als sie in den 60ern die Ruhr-Uni errichteten: Wald-und-Wiesen-Niemandsland und mittendrin der Campus aus modernem Beton. Jetzt hat der Dreck die Klötze verfärbt, die sechsspurige Schnellstraße frisst sich durchs Gelände, Lüftungstürme ragen in den Himmel, und die Pflasterplatten poltern dumpf, wenn die Studenten darübergehen. Grau macht depressiv – vielleicht. Doch es ist das Grün, das Angst macht. Nicht bei Tag, da gibt es keine Probleme. Aber nach einem Abendseminar im Wintersemester, nach einer Party auf dem Nachhauseweg. Die Wege, die von der U-Bahn in die Wohnheimsiedlung führen, sind einsam, baumbestanden. Und manchmal bleibt nur der Trampelpfad durchs Laerholzwäldchen. Wie dunkle Säulen ragen da die Buchen in den Himmel. Ein paar Laternen werfen fahles Licht, lassen groteske Schattenmonster torkeln. Hier hat der Vergewaltiger mehrere Mädchen von hinten gepackt, ihnen das Messer an die Kehle gesetzt, hat sie die Böschung hinabgezerrt, zwischen Farnbüsche und totes Laub. Ein paar Meter in die Schwärze genügen.
Anna wohnt im 6. Stock eines Wohnheimklotzes. Mädchenetage, 18er-WG, im Klo der Hinweis »Mann … Bitte hinsetzen.«. Auf dem Schreibtisch Vokabelkärtchen. Sie will nach Italien, mal weg von Bochum, wo sie wegen des NCs für Theaterwissenschaft gelandet ist. Ich beweg mich hier nicht mehr frei«, sagt sie. Ist es dunkel, verabredet sie sich mit Kommilitonen, oder ihr Freund holt sie ab, spät nachts, im Regen, egal. Abends moderiert sie im Uni-Sender »Radio c.t.« ihre Sendung »Kultimativ «. Dann sitzt sie alleine am Mischpult, im einsamen Ingenieursgebäude. Punkt 22 Uhr gehen – plopp – die Laternen im Hof aus, dann schummert matt das Notlicht. Und Anna packt ihre Tasche, hastet die Gänge entlang, hoch, runter, die Entlüftung brummt, die Schritte hallen. Draußen wartet hoffentlich ihr Freund. Wenn nicht – Panik.
Es gibt sieben Phantombilder von dem Vergewaltiger, nur aus der Anfangszeit. Später hat er sich vermummt, trug schwarze Kleider, eine Baseballmütze. Nur die DNA seines Spermas beweist, dass es immer der gleiche Täter war. Und die Polizei weiß so wenig. 25 bis 40 müsste er sein, schlank, völlig unauffällig. Ruhrpott- Deutsch. Früher mit Schnauzer. Es könnte fast jeder sein, der an der Uni herumläuft: der Kioskverkäufer. Der Maschinenbaudozent. Der Schlacks, der vor dem Plus-Markt lungert. »Ich glaub ja, dass es ein älterer Student ist, der von Sprockhövel nach Bochum gekommen ist«, sagt Anna. »So ein ganz Normaler. Der könnte ja sogar an manchen Abenden den Besorgten spielen, weibliche Bekannte nett nach Hause begleiten – und in anderen Nächten zuschlagen.«
Einsame Straßen gibt es auch in München, dunkle Unterführungen in Frankfurt, unheimliche Ecken in Berlin. Und wohl jede junge Frau kennt das Gefühl, dass eine unbestimmte Angst ihr Leben beeinträchtigt. Lieber den Umweg machen, früher nach Hause fahren? Ein Taxi rufen, obwohl das Geld knapp ist? Wie sehr sich das Bochumer Phantom in den Alltag der Studentinnen schleicht, ist letztlich eine Frage der Persönlichkeit, des Typs. Ist doch lange her – das sagen ebenfalls manche. Seit dem letzten Angriff sind mehr als zwei Jahre vergangen. Es war die Nacht vom 1. Dezember 2002, Bahnhof Bochum-Langendreer, als jemand einer Studentin von hinten den Mund zuhielt und ihr ein Messer an den Hals drückte. Sie hat geschrien, getreten, der Mann hat von ihr abgelassen und ist geflohen. Seitdem: völlige Ungewissheit. Hat der Täter aufgehört? Kann man sich ohne Furcht bewegen? Oder ist es nur wieder eine Pause? Anna warnt jede Studentin, die neu ins Wohnheim zieht und die letzte Vergewaltigungsserie nicht mitbekommen hat. »Manche nehmen es ernst, manchmal wird man auch belächelt«, sagt sie. Doch der Täter hat immer in Serien zugeschlagen. Mehrere Übergriffe – dann jahrelang Pause. Wieder Übergriffe – Pause. Es gibt Spekulationen, dass er zwischendurch Beziehungen hatte, eine nette Freundin vielleicht, mit der er abends ins Kino ging, kuschelte. Bis er irgendwann wieder loszog, auf Frauenjagd, sich in einem Gebüsch nah bei U-Bahn-Stationen versteckte, auf Opfer lauerte. »So jemand hört doch nicht einfach auf«, sagt Anna.
