Techno Sapien und der Transhumanismus
12.08.2013 um 10:48
Ich denke nicht, dass Transhumanismus eine gangbare Option ist.
Die Grundidee scheint simpel zu sein: Ein Gehirn künstlich nachzubauen in Gestalt elektronischer Schaltkreise und damit ein Bewusstsein zu simulieren, dass sich als "Ich" wahrnimmt. Was in der Natur geklappt hat, muss prinzipiell auch auf künstlichem Weg nachstellbar sein, weil sowohl natürliche wie auch künstliche Gehirne auf der Basis materieller Strukturen funktionieren. Also sind künstliche Gehirne prinzipiell möglich und somit auch konstruierbar. So weit, so gut.
Das Problem ist hierbei - wie so oft - die Vernachlässigung des Kontextes, der ein natürliches Gehirn funktionieren lässt und die Einnahme einer monokausalen Perspektive, die zu einem extremen Reduktionismus führt, aus dem wiederum nur Bruchstückhaftes erwachsen kann.
So etwas ist geeignet zur Befriedigung utopistischer Träume, aber leider nicht praktisch umsetzbar, weil sich die komplexer als gedacht erweisende Realität als Hindernis entpuppt, an dem der Versuch, das Traumgebilde Realität werden zu lassen, kläglich scheitert - nicht ohne eine Menge Schaden zu hinterlassen, der im Nachhinein wieder mühsam repariert werden muss.
Doch der Reihe nach:
Ein natürliches Gehirn existiert nicht losgelöst vom Körper, in dem es gewachsen ist. Es ist ein integraler Bestandteil desselben und konstituiert diesen im Kontext mit allen anderen Geweben. Über den Blutkreislauf ist das Gehirn mit den vielfältigen Stoffwechselvorgängen vernetzt, und umgekehrt, reguliert das vegetative Nervensystem im Nachhirn den Blutkreislauf. Somit besteht bereits hierin eine mehr als innige Verbindung zu einem Ganzen.
Über den Blutkreislauf werden die Nervenzellen mit allem Nötigen versorgt, was sie zu ihrem Funktionieren benötigen. Insbesondere die Regeneration der Zellen infolge ihres Funktionierens ist hierbei von zentraler Bedeutung. Ausfälle müssen kompensiert, Ersatzverknüpfungen geschaffen und der Gesmtstoffhaushalt aufrecht erhalten und recycelt werden. Dazu muss Material (in Gestalt verschiedener organischer Moleküle, die als Ausgangssubstanzen für weitere Synthesen dienen) und Energie (bevorzugt ATP) bereitgestellt werden sowie Sauerstoff für die Mitochondrien, die sich in den Zellen befinden. Alles das erfolgt über das wässrige Medium.
Der Stoffwechsel gewährleistet ein metastabiles Gleichgewicht jenseits des chemischen Gleichgewichts, das sich einstellen würde, wenn der Stoffwechsel ausbliebe - kurz: wenn der Organismus tot ist.
Die große Illusion der Transhumanisten ist nun, dass das, was aus einem funktionierenden biologischen Gehirn entwächst, nämlich Bewussstsein, Denken und Ichwahrnehmung, auch dann zu haben ist, wenn man ein künstliches Gehirn konstruiert, das von jeglichem Stoffwechsel abgekoppelt ist, so dass der Körper, wie wir ihn kennen, entbehrlich wird. Meiner Ansicht nach kann das nicht funktionieren.
Es ist natürlich möglich, künstliche Gehirne zu konstruieren - zumindest prinzipiell - eventuell sind solche Gehirne auch in der Lage, ein virtuelles Abbild ihrer Umgebung zu simulieren, einschließlich der Gerätschaften, die an das Gehirn angeschlossen sind, um sich z.B. fortzubewegen. Ob der Sprung vom reinen Wahrnehmen ("Da ist ein Hindernis.") und Reagieren (Ausweichreaktion) zum Ichbewusstsein ("Ich weiche dem Hindernis aus, und ich weiß, dass ich es bin, der das tut.") gelingt, ist zwar - wiederum prinzipiell - nicht ausgeschlossen, entzieht sich aber der objektiven Nachprüfbarkeit.
Angenommen, es vollzieht sich in einem künstlichen Gehirn der Sprung zum Ichbewusstsein als Resultat eines längeren Lernprozesses (Über die Erfahrung der Außenwelt in Kontrast zur Erfahrung der Innenwelt ergibt sich die Konstruktion des Ichbegriffes zur Bezeichnung des Trägers der Innenwelt), dann ist das auf diesem Weg gewonnene Ich ebenso autonom wie das, was in einem beliebigen natürlichen Gehirn entstanden ist.
Und ebenso, wie man die verschiedenen natürlichen Ichs nicht beliebig verpflanzen kann (weil jedes Ich seine eigene Geschichte mit seinem eigenen Gehirn hat), kann man ein natürlich gewachsenes Ich nicht auf ein künstliches Gehirn transferieren, in der Hoffnung, man bliebe hinterher derselbe, der man vorher war - nur eben auf der Basis eines künstlichen Substrats.
Einer der größten Mythen in diesem Zusammenhang ist die Vorstellung, Subjektivität ließe sich auf einen gewissen Datenumfang reduzieren, so als käme es nur auf die Rechenleistung an, die das Gehirn schaffen muss - die Software "Bewusstsein" ist dann beliebig kopierbar und transferierbar - am besten per Funksignal direkt ins Gehirn, wo es sich dann einnistet. So einfach ist es denn nun doch nicht.
