Stadt der Götter
Als Tenochtitlan von den `zivilisierten Europäer` verwüsten wurde, schlummerten keine 40 Kilometer davon entfernt gewaltige Kultanlagen, Pyramiden und Tempel in einer Art Dornröschenschlaf vor sich hin.
Rätselhafte Bauwerke lagen unter üppigen bewachsenen Hügelchen, die wie natürliche Erhebungen aussahen. Sie waren den Einheimischen wohlbekannt. Ihren Überlieferungen zufolge waren sie in grauer Vorzeit errichtet worden. Ein heiliger Mythos weiß:
"Während der Nachtzeit, als die Sonne noch nicht schien, als es noch keinen Tag gab, da versammelten sich die Götter an dem Ort, den man Teotihuacan nennt, um über den Menschen zu beraten." Der Polyglott-Reiseführer "Mexiko" bestätigt:
"Die Atzteken fanden hier schon eine verfallene Sakralstätte und nannten sie "Ort der Götter", da sie die gigantischen Bauwerke nur von diesen errichtet vorstellen konnten. Wir wissen nicht, wer Teotihuacan erbaute, wie es ursprünglich hieß, wann und warum es zerstört wurde." Prof. Hans Schindler-Bellamy, Wien, mutmaßt:
"Mir scheint, daß Teotihuacan plötzlich und ohne ersichtlichen Grund verlassen wurde. Ich muß an die Maya denken. Sie bauten glanzvolle Städte und verließen sie zwischen 600 und 900 nach Christus aus unerfindlichen Gründen, um andernorts wieder neu seßhaft zu werden." Maya-Spezialist Rafael Girard:
"Dieser jähe Abbruch aller Arbeiten zu einer Zeit, da sich die Maya-Zivilisation in voller Blüte befand, zeigt, daß ihr Untergang gewaltsamer Art war." Freilich sind keinerlei Spuren gewaltsamer Auseinandersetzungen zu finden: weder in den verlassenen Städten der Vertreter der Maya-Kultur, noch in Teotihuacan. Im Fall von Teotihuacan ist weder bekannt, wann die Stadtanlage verlassen wurde, noch warum, ja wir wissen nicht einmal genau, wann und von wem sie erbaut wurde.
Viele Jahre leitete Laurette Sjeourne als Archäologin die Ausgrabungen von Teotihuacan. Sie schreibt:
" Die Ursprünge dieser Hochkultur stellen das unzulänglichste aller Geheimnisse dar. Es ist schwer, sich vorzustellen, daß der Komplex geistiger Voraussetzungen plötzlich, vollkommen ausgebildet, einfach vorhanden gewesen wäre. Wir haben keinerlei materielle Zeugnisse für diesen erstaunlichen Entwicklungsprozess." Archäologische Untersuchungen wurde 1864 von Ramon Almarez begonnen. Für archäologische Grabungen waren Batres und Desire Charnay zuständig.
1905 versuchte Leopoldo Batres Bauwerke zu rekonstruieren. Spätere Archäologen warfen ihm allerdings vor, mehr zerstört als gerettet zu haben.
Erst 1962 wurde der `Schmetterlingspalast` freigelegt und restauriert, 1971 stießen Archäologen auf einen Tunnel unterhalb der Sonnen-Pyramide.
Die Stadt Teotihuacan ist entlang einer vier Kilometer langen und 45 Meter breiten Straße errichtet worden, die heute den Namen `Calzada de los Muertos`, Sraße der Toten, trägt, eine freilich völlig willkürlich gewählte Bezeichnung.
Am nördlichen Ende erhebt sich terrassenförmig die "Mondpyramide" (Grundfläche 150 mal 200 Meter). Befindet man sich am Südende und blickt nach Norden, so erscheint der gewaltige Komplex als eine einzige riesige Treppe, die in die Mondpyramide übergeht. Das Ganze wirkt wie eine Treppe, die in den Himmel führt. Um diesen Effekt zu erzielen, was sorgsame Planung erforderlich.
Diese Leistung erscheint um so bewundernswerter, wenn man bedenkt, wie lange an dem kühnen Projekt gearbeitet wurde.
Begonnen wurde mit den Baumaßnahmen bereits um 800, vielleicht 1000 vor Christus. Im sechsten Jahrhundert nach der Zeitenwende fanden sie ihren Abschluß. Von Anfang an muß ein präzises Baukonzept vorhanden gewesen sein, das dann weit über 1000 Jahre lang befolgt wurde.
Eine Unmöglichkeit: Den Erbauern von Teotihuacan wird in der gesamten wissenschaftlichen Literatur eine Schrift abgesprochen! Wie soll man dann die komplizierten Baupläne von Generation zu Generation überliefert haben? Etwa mündlich?
Steht man auf der Mondpyramide und blickt gegen Süden, so sieht man nur noch eine Srtraße. Die schier endlose Treppe, die man von Süden kommend aus bestaunte, sie ist jetzt `verschwunden`.
Die Sonnen-Pyramide von Teotihuacan (Grundfläche 222 mal 265 Meter) ist das gewaltigste, bisher bekannte Bauwerk Südamerikas. Ihr Volumen übertrifft sogar das der ägyptischen Cheopspyramide. Ein erstaunliches Kuriosum: Der Gesamtkomplex von Teotihuacan ist so angelegt, daß Sonnen- und Mond-Pyramide beide gleich hoch zu sein scheinen. Dabei überragt die Sonnen-Pyramide ihre `Kollegin` um 20 Meter.
Noch zu Zeiten der Spanier stand auf der Spitze der Sonnenpyramide eine gewaltige Statue. Sie soll einen Gott dargestellt haben, was Juan de Zumarraga, den ersten Bischof von Mexiko, wenig interessierte. Er ließ die Statue zerschlagen. Das Kunstwerk war mit Gold und Silber überzogen. Daraus wurden Barren gegossen.
Je intensiver sich Wissenschaftler mit Teotihuacan beschäftigen, desto mehr kommen sie zur Überzeugung, daß die gesamte gigantische Anlage alles andere als willkürlich gebaut, sondern bis ins kleinste Detail sorgsam durchgeplant worden ist.
Hugh Harleston vermaß den Gebäudekomplex und kam zu der Erkenntnis, daß die Bauten an der `Straße der Toten` nach einem besonderen Plan errichtet wurden. Und zwar stellt ihr Grundriß ein präzises Modell unseres Sonnensystems dar: Pyramiden und Plattformen stehen für die durchschnittlichen Bahndaten von Merkur, Venus, Erde und Mars.
Im ´Teotihuacan-Modell` beträgt die Entfernung Sonne-Erde 96 Einheiten, Merkur hat einen Abstand von 36, Venus einen von 72 und Mars einen Abstand von 144 Einheiten.
Das stimmt exakt. Doch damit nicht genug! Auch der Asteroidengürtel ist im Modell Teotihuacan an der richtigen Stelle ´eingezeichnet` - als künstlich angelegter Kanal.
Planet Saturn, so scheint es zunächst, fehlte im Modell. Aber auch er war, astronomisch korrekt und exakt, durch ein Gebäude markiert worden, das jedoch einer Straße für Touristen zum Opfer fiel und abgerissen wurde.
Es wird noch phantastischer: Die Planeten Uranus, Neptun und Pluto sind im Modell in korrekter Entfernung wiedergegeben. Dabei wurden diese Sonnentrabanten erst in den Jahren 1761, 1846 und 1930 entdeckt. Sie müssen den Erbauern von Teotihuacan bereits vor Jahrtausenden bekannt gewesen sein. Ein solches Wissen paßt freilich nicht in das Bild, das die Wissenschaft von den Teotihuacanern zeichnet.
Gibt es eine plausiblere Erklärung?
Waren die Entfernungen der Planeten von der Sonne doch nicht bekannt?
Wurden die Gebäude der `Straße der Toten` nach einem mathematischen System verteilt - und zufällig ein maßstabsgerechtes Abbild unseres Sonnensystems erschaffen? Auf den ersten Blick scheint dieser Lösungsvorschlag akzeptabel zu sein.
1772 versetzte der Hamburger Johann Elert Bode nicht nur die Fachwelt in Erstaunen, als er zu beweisen suchte, daß die Entfernungen der Planeten von unserer Sonne einem mathematischen Gesetz ´gehorchen`.
Bode hat mit einer harmlosen Zahlenspielerei begonnen. Er bildete eine Zahlenreihe, fing mit 0 an, ließ 1 folgen und verdoppelte dann die Zahlen. So ergaben sich die folgenden Zahlen: 0-1-2-4-8-16-32-64. Bode multiplizierte die Zahlen sodann mit 3, was folgende Reihe ergab: 0-3-6-12-24-48-96-192.
Jetzt zählte Bode noch überall 4 hinzu. Ergebnis 4-7-10-16-28-52-100-196.
Diese letzte Zahlenreihe spiegelt nun recht exakt die Entfernung der Planeten von unserer Sonne wieder. Setzt man nämlich den Abstand ERde-Sonne mit 10 gleich, so ergeben sich verblüffende Übereinstimmungen mit Bodes Reihe.
Tatsächliche Entfernung der Planeten von der Sonne:
Merkur Venus ERde Mars X Jupiter Saturn XX
3,9 7,4 10 15,2 ? 52 95,4 ?
Bodesche Reihe:
4 7 10 16 28 52 100 196
Zunächst fiel auf: Zwei Zahlen der Bodeschen Reihe schienen keinen Planeten zu entsprechen: nämlich die 28 und die 196!
Dann aber entdeckte man den Asteroidengürtel jenseits des Mars. Tatsächliche Entfernung: 27. Bode: 28.
Und auch der Planet Uranus - Entfernung von der Sonne circa 182 Einheiten - findet sich in der Bodeschen Reihe wieder: 196.
Natürlich erscheint die Vorstellung, beim Bauplan von Teotihuacan habe man sich an eine willkürlich gewähklte Zahlenreihe gehalten, weniger phantastisch, als daß prähistorische Besucher aus dem All vor Jahrtausenden einen Plan unseres Sonnensystems nach Mexiko brachten. Die Sache hat aber einen Haken: Die Bodesche Reihe endet mit Uranus. Sie hat keinen Platz mehr für Neptun und Pluto.
Im Modell von Teotihuacan sind aber auch diese Außenposten unseres Sonnensystems maßstabsgerecht im richtigen Abstand zur Sonne wiedergegeben!
Das Rätsel bleibt also bestehen! Als ein Bestandteil des geheimnisvollen Pyramiden-Paradoxons!
Martin Lehmann, Herausgeber von ´Discover`, als Fazit seiner bemerkesnwerten Abhandlung "Teotihuacan, Zahlen und Fakten eines Rätsels":
"Unsereins steht fassungslos vor den mathematischen Tatsachen, welche die Erbauer von Teotihuacan angewandt haben. Doch führt uns dieses Beispiel wiedrum deutlich vor Augen, wie wenig wir tatsächlich von unserer eigenen Vergangenheit wissen." (aus: Walter-Jörg Langbein - "Bevor die Sintflut kam" )
Die Wahrheit ist seltsamer als die Fiktion, weil die Fiktion Sinn machen muss.