Siebzig Prozent Aufklärungsquote in Bochum
Kriminologie II, ein Hörsaal ohne Tageslicht. Steil fallen die braunen Holzbänke ab wie ein Trichter. Unten steht eine zierliche Frau im Jackett, Mitte 40, Locken: Kriminaloberrätin Andrea Scheuten, Leiterin der »EK Messer«. Die Frau, die den Serienvergewaltiger jagt. Vielleicht ein Dutzend Juristen sitzen verloren in den Reihen. »Ein kleines Seminar«, entschuldigt sich der Assistent des Professors. »Außer Sie sagen jetzt, dass Sie den Täter haben – dann ist’s hier in wenigen Minuten voll.« Frau Scheuten lächelt schmal. Wirft die Powerpoint- Präsentation an. Beginnt ihren Vortrag über Sexualdelikte, betont allgemein. Kindesmissbrauch, Internet, Exhibitionisten, dann der Folienwechsel: Vergewaltigungen. »Es geht den Tätern dabei eindeutig nicht um die Befriedigung unbeherrschbarer Triebe, sondern um Machtmissbrauch«, sagt Scheuten. Und: »In zwei Dritteln aller Fälle kannten sich Täter und Opfer vorher – entgegen dem Klischee, dass eine Frau durch den dunklen Park geht und dann von einem Triebtäter angegriffen wird.« »Kleine Zwischenfrage«, meldet sich ein Stoppelkopf, letzte Reihe oben, »wie hoch ist denn die Aufklärungsquote in Bochum? «. »Siebzig Prozent«, antwortet Scheuten. Siebzig. Nur den einen, den haben sie nicht erwischt. Und ein Klischee ist er leider auch nicht.
Der Serientäter hat eine der größten Fahndungen ausgelöst, die die Ruhrstadt in den letzten Jahren erlebt hatte. Zeitweise haben bis zu 20 Experten ermittelt. Im Sommer 2002 waren Nacht für Nacht bis zu 40 Polizisten im Einsatz, im Laerholzwald, rund um die Uni. »Vielleicht konnten wir so wenigstens andere Straftaten verhindern«, sagt Scheuten nach der Vorlesung. »Ich gehe davon aus, dass weiterhin eine Gefahr von dem Täter ausgeht. Aber irgendwann werden wir ihn kriegen. Jeder macht einen Fehler.«
Miriam kann sich noch gut an den Sommer 2002 erinnern, als die Angst plötzlich so greifbar war. Am 6. Juni war sie bei einer Medizinerparty gewesen, hatte mit Freunden gefeiert, war zu Hause traumlos ins Bett gefallen. Einer 22-Jährigen aber ist nach der Party der Vergewaltiger gefolgt. Auf einem der verwucherten Fußwege hat er sie gepackt, ihr das Messer an den Hals gehalten, sie zu Boden gezogen. »Es gelang ihm nicht, die Frau zu vergewaltigen«, steht im EK-Messer-Bericht. »Deshalb manipulierte er an sich selbst.« »Ich habe das dann in der Zeitung gelesen«, sagt Miriam. »Dass der Typ vielleicht mit auf der Party war und dem Mädchen von dort aus gefolgt ist. Da warst du auch, hab ich gedacht. Da hab ich mich zum ersten Mal bedroht gefühlt.«
In der ganzen Uni hingen Fahndungsplakate, graue Phantombilder auf grauem Beton. Überall Zivilpolizisten. Nachts flogen manchmal Hubschrauber über den Wald, wenn ein Anlieger blinden Alarm gegeben hatte. »Man hat gemerkt, wie alle mit offenen Augen durch die Gegend gelaufen sind. Jeden Typen kritisch gemustert haben, der einem im Wäldchen entgegengekommen ist.« Manchmal lag Miriam wach und hat hinausgelauscht. Waren das angetrunkene Mädels, die da in der Ferne kreischten? Heimkehrer von einer Party – oder etwa nicht? »Ich bin kein ängstlicher Typ, wirklich nicht«, sagt die 26-jährige Germanistin. »Früher in ich nachts rumgelaufen oder Rad gefahren. Aber das würde ich heute nicht mehr machen. Besonders gruslig war ja auch der Fall mit dem Fahrrad. Dann denkst du: Der Typ braucht dich nur vorher beobachten und dir den Reifen zerstechen. Dann hat er dich.«
War er auch auf der Party und ihr von dort gefolgt?
Fall 16: Eine 24-Jährige kommt vom Kino zurück, fährt bis zur U-Bahn-Haltestelle Hustadt. Ihr Fahrrad ist beschädigt, der Sattel kaputt. Ob es der Täter war? Es ist Mitternacht, sie schiebt. Ein schmaler Weg geht hinter der Lennershofstraße von einem Parkplatz ab. Keine Beleuchtung, brusthoch wuchern Brennnesseln und Klebekraut. Es ist nicht weit, vielleicht 100, 150 Meter Dunkelheit. Das wird schon gehen, mag sie gedacht haben. Das schaffst du, gleich bist du zu Hause. Dann hat sie die Klinge am Hals gespürt.
Miriam geht, ebenso wie Anna, im Dunkeln nicht einmal die paar Minuten von der U-Bahn Markstraße nach Hause; ihr Freund holt sie ab oder der Mitbewohner oder zwei Freundinnen gemeinsam. Das Laerholzwäldchen durchquert sie tags ohne Zögern, aber niemals nachts. »Eine Weile war ich richtig hysterisch«, erzählt sie. »Als der Täter so massiv gesucht wurde, war ich einmal am frühen Abend in Dortmund. Da war so ein ekliger Typ am Bahnhof, der mich merkwürdig angestarrt hat. Er ist im Zug mit mir nach Bochum gefahren. Mit mir ausgestiegen. Mir in die U-Bahn gefolgt, ins gleiche Abteil, und immer hat er so widerlich geschaut … Ich war total zittrig und aufgelöst und dachte nur: Wenn er das jetzt ist?« Auch auf einem Foto zum Artikel möchte sie nicht abgebildet werden. »Man wird paranoid«, sagt sie. »Aber allein die Vorstellung, dass der Typ das hier liest, mein Bild sieht und weiß, wo ich wohne – das ist mir echt zu unheimlich.«
Wo der Serienvergewaltiger jetzt lebt? In Bochum, gleich bei der Uni – oder in Köln, am Bodensee, auf den Bahamas? Den Studentinnen ist es unbegreiflich, dass die Polizei ihn nicht geschnappt hat – selbst nicht mit Hilfe eines aufwendigen Massen-Gentests. Ein Spezialist von Scotland Yard hatte Herkunft und Wohnort des Täters eingegrenzt. Fast 10 000 aus Sprockhövel und Bochum stammende Männer mussten zum Speicheltest antreten. Die meisten haben kooperiert, vielleicht bei der Prozedur an ihre verängstigten Freundinnen und Bekannten gedacht. Doch manch einer an der Uni war froh, nicht mehr gegen ein Phantom zu kämpfen. Dann lieber altbekannte Feinde: der Überwachungsstaat. Die böse Polizei. Das AstA-Referat für Grund- und Freiheitsrechte protestierte gegen den Gentest, ein Jurastudent zog bis vors Bundesverfassungsgericht, um seine Speichelprobe zu verweigern – vergeblich. Vergeblich war aber auch der Massentest.Die Beamten der »EK Messer « überprüfen noch die letzten Nachzügler. Doch der Vergewaltiger muss durch die Maschen geschlüpft sein. Er ist immer noch da draußen, unbehelligt, irgendwo.
»Wenn du dich mit dem unterhältst, würdest du wahrscheinlich nie merken, was für ein krankes Schwein das ist. Das ist sicher so ein normaler Typ, vielleicht sogar mit Familie und gutem Job«, sagt Sandra, klopft Glut ihrer Zigarette ab. 21 ist sie, Schneewittchengesicht, knallrote Turnschuhe, Lederjacke. Eine, die weiß, was sie will – und die trotzdem auf den nächtlichen Uni-Wegen einen Schritt schneller geht, sich hastig umdreht, den spitzen Haustürschlüssel mit der Faust umklammert, wie ein Dorn, den sie dem Angreifer ins Auge rammen könnte. »Ist nur für die eigene Psyche«, sagt sie. »Wenn der Typ einen von hinten erwischt, könnte man wahrscheinlich auch ’nen Baseballschläger dabeihaben.«
Im Hintergrund dudelt Buena Vista Social Club, die Billardkugeln klickern: Café-Latte-Pause im Kulturcafé der Uni. Bei Tag spricht sich’s leicht über die Ängste der Nacht und über den Frust, sich oft so hilflos zu fühlen. Sich Begleiter herbeizutelefonieren oder allein mit gekrampftem Magen durchs Dunkel zu hasten. In Sandras früherem Wohnheim gab es auch einen Abholservice, den zwei dort wohnende Jungs angeboten haben. »Aber es ist so unangenehm, auf Leute angewiesen zu sein, mit denen man sonst auch nichts zu tun haben will«, sagt Sandra. »Wie im 18. Jahrhundert fühl ich mich, als man sich als Frau nicht allein auf die Straße getraut hat.« Und manchmal wundere sie sich über sich selbst, wie sehr der Vergewaltiger ihr Leben vergiftet. »Dass er einen dazu bringt, Sachen zu tun, die man sonst nie tun würde.« Sandra hat ihr Wohnheimzimmer gekündigt, ist in ein Apartment in der Bochumer Innenstadt gezogen, acht UBahn-Stationen entfernt von der Studentensiedlung im Grünen. Ihr Studium der Film- und Fernsehwissenschaft will sie noch durchziehen – und dann nichts wie weg.
Denn dass der Vergewaltiger einfach so aufhört, glaubt keine der Studentinnen. »Bei einem Serientäter weiß man doch nie, wann er wieder zuschlägt«, sagt Sandra. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass das einfach so vorbei ist«, sagt Anna. »Ich hab dieses Ruhe-vor-dem-Sturm-Gefühl«, sagt Miriam. Kriminaloberrätin Scheuten hat gesagt, dass jeder einen Fehler macht, irgendwann, auch der Vergewaltiger von Bochum. Soll man das wünschen, einen Fehler? Es wäre ein Fehler bei seiner nächsten Tat.
http://www.neon.de/artikel/sehen/gesellschaft/campus-der-angst/683482
1. Wie kann es möglich sein, dass der Täter trotz zigfacher Beschreibungen durch Opfer/Zeugen und hinterlassener DNA-Spuren nie gefunden wurde.
2. Was haltet Ihr für den Grund, warum er zwischen seinen Taten teils mehrjährige Pausen einlegte und ab 2002 gar nicht mehr zuschlug?
3. Wie wahrscheinlich ist es, dass es sich bei den 22 bekanntgewordenen Opfern auch um alle Opfer handelt?
4. Wieso wählte der Täter die Ruhr-Uni Bochum als bevorzugtes "Revier", nachdem er vorher mehrfach in Sprockhövel zuschlug?
Ich hoffe auf eine rege Diskussion an diesem Fall, auch aus dem Grund, weil ich selbst in der Zeit, als das Uni-Phantom aktiv war, viel in der Region unterwegs war, eine Freundin wohnte in der Nähe einer der Bushaltestellen, an der der Täter damals seinen Opfern auflauerte und wir haben auch selbst damals oft nachts den letzten Bus dort genommen. Die Angst war immer im Gepäck. Ich finde es daher sehr erschreckend, dass der Täter niemals gefasst wurde.