Wo ist Dano? Eine Stadt sucht einen Jungen
Vor einer Woche verschwand in Herford ein fünfjähriges Kind vom Spielplatz. Es war der Auftakt einer für die ostwestfälische Stadt beispiellosen Suche, bei der einige Helfer übers Ziel hinausschossen. Von Kristian Frigelj
Alle hoffen, dass Dano, 5, noch lebt
In Herford (NRW) suchen derzeit Polizei und Einsatzkräfte nach einem verschwundenen Jungen. Das fünf Jahre alte Kind wurde zuletzt auf einem Spielplatz gesehen, der in der Nähe eines Gewässers liegt. Zunächst wurde vermutet, dass Dano ins Wasser gefallen sein könnte.
Vorsichtig watet der Mann durch das strömende Wasser. Ein Seil ist an seiner wasserdichten Anglerhose befestigt, damit er nicht weggetrieben wird. Immer wieder stochert er mit einer langen Holzstange im Boden herum. Auf der anderen Seite des Wehrs sitzen Feuerwehrleute in einem gelben Ruderboot, das an einem über den Fluss gespannten Seil gesichert ist, und suchen den Grund des Flusses Werre ab. Um vielleicht etwas zu finden, was niemand finden will. Alle hoffen, dass Dano noch lebt.
Vor einer Woche war der Fünfjährige von einem Spielplatz in Herford verschwunden. Seitdem wurde eine in der Region beispiellose Suche gestartet. Bis ins 15 Kilometer entfernten Bad Oeyenhausen wurde sie ausgedehnt und konzentrierte sich vor allem auf die Gewässer. Vier Stunden lang suchten Feuerwehr und Polizei noch am Donnerstag am Kokturkanal in Bad Oeynhausen.
Mit Hubschrauber, Booten, die mit Sonartechnik ausgestattet sind, und Tauchern. Doch am Freitag wurden die Suchmaßnahmen der Polizei erst einmal abgeschlossen – ergebnislos.
Foto: Infografik Die Welt
Die Polizei hat bei ihren Ermittlungen bislang keine heiße Spur
Polizeihauptkommissar Michael Albrecht widerstrebt es dennoch, darin ein schlechtes Zeichen zu sehen. "Es wäre schlimm, wenn wir als Polizei nicht ein Fünkchen Hoffnung hätten, den vermissten Junge zu finden", sagt Albrecht. Und natürlich arbeite die 30-köpfige Ermittlungskommission "auf Hochtouren" weiter.
Die jungen Eltern bitten um Hilfe
Tatsächlich bewegt das Schicksal des kleinen Jungen auch die Bewohner der Stadt unvermindert. Seine verzweifelte Familie, Nachbarn und Bekannte haben Hunderte Flugblätter verteilt, an Laternenpfähle und Container geheftet, in die Schaufenster von Apotheken, Bäckereien, Supermärkten, Büros und Gaststätten geklebt. Auch an den Kassen der örtlichen Tankstellen liegen Kopien aus, auf denen Dano mit seinen dunklen fragenden Augen zu sehen ist. "Vermisst" steht unter dem Foto. Mit vielen Ausrufezeichen.
Die jungen Eltern Samira und Almedin Kajtazi haben sich mittlerweile an die Lokalzeitung gewandt und bitten um Hilfe. "Ich kann nicht mehr weinen, weil ich keine Tränen mehr habe", sagte die 26-jährige Mutter dem "Westfalenblatt". Sie hätten tagelang nicht mehr geschlafen vor Sorge und Angst. "Ich kriege Gänsehaut, wenn ich mir vorstelle, was ihm alles passiert sein könnte. Da kommen einem die schlimmsten Gedanken", erzählte der Vater.
Am vergangenen Freitag hatte die Mutter noch mit Dano seinen Lieblingskaugummi gekauft. Dann ging er zum Spielen auf den nahen Spielplatz. Sie sah ihn zum letzten Mal. Gegen 17.30 Uhr alarmierten die Eltern die Polizei. Spürhunde witterten direkt hinter der belebten Straßenkreuzung auf dem Spielplatz seine Spur, aber dort verliert sie sich.
Schnell kam der Verdacht auf, er könnte ins Wasser gefallen sein. Nur ein Gehweg mit einem gräsernen Uferstreifen trennt den Kinderspielplatz vom Flussbett der Werre. Die Mutter berichtete der Polizei, dass Dano schon einmal dort ausgerutscht sein soll und dass ihn eine seiner Schwestern wieder hochgezogen habe.
Anteilnahme in den sozialen Netzwerken
Die Polizei hat den Betonkomplex an der Berliner Straße, in dem die Familie aus dem Kosovo lebt, durchsucht, fast Hundert Wohnungen mit Kellerräumen, ebenso die Häuschen einer Kleingartenanlage. Die Betroffenheit in Herford ist groß. Rund 600 Menschen kamen Mitte der Woche zu einer Andacht in die Münsterkirche, um für Dano zu beten. Bürgermeister Bruno Wollbrink kam ebenfalls. Noch größer ist die Anteilnahme in den sozialen Netzwerken.
In Herford erlebt die Polizei ein neues, aber immer öfter auftretendes Phänomen. Betroffene Bürger schließen sich über die sozialen Netzwerke zusammen. Auf Facebook wurden mehrere Seiten eingerichtet, die sich mit den neuesten Erkenntnissen zum vermissten Jungen befassen. Allein für die Seite "Herford sucht Dano" interessieren sich mittlerweile rund 17.000 Nutzer.
Einige Bürger wollten sogar auf eigene Faust suchen und übertrieben es dabei. Nach Auskunft der Polizei wurden Autofahrer in der vergangenen Woche gestoppt und Jugendliche forderten die Fahrer auf, ihren Kofferraum zu öffnen, um ihn zu kontrollieren. Die Polizei hat mit den Initiatoren gesprochen und sie um mehr Zurückhaltung gebeten, auch um Ermittlungen nicht zu behindern.
Man beschimpfte sich gegenseitig
Eine ähnliche Entwicklung hat es rund Hundert Kilometer entfernt in der Stadt Kamen nur wenige Tage zuvor gegeben. Als dort innerhalb weniger Tage Autos auf der Straße in Brand gesetzt wurden, fühlten sich einige Kamener aufgerufen, selbst Patrouillen zu bilden, auch weil sie um ihre eigenen Autos fürchteten. Sie schlossen sich per Facebook zusammen. Dort wie in Herford schaukelten sich die Nutzer zwischenzeitlich gegenseitig hoch. Im Drama um den verschwundenen Dano eskalierte es zwischenzeitlich. Nutzer des Netzwerks beschimpften sich gegenseitig, auch, weil einige den Eltern Vorwürfe machten.
Die Facebook-Seite "Herford sucht Dano" wurde deshalb für kurze Zeit deaktiviert. Mittlerweile ist sie wieder online. Man hat nun die Zahl der Administratoren erhöht, die sich um den Account kümmern und Kommentare sichten. Trotz kritischer Äußerungen erfährt die Familie von Dano hier überwiegend große Solidarität. "Bitte kleiner Mann halte durch, wo immer du bist", schreibt eine Nutzerin. Eine andere junge Frau hinterließ die Botschaft. "Ich komm nicht aus NRW. Aber ich bete für seine Familie und Freunde, dass er zurückkommt."
Dort, wo Dano vermutlich zuletzt gesehen wurde, ist es inzwischen ruhig. Nur einige Kinder toben auf dem Spielplatz. Es ist eine kleine grüne Oase mit hohen Bäumen an einer vielbefahrenen Straßenkreuzung von Herford. Zwei Polizisten stehen auf dem Gehweg und sprechen mit Passanten. Mit wenigen Schritten kann man über den Gehweg zum Ufer der Werre gelangen. "Achtung Wehr – Lebensgefahr" steht auf einem Schild, das an einem über den Fluss gespannten Drahtseil hängt, dahinter führt der Fluss einige Meter tiefer Richtung Bad Oyenhausen.
Alle hoffen
Ein Ehepaar sitzt auf einer Bank am Rande des Spielplatzes. "Ich lasse meine Kinder hier nicht mehr allein spielen", sagt der Vater. Er lebe seit 30 Jahren hier, noch nie sei so etwas passiert.
Die Polizei erklärt mittlerweile, die Wahrscheinlichkeit sei "sehr, sehr gering", dass Dano ins Wasser gefallen sei. Man müsse von einem Verbrechen ausgehen. Mehr als 120 Hinweise wertet die Ermittlungskommission aus. Und alle hoffen, dass sich die bittere Erfahrung nicht bestätigt: Je länger die Suche dauert, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Vermisster noch lebt.
http://www.welt.de/vermischtes/article126053804/Wo-ist-Dano-Eine-Stadt-sucht-einen-Jungen.html