Die Isdal Frau
18.03.2017 um 17:34Ja, ich werde ihr mal schreiben, Fragen kostet ja nichts .-)
Hallo zusammen,
ich lese hier schon länger mit und finde spannend, welche Infos ihr so ans Licht befördert. Mal ein großes Lob in die Runde.
Die Frage, ob es sich bei der Isdal Frau um die falsche Aud Rigmor Graefe / Harzendorf alias „Natasha“ gehandelt hat, können wir hier im Forum nicht klären. Anhand der uns vorliegenden Infos können wir aber Vergleiche ziehen und schauen, wie stichhaltig diese Hypothese ist. Ich hab mal die wichtigsten Punkte zusammengetragen
Wir wissen durch Zeugen, dass die Isdal Frau deutsch, englisch, niederländisch und französisch gesprochen hat. Alles mit einem undeutlichen Akzent. Für die falsche AR wäre Deutsch die Muttersprache gewesen, die sie akzentfrei beherrscht haben wird. Die Isdal Frau offenbar aber nicht. Soweit ich mich erinnere hat sie bevorzugt französisch gesprochen, die Meldezettel aber auf Deutsch ausgefüllt, weshalb man hier eine belgische Identität vermutete. Graphologen zufolge weist auch ihre Handschrift nach Frankreich, Belgien oder ein anderes französischsprachiges Land. Die Experten aus Deutschland und den Niederlanden haben verneint, dass es sich um ein deutsches bzw. niederländisches Schriftbild handelt.
Bekannt ist auch, dass die Isdal Frau mit 8 verschiedenen Identitäten und nicht gerade unauffällig aufgetreten sein soll. So hat sie z.B. die ausstellende Passbehörde auf mehreren Meldezetteln als „Brüssel Kreisleitung“ bezeichnet? In ihren Pass wird das so nicht gestanden haben und wäre bei einer Überprüfung aufgefallen. Wäre die falsche AR alias KGB Agentin “Natasha“ dieses Risiko eingegangen? Sie war ohnehin mit einer Falschidentität ausgestattet. Das viele Hin- und Herreisen könnte man sich noch mit einer Flucht erklären. Nur fragt sich, warum sie mit dieser Masche monatelang durch Europa und wiederholt durch Norwegen getourt ist und sich nicht beispielsweise nach Lateinamerika abgesetzt hat? Es hätte mehr Sinn gemacht, den europäischen Schauplatz zu verlassen. Das wird eine KGB/Stasi Agentin gewusst haben.
Die echte AR wurde am 28.06.1941 geboren. Am 29. November 1970, als man die Leiche der Isdal Frau fand, war sie demnach 29 Jahre und 5 Monate alt. Über das Alter der falschen AR wissen wir nichts. Nehmen aber an, dass es dem der echten nahe gekommen sein muss. Die Isdal-Frau hat als Geburtsjahr 1943 und 1945 angegeben. Sie müsste 1970 dann entweder 27 oder 25 Jahre alt gewesen sein. Es ergibt sich also eine Altersabweichung von bis zu 5 Jahre zur falschen AR. Von den Gerichtsmedizinern wurde das Alter der Leiche jedoch noch etwas höher geschätzt (Zitat @ligala). Damit dürfte es altersmäßig in etwa passen.
Die falsche AR hat vom 9.-18.Oktober 1969 eine Reise nach Norwegen unternommen. Im Februar 1970 gab sie ihre bevorstehende Heirat beim norwegischen Konsulat Wien bekannt. Am 9. April 1970 meldete sie ihren Umzug von Wien nach Köln. Dort heiratete sie den KGB Offizier Willy Peiser. Am 19. April 1970 bekam sie im norwegischen Konsulat Bonn einen Pass mit dem Nachnamen des neuen Ehemannes ausgehändigt. Im Mai 1970 zog sie von Bonn nach Brüssel. Auch die Isdal Frau hatte auf mehreren Meldezetteln Brüssel als Wohnort eingetragen. Im Zeitfenster Februar bis Anfang April könnte die falsche AR theoretisch in die Rolle der Isdal Frau geschlüpft sein. Diese reiste am 1. April 1970 von Bergen nach Stavanger, Kristiansand, Hirtshals, Hamburg und Basel und kehrte erst 6 Monate später wieder nach Oslo zurück. Theoretisch könnte sie am 9.April in Wien gewesen sein, was aber nicht in den codierten Aufzeichnungen steht. Das längere Zeitfenster könnte sie für den Umzug nach Brüssel und dortige Verpflichtungen gebraucht haben. Die größte Diskrepanz einer Personalunion von Isdal Frau/falscher AR besteht aber darin, dass die Leiche der ersten Ende November 1970 gefunden wurde, die andere aber noch 1973 einen Umzug von Brüssel nach Westdeutschland meldete.
Laut TV2 Bericht soll das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Agentenpaar Peiser auf der Spur gewesen sein. Laut NRK geht aus den Akten des POT hervor, dass man im Fall der Isdal Frau auch wegen Spionagetätigkeiten ermittelt hat. Nach dem Fund der Leiche hat sich der POT am 11./15.12.1970 per Fernschreiben bei einer Dienststelle in Köln erkundigt, vmtl beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Anfrage nach evtl Aktivitäten in Norwegen soll auch an andere „befreundete Dienste“ gegangen sein. In der Sache konnten die Deutschen aber vmtl nicht weiterhelfen. Immerhin hätten sie selbst einen Fall zu den Akten legen können. Bleibt die Frage, warum die Geheimdienste mit ihren Mögichkeiten bisher keine Anstalten gemacht haben, die Identität der Toten zu klären?
Inzwischen ist bekannt, wie die falsche AR ausgesehen hat. (Das Foto hatte die echte AR bei ihren Nachforschungen im Archiv der BSTU gefunden.) Und können sagen, dass echte/falsche AR keinerlei Ähnlichkeit miteinander hatten. Vater der echten AR war SS-Flieger Georg Rudi Graefe aus Dresden, ihre Mutter Karin Edgren, eine Norwegerin, Buchhalterin beim Nazi Militär. Die echte AR hatte schon als Kind blaue Augen, blonde Locken und war auch als Erwachsene eher der „klassisch nordische“ Typ. Ganz anders die falsche AR. Ich finde es schon erstaunlich, dass sie mit ihrer Lebensborn Legende (auch bei den norwegischen Behörden) durchgekommen ist. Im Kontext des Nazi Humanprojekts Lebensborn erwartet man eigentlich einen speziellen Phänotyp. Diesem Ideal hat die falsche AR ganz und gar nicht entsprochen. D.h., sie hätte niemals auf „ihre“ leibliche Mutter treffen dürfen, dann wäre alles aufgeflogen. Deswegen hat sie auch während ihres Norwegen Aufenthalts 1969 keinen Kontakt zur Familie aufgenommen. Im Unterschied dazu ähneln das Foto-Portrait der falschen AR und das Phantombild der Isdal Frau einander sehr. (@mr_tux danke für die Collage) Die Übereinstimmungen in der Augen-, Nasen- und Kinnpartie sind beachtlich und der Wiedererkennungseffekt hoch. Es wäre ein großer Zufall, wenn zwei so ähnliche Frauen zeitgleich in geheimdienstliche Aktivitäten bzw. betrügerische Geldgeschäfte in Norwegen verwickelt gewesen sein sollten. Aber es deutet doch einiges daraufhin.
Momentan warten alle gespannt auf die Isotopen und DNA Analyse der Zähne der Isdal Frau. Derweil hat die Untersuchung ihres Gebisses ergeben, dass der Zahnersatz eine Füllungstechnik aufweist, die besonders in Osteuropa gebräuchlich gewesen ist, z.B. in Russland. War die falsche AR alias „Natasha“ evtl eine Russin? Ich denke eher nein. Eine Russin hätte nicht akzentfrei deutsch gesprochen, es sei denn sie wäre bilingual aufgewachsen und selbst dann hört man noch Unterschiede. Einer dunkelhaarigen Frau mit braunen Mandelaugen und russischem Akzent eine Lebensborn Vita anzudichten, wäre ganz schön absurd gewesen. Für ihr Alter hatte die Isdal Frau jedenfalls ziemlich schlechte Zähne, zehn davon waren mit vorgefertigten Standard-Kronen aus Gold überkront. Ob das in der DDR üblich war, lässt sich nicht sagen. Hier sollte eine Begutachtung durch Zahnärzte noch für Klarheit sorgen. Ich hoffe, das NRK Team wird sich dahingehend fachlichen Rat holen.
Die wichtigsten Erkenntnisse noch mal kurz zusammengefasst
• Gerichtsmediziner haben das Alter der Isdal Frau älter als 27 geschätzt. Die echte AR war 29,5 Jahre alt, die falsche muss in einem ähnlichen Alter gewesen sein. Hinsichtlich des Alters gibt’s demnach keine nennenswerten Abweichungen.
• Anhand der neuen Phantombilder der Isdal Frau und eines Fotos der falschen AR kann man sagen, dass sich beide in ihrer Physiognomie doch sehr ähnlich sind. Auch was das Äußere angeht, gibt’s demnach keine markanten Unterschiede.
• Zahnärzten/Anthropologen zufolge weisen die Füllungen des Gebisses der Isdal Frau auf eine osteuropäische Herkunft mglw einschließlich DDR hin. Die falsche AR sollte laut ihrer Lebensborn Vita in der DDR aufgewachsen sein. Hier könnte es theoretisch also auch eine Übereinstimmung geben.
Doch dann hat es sich schon mit den Überschneidungen
• Graphologen zufolge weist die Handschrift der Isdal Frau nach Frankreich, Belgien oder ein anderes französischsprachiges Land. Die falsche AR muss wegen ihrer Lebensborn/DDR Legende jedoch zwingend ein gutes Deutsch gesprochen und geschrieben haben. Hier gibt es demnach eher keine Schnittmengen.
• Hinsichtlich der Rekonstruktion der Aktivitäten und zeitlichen Abläufe fehlt es bei der falschen AR an Daten, um eine detaillierte Aufstellung vorzunehmen. Auffällig ist, dass ihr damaliger Wohnsitz Wien nicht in den codierten Aufzeichnungen der Isdal Frau auftaucht. Die größte Diskrepanz besteht jedoch darin, dass die Leiche der Isdal Frau Ende November 1970 gefunden wurde, von der falschen AR aber 1973 noch ein Lebenszeichen, als sie von Brüssel nach Westdeutschland umzog, überliefert ist. Die Bewegungsmuster beider Personen stimmen also nicht überein.
• Das BfV hatte die falsche AR und ihren Ehemann 1970 auf dem Schirm, konnte dem Norwegischen Geheimdienst jedoch bei der Identifizierung der Isdal-Frau vmtl nicht weiterhelfen. Obwohl die Deutschen selbst ein berechtigtes Interesse daran hatten. Auch dies deutet darauf hin, dass es sich nicht um ein und dieselbe Person gehandelt hat.
• Die Isdal Frau hat sich mit mindestens 8 verschiedenen Identitäten über den Kontinent bewegt und dabei Spuren hinterlassen. Neben abenteuerlichen Berufsbezeichnungen stimmten die Angaben auf ihren Meldezetteln nicht immer mit denen in den Pässen überein. Solche Fauxpas würden einer professionellen KGB/Stasi Agentin auf der Flucht wohl eher nicht unterlaufen. Auch hätte diese mglw eine andere Strategie des Untertauchens gewählt und dabei über bessere Ressourcen verfügt. Vmtl hätte sie dies von langer Hand und mit fremder Hilfe geplant. Auch wenn das alles letztlich Annahmen sind, so spricht mMn auch in diesem Punkt einiges dafür, dass die beiden Frauen nicht identisch gewesen sind.
Quellen
http://www.sno.no/files/documents/115210.pdf (Aftenposten 17.6.1997)
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8724926.html
http://www.tv2.no/a/6359972
https://www.nrk.no/dokumentar/xl/gaten-i-isdalen-1.12987220
http://scienceblogs.de/klausis-krypto-kolumne/2015/02/05/der-verschluesselte-tagebuch-eintrag-der-isdal-frau/#comment-204032
+ diverse Beiträge hier im Forum
Gern geschehen :-).
snowdon schrieb:Allerdings überzeugt mich das isolierte Datum 1973 nicht als "Lebenszeichen" der falschen Aud Rigmor.
Du hast recht, das wurde auf den letzten Seiten ausgiebig diskutiert. Und klar, bräuchte man noch weitere Belege, um die Theorie festzuklopfen.
Theoretisch könnte die Ummeldung eine falsche Spur seinUnklar ist, warum das mglw falsche "Lebenszeichen" erst drei Jahre nach dem Tod der Isdal Frau auftauchte? Das sehe ich auch so. Dazwischen ist viel Zeit vergangen, die der POT und andere an dem Fall interessierte Geheimdienste für Untersuchungen genutzt haben werden. Mit anzunehmender Wahrscheinlichkeit wird in diesem Zeitraum auch einiges aufgedeckt worden sein. Wäre die Frage, wer ein Interesse daran gehabt haben könnte, die Existenz der falschen Aud Rigmor über den 29.11.1970 hinaus zu belegen und warum?
snowdon schrieb:der Sache genau auf den Leim zu gehen, der beabsichtigt war.
Nein, nicht meine Absicht:-). Nach derzeitigem Kenntnisstand ist es einfach schwer zu beurteilen, wie viele Geschichten sich hier mglw überlagern und welche Akteurinnen und Akteure daran mitgewirkt haben. Dazu bräuchte man mehr gesicherte Informationen.
snowdon schrieb:daß ihr unprofessionelles Verhalten zum Gefahrenherd wurde
An so etwas in der Art hatte ich auch gedacht. Fragt sich, warum man sie nicht einfach abgezogen hat? Das wäre sehr viel unauffälliger gewesen als die bekannten Todesumstände mit anschließenden geheimdienstlichen Ermittlungen. Das sieht mir alles so inszeniert aus. Aber wer hat hier für wen etwas in Szene gesetzt und warum? War die falsche Aud Rigmor alias "Natasha" evtl eine Doppelagentin? Das würde die Geheimhaltungsstufe des Falls erklären.
snowdon schrieb:bei näherem Hinsehen doch wieder kalte Füße bekommen hat
Dass der POT einen großen Teil der Dokumente nicht freigegeben hat, wird etwas zu bedeuten haben. Das Material scheint immer noch brisant zu sein, das sehe ich genauso wie Du. Mal sehen, wie sich die Recherchen von NRK entwickeln.
Danke für Deine Anmerkungen.
Ich wollte es möglichst kurz halten. Die detaillierten Ergebnisse der Expertisen können gerne ergänzt werden.
Bellaso schrieb:Bislang sind keine Beweismittel dafür ersichtlich, dass sie mehrere Pässe hatte und welchen Inhalt diese hatten
Hinsichtlich der Pässe beziehe ich mich auf Aussagen der NRK Zu diesem Zeitpunkt deckt die Polizei auf, dass sie mindestens sieben verschiedene Pässe benutzt haben muss. Ich hätte aber ebenfalls den Konjunktiv benutzen sollen, das stimmt :-). Konkret ging es mir (wie vielen MitschreiberInnen vor mir) um die "Kreisleitung", ein organisatorischer Begriff der in den Parteien NSDAP und SED aber auch bei FDJ und Kulturbund in der DDR gebräuchlich war. Heute noch durch JRK/DRK verwendet wird. Nach meinem Kenntnisstand war diese Bezeichnung zu keiner Zeit für Pass- und Meldestellen üblich, weder in der DDR und in Belgien (Brüssel) schon gar nicht. Da die einzelnen Ostblockländer nach sowjetisch-zentralistischen Vorbild organisiert waren, wird es auch dort den Begriff "Kreisleitung" gegeben haben. Mal sehen, ob ich dazu noch Näheres finden kann. In der DDR hatten die BürgerInnen ausschließlich Kontakt mit den Meldestellen der Volkspolizei-Kreisämter (VPKÄ) vor Ort, die die einfachen Meldevorgänge (An- und Abmeldung) bearbeiteten sowie Anträge (z.B. auf Paßausstellung) entgegennahmen und weiterreichten. Daneben gab es bei den VPKÄ die Sachgebiete Kreismeldekartei, Reiseverkehr und Dokumenten-ausstellung. Theoretisch hätte die falsche Aud Rigmor mit ihrer Lebensborn/DDR Vita davon wissen müssen. Wahrscheinlich wurden "Kreisleitung" und "Kreisamt" verwechselt. Das könnte ein typischer Fehler einer fremdsprachigen Person sein, die den unterschiedlichen Sinn nicht verstanden hat. Und für die beide Worte ähnlich klingen. Mir ist wirklich unbegreiflich, wie eine Ost Agentin im Auslandseinsatz diesen Begriff auf die westliche Welt hat anwenden können? Die sind doch jahrelang vorbereitet und gebrieft worden? Wie kann man dann mit diesem Vokabular so eindeutige Spuren hinterlassen? Noch erstaunlicher wäre, wenn dieser Blödsinn ("Kartoffelstempel" :-) im Pass gestanden hätte. Damit wäre sie mMn über keine Grenze gekommen.