Man kann Bewusstsein zwar auf einen Begriff bringen und diesen dann als sprachliche Einheit nach Art eines Lexikoneintrags auf einen Datenspeicher übertragen, aber das ist wohl nicht damit gemeint, wenn es heißt, Bewusstsein zu übertragen. Gemeint ist doch wohl, dass das, was geschieht, damit Bewusstsein entsteht, übertragen wird. Und das ist etwas Prozessuales, das sich nicht kontextfrei auf eine Menge an Bits reduzieren lässt.
Doch selbst wenn es gelingen sollte, den Kontext, innerhalb dessen in einem natürlichen Gehirn Bewusstsein entsteht, dahingehend zu verstehen, dass er sich als digitale Bitfolge darstellen lässt, bedeutet das noch lange nicht, dass der Kontext des Empfänger-Gehirns passgenau zum Kontext des Spender-Gehirns ist. Das heißt: Selbst wenn der Prozess der Entstehung von Bewusstsein in eine transferierbare Form gebracht werden kann (was allerdings höchst zweifelhaft ist!), bedeutet das nicht zugleich, dass es auch erfolgreich transferiert und implantiert werden kann. Das was dann herauskommt, hat mit dem, woher es kommt u.U. wenig bis nichts zu tun und ist nicht vorhersehbar.
Mit viel Glück erhält man eine andere Persönlichkeit, die mit dem Dilemma zurechtkommen muss, keine eigene Geschichte zu haben, sondern fertig "ins Sein geworfen" wird. Mit etwas weniger Glück erschafft man so etwas wie Frankensteins Monster, das an seinem Dilemma zerbricht und irgendwann als Psychopath durchknallt. Und in den meisten Fällen erhält man nichts Verwertbares, weil irgendwelche Schaltkreise nicht das machen, was vorher die entsprechenden Neuronen gemacht haben.
Eine weitere Überlegung in diesem Zusammenhang ist die Idee, dass man das natürliche Gehirn sukzessive durch künstliche Implantate ersetzt, bis dann nur noch der letzte Rest - die Simulationszentrale des Bewusstseins nämlich - verbleibt, um dann auch noch ersetzt zu werden. Für Menschen mit einschlägigen Behinderungen sind Gehirnimplantate natürlich eine große Erleichterung, und hier sollte die Forschung auch unbedingt vorangetrieben werden. Denkbar ist weiterhin die globale Vernetzung über Gehirnimplantate mit dem Internet - ob sie wünschenswert ist oder nicht, sei einmal dahingestellt.
Die Simulation des Bewusstseins ist jedoch untrennbar mit dem Körper verbunden, in dem das Gehirn gewachsen ist. Das heißt: Ich kann zwar mit künstlichen Implantaten weitere Körperfunktionen installieren und auf diese dann auch via Knotenpunkt zugreifen, aber diese ersetzen nicht den biochemischen Gesamtkontext, in den das Gehirn nicht einfach nur eingebunden ist, sondern diesen selbst mit konstituiert, wie oben ausgeführt wurde.
Man kann einen Teil des Körpers durch künstliche Organe bzw. Extremitäten ersetzen und über Gehirnimplantate steuerbar machen - eventuell sogar das Herz, wenn man eine geeignete Rückkopplungsschleife installiert. Spätestens beim Verdauungstrakt und den damit assoziierten Organen scheitert es jedoch mit dem Ersatz durch künstliche Implantate. Eine Zeit lang kann man sich mit künstlicher Ernährung durch Infusion behelfen, aber irgendwann wird das Material für den anabolischen Metabolismus knapp, und mit der Leber scheidet auch die Entgiftungsfunktion aus.
Also gibt es bereits auf dieser Ebene natürliche Grenzen, die durch die organisierte Biochemie gesetzt sind, der auch das Gehirn unterworfen ist. Auch Cyborgs müssen sich ernähren, trinken und atmen - und ja, auf Toilette gehen müssen sie auch. Man würde also sehr viel Geld in eine Durchgangsstation investieren, die am Ende nur das leistet, was der natürliche Organismus bereits hat. Eine sukzessive Gehirnverdrängung durch künstliche Implantate würde in eine Sackgasse führen.
Doch angenommen, es würde gelingen, auch den letzten Rest Gehirn (in doppelter Wortbedeutung!) mit künstlichen Implantaten zu ersetzen: Dann hätten wir ein anderes materielles Fundament, auf dem sich Bewusstsein manifestiert. Es mag sein, dass dieses Fundament gegen Infekte, Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebs immun ist - weil der Stoffwechsel fehlt - aber unsterblich ist man damit ja noch nicht, wie es sich die Transhumanisten erhoffen.
Irgendwann geht auch in einem künstlichen Gehirn mal etwas kaputt und muss repariert werden. So lange die dazu nötige Infrastruktur verfügbar ist (sprich: das Vorhandensein von Produktionsstätten für Ersatzteile), ist das kein Problem. Was aber, wenn nicht? Was tun bei der nächsten Krise? Wer entscheidet über die Verteilung bei knappen Ressourcen nach welchen Kriterien und auf welcher Rechtsbasis?
Die Grundprobleme der Gesellschaft, die wir heute vorfinden, werden in einer transhumanen Gesellschaft nicht gelöst, nur weil sich das Substrat ändert, auf dem sich die Individuen konstituieren, welche in der Gesamtheit die Gesellschaft aufbauen, in der sie - nein, nicht leben, aber existieren. Darum ist Transhumanismus ein utopistisches Projekt, wo mit Hilfe von Technologie alte Unsterblichkeitsphantasien verwirklicht werden sollen, aber aus naheliegenden Gründen nicht eingelöst werden können.
Von daher: Für manche vielleicht ein schöner Traum, aber sonst nichts.
Oder anders: Das Gute daran ist nicht neu und das Neue daran ist nicht gut.
In diesem Sinne ...