30 Jahre nach dem Anschlag von Bologna ermittelt die italienische Justiz nun doch noch gegen Thomas Kram.
Allerdings in einem Zusammenhang, von dem ich wenig halte:
Nach der neuesten Theorie soll es sich beim Anschlag von Bologna um eine Racheaktion für die Verhaftung eines PFLP-Aktivisten gehandelt haben.
Carlos, dessen Terrorgruppe Thomas Kram (alias „Lothar“) zweifellos angehörte, hatte zwar mit der PFLP eng zusammengearbeitet – allerdings nicht mehr zum Zeitpunkt des Anschlags von Bologna.
Nach dem Tod von Wadi Haddad hatte sich Carlos Verhältnis zur PFLP abgekühlt, während die Zusammenarbeit bzw. Auftragsarbeit mit dem libyschen Geheimdienst ab 1979 intensiviert wurde und in den frühen 80er Jahren ihren blutigen Höhepunkt erreichte.
Erstmals verbreitet wurde die „Palästinensische Piste“ ausgerechnet von Franceso Cossiga, der einst als Premierminister nach 2 Tagen die „Faschistische Urheberschaft“ festgesesetzt hatte – und der meiner Ansicht nach für die „Depistaggi“ des SISMI und auch noch für eine Vielzahl anderer „falscher Fährten“ zuständig war:
In einem Corriere-Interview von 2008 verkündete er, dass es sich beim Anschlag von Bologna, um „einen Unfall des palästinensischen Widerstands“ gehandelt habe – dass er 28 Jahre später auf einmal fundiertere Informationen als zu seiner Zeit als Premierminister gehabt haben will, erscheint mir äußerst fragwürdig.
1979 wurde der PFLP-Aktivist Abu Anzeh Saleh gemeinsam mit 3 Rotbrigadisten verhaftet, als er eine Rakete durch Italien transportierte.
Zwischen Italien und den Palästinensern hatte es ein geheimes Abkommen gegeben, welches den Palästinensern erlaubte, Italien als Rückzugsgebiet zu benutzen, solange man in Italien keine Terroranschläge verübte.
Durch die Verhaftung des PFLP-Aktivisten habe die italienische Regierung laut Cossiga jenes Abkommen verletzt, worauf sich die Palästinenser mit dem Anschlag gerächt hätten.
Das „Lodo Moro“ genannte Abkommen, das laut Cossiga zwischen Moro und den Palästinensern abgeschlossen worden war, mag den Palästinenensern zwar gewissen Schutz gegeben haben, aber sie wohl kaum vor Verhaftungen bei “in flagranti“ begangener Straftaten bewahrt.
Dazu hätte nämlich die gesamte Polizei und Justiz in das „geheime Abkommen“ miteingeweiht werden müssen.
Und wenn der „Lodo Moro“ tatsächlich so bedeutend gewesen wäre – und Moro gemäß Cossiga der „Mann der Palästinenser“ war, wieso hätten die Roten Brigaden, die mit der PFLP eng zusammenarbeitetet hatten (Abu Saleh hatte die besagte Rakete gemeinsam mit 3 Rotbrigadisten transportiert) ausgerechnet Aldo Moro entführen und umbringen sollen?
Und wozu hätte der SISMI einen Anschlag der Palästinenser vertuschen sollen, nachdem Moro ohnehin schon tot war?
Während eine libysche Urheberschaft von italienischen Politikern aus handfesten Gründen unmittelbar nach dem Anschlag vermutet worden war, jedoch durch Cossigas sofortige Festlegung auf eine faschistische Urheberschaft nicht weiterverfolgt wurde, war die PFLP, die auch keinerlei ernsthaftes Motiv für den Anschlag gehabt hätte, nie verdächtigt worden.
Cossiga, der Meister der Halbwahrheiten, behauptet weiters, dass 1980 der SISMI-Chef Santovito die Libyer vor einem Angriff der Franzosen auf Gaddafis Privatjet gewarnt hätte, worauf die Franzosen versehentlich eine italienische Passagiermaschine über Ustica abschossen.
Das Körnchen Wahrheit, das in jenen Behauptungen steckt, besteht darin, dass es tatsächlich eine „Warnung“ der Italiener an Gaddafi gegeben hatte.
…allerdings nicht 1980, sondern 1986:
Damals konnte sich Gaddafi dank einer Warnung durch Giulio Andreotti rechtzeitig vor Reagans Raketen in Sicherheit bringen.
Sowohl Moro als auch Santovito waren zum Zeitpunkt seiner Enthüllungen lange tot und konnten daher Cossigas Geschichten nichts mehr entgegnen…
Auch der Tangentopoli-Skandal sei laut Cossiga in Wahrheit nur eine „Rache der Amerikaner für Craxis und Anderottis propalästinensische Politik“ gewesen.
Obwohl Cossiga damals mitten im Zentrum der Macht gestanden hatte, gelang es ihm seine nachträglichen „Enthüllungen“ so darzustellen, als ob er nur ein kleiner unbeteiligter Beobachter der Geschehnisse gewesen wäre.
…und so waren selbst die für den Anschlag von Bologna verurteilten NAR-Terroristen dem „Senator auf Lebenszeit“ dankbar, dass er sie später immerhin „nicht für die Täter hielt“ auch wenn sie einräumten, dass er ihnen in einem privaten Gespräch trotz der „freundschaftlichen Atmosphäre“ keine näheren substