hier der Artikel der SZ
http://m.sz-online.de/sachsen/verabredung-zum-schlachtfest-2911830.html"Prämiere in Saal N 1.05 – und was für eine. Der neue große Verhandlungsraum im Dresdner Landgericht erlebt den ersten Strafprozess. Der könnte spektakulärer kaum sein. Es geht um das grausige Geschehen am 4. November 2013, als Wojciech S. im Keller der Pension Gimmlitztal im Osterzgebirge sein Leben verlor und anschließend von dem 56-jährigen Kriminalhauptkommissar Detlev G. zerstückelt und verscharrt wurde. Die Prozessbeteiligten könnten ein Kapitel sächsischer Justizgeschichte schreiben. Gleichwohl bleiben am ersten Prozesstag einige der 112 Plätze frei, als die Schwurgerichtskammer den Saal betritt.
Wenige Minuten zuvor haben zwei Wachtmeister den Angeklagten durch eine Seitentür hereingeführt. Detlev G. trägt eine dunkle Anzughose, ein rotbraunes T-Shirt und eine weiße Kapuzenjacke. Da geht kein gerichtserfahrener Verbrecher auf die Anklagebank zu. Fast unbedarft, vielleicht mit dem Gedanken „Was wollen die denn alle hier?“, schaut der mittelgroße, schlanke Mann in die Menge der Reporter. Er sieht keinen Grund, sein Gesicht vor den mehr als 30 Kameras zu schützen. Wohl aus Unsicherheit verzieht er seinen Mund sogar zu einem schmalen Lächeln.
Detlev G. ist Schriftsachverständiger des Landeskriminalamtes, bisher hat er immer im Zeugenstand zu seinen Gutachten Stellung genommen. Nun weiß er offensichtlich nicht, wie er mit dieser Situation umgehen soll. Aber in seinem Gesicht ist auch kein Anflug von Scham oder Reue zu erkennen. Dabei weiß er genau, dass die Anklage ihm in wenigen Minuten Abscheulichkeiten vorwerfen wird, die in die tiefsten menschlichen Abgründe führen.
Die Vorwürfe, die Staatsanwalt Andreas Feron dem Angeklagten zur Last legt, können in aller Deutlichkeit beschrieben werden, weil sie auf einem Video festgehalten sind. Detlev G. hatte die Aufnahmen zwar gelöscht, Kriminaltechnikern gelang es aber, die Dateien zu rekonstruieren. Bisher wurden sie im Gericht nicht gezeigt.
So ist bekannt, dass G. bereits in der Nacht zum 4. November 2013 mit seinem Panasonic Camcorder eine Sequenz aufnahm, in der er seine Freude äußerte: „Morgen ist das große Schlachtfest hier“, zitiert ihn die Anklage, „Da wird der Schwanz abgeschnitten und die Eier rausgeschnitten. Das wird geil für mich morgen werden ... “ Der niedersächsische Arbeitsvermittler Wojciech S., dem das widerfahren sollte, meldete sich am Nachmittag dieses Tages nach seiner Ankunft in Dresden telefonisch mit den Worten: „Hallo, dein Braten steht am Bahnhof zur Abholung bereit.“
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte dem Wojciech S. die Hände auf dem Rücken mit Kabelbindern fesselte, den Mund verklebte und ihm danach ein Seil um den Hals legte. Das war an der Kellerdecke am Haken eines elektrischen Flaschenzuges befestigt. Detlev G. habe den Flaschenzug betätigt, sodass sich das Seil zuzog. Auf diese Weise habe er Wojciech S. auf dessen Wunsch erdrosselt. Die Absicht des Angeklagten sei es gewesen, „sich sexuell zu erregen“ und durch die „Zerstückelung“, deren „Filmung“ und durch das „Anschauen des Filmes sexuellen Lustgewinn zu erzielen“, so die Staatsanwaltschaft.
Gegen Ende seiner Verrichtungen habe G. in die Kamera gesagt: „Dass ich mal so weit sinke, hätte ich nie gedacht.“ Er habe zumindest in Kauf genommen, dass das Zerstückeln der Leiche, „das Anstandsgefühl und Pietätsempfinden der Allgemeinheit verletzen würde“. So lautet die Anklage: Mord und Störung der Totenruhe.
Der Fall erinnert stark an den „Kannibalen von Rotenburg“ aus dem Jahr 2002. Der Täter Armin Meiwes und sein Opfer lernten sich im gleichen Internetforum kennen. Die Tötung verlief nach ähnlichen Regeln. Meiwes filmte seine Tat, auch er soll zur Befriedigung seines Sexualtriebes die Leiche zerstückelt und Teile verspeist haben. Meiwes wurde wegen Mordes und Störung der Totenruhe zu lebenslanger Haft verurteilt.
In der am Freitag in Dresden verlesenen Anklage gegen Detlev G. findet sich kein Hinweis auf kannibalische Handlungen. Doch seine Verteidiger sind offenbar in großer Sorge, dass es in dem Prozess angesichts der Parallelen nicht mehr um die aufwendige Suche nach der Wahrheit gehen könnte, sondern nur noch darum, ein abscheuliches Geschehen abzuurteilen und die Schuld des Angeklagten revisionssicher zu begründen.
In einer umfangreichen Erklärung beklagt Verteidiger Endrik Wilhelm deshalb, dass sein Mandant sowohl durch Medien, aber auch durch den Gang der Ermittlungen bereits vorverurteilt sei. Detlev G. fürchte, „dass ihm keine faire Behandlung zuteil werden“ könnte. Die Verteidigung begründet das damit, dass bis heute keine Rekonstruktion des Erhängens stattgefunden hat. Auch das Gericht hatte vor Monaten befürwortet, die Tat nachzustellen. Die Staatsanwaltschaft konnte dazu nur erklären, dass sich die dafür nötigen Beweismittel zur kriminaltechnischen Untersuchung in Magdeburg befänden. Grundsätzlich, so der Eindruck gestern, scheint keiner der Prozessbeteiligten Einwände gegen eine solche Rekonstruktion zu haben. Denn sie könnte dazu beitragen, eine der wichtigsten Fragen zu klären: War es Mord oder Selbstmord?
Die Verteidigung argumentiert ausführlich, warum sie davon ausgeht, dass der Vorwurf des Mordes nicht haltbar sei. Aufgrund der in dem Video sichtbaren Position des Erhängten müsse davon ausgegangen werden, dass Wojciech S. jederzeit mit den Füßen Bodenkontakt und damit die Möglichkeit hatte, die Strangulation abzubrechen. Dem sei im Verlauf der Ermittlungen nicht die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt worden. Wilhelm sprach von „verfärbten Wahrnehmungen der Staatsanwaltschaft“. Sie habe im März Anklage erhoben, obwohl die Ermittlungen noch lange nicht abgeschlossen waren. So sei die Akte danach um weitere 500 Seiten angewachsen. Der Anwalt beendet seinen Vortrag mit den Worten, sein Mandant sei „kein Mörder“.
Die beiden Anwälte beantragen nun auch formell im Prozess, dass in einem kriminaltechnischen Gutachten der Vorgang des Erhängens rekonstruiert und in einer 3-D-Simulation dargestellt werden solle. Zudem solle der Berliner Sexualwissenschaftler Klaus M. Beier mit einem Gutachten beauftragt werden, um mehr über die Beziehung zu erfahren, die zwischen Detlev G. und Wojciech S. in den etwa vier Wochen entstanden ist, die sie sich kannten. Wie ernst meinen es Menschen, die sich wie der 59-Jährige töten und schlachten lassen wollen. Beier war bereits im Prozess gegen den „Kannibalen von Rotenburg“ als Sachverständiger tätig.
Birgit Wiegand, die Vorsitzende der Schwurgerichtskammer, lässt ihrerseits durchblicken, dass das Gericht großen Wert darauf legt, dass sich auch der Angeklagte selbst psychiatrisch begutachten lässt. Die Kammer hat dafür den Berliner Gerichtspsychiater Hans-Ludwig Kröber gewonnen. Doch der konnte bisher mit Detlev G. kein Wort wechseln, weil sich der Angeklagte der Untersuchung verweigert.
Eher unerwartet sagte der 56-Jährige gestern einiges über sein bisheriges Leben aus. Geboren am Silvestertag 1957 im thüringischen Hildburghausen, wuchs er ein paar Kilometer südlich in der Kleinstadt Heldburg auf, ging dort zehn Jahre zur Schule und erlernte danach im Schraubenkombinat Hildburghausen den Beruf des Galvaniseurs. „Wohlbehütet und harmonisch“ sei seine Kindheit verlaufen, sagt er. Das „Nesthäkchen“ sei er gewesen, als Jüngstes von vier Geschwistern.
Detlev G. leistete seinen Grundwehrdienst, arbeitete nur kurz im Beruf. Nach zwei Chemieunfällen in der Galvanik sei es ihm zu gefährlich geworden. Deshalb wechselte er zur Polizei. Die schickte ihn nach einigen Monaten Streifendienst zur Offiziersschule nach Aschersleben, wo er zum Schriftsachverständigen ausgebildet wurde. Danach habe er mehr als 20 Jahre bis zur Festnahme als Schriftexperte gearbeitet, seit 1994 in Sachsen. Mit seinem Geburtsnamen Detlev Z. hatte er 1984 geheiratet. Die Ehe wurde 2002 geschieden, nachdem er einen neuen Partner kennengelernt hatte. Die beiden Männer heirateten. Doch im Frühjahr sei auch diese Ehe geschieden worden, sagt der Angeklagte.
Leise und ruhig erzählt der Angeklagte, dass er bis heute guten Kontakt zu seiner Ex-Frau, seinen drei Kindern und seinen drei Schwestern habe. Alle hätten ihn im Gefängnis besucht, wo er versuche, kreativ tätig zu sein, und ein Buch schreibe. Vielleicht steht darin mehr über seine sexuelle Umorientierung, seine Vorlieben und Neigungen, die ihn offenbar in ein bizarres sadomasochistisches Milieu führten. Denn dem Gericht will er dazu am ersten Tag nichts sagen.
Dafür werden Teile der Kommunikation bekannt, die Detlev G. unter dem PSeudonym „Caligula31“ und Wojciech S. als „LongpigHeszla“ im Internetforum „zambianmeat“ und per SMS führten. Wichtigste Erkenntnis: Die grausigen Ereignisse im Gimmlitztal sollten eigentlich schon am 6.Oktober 2013 stattfinden. Aber da konnte „LongpigHeszla“ nicht kommen. Er war gerade klamm, es fehlte das Fahrgeld nach Dresden. Aber er versicherte per E-Mail: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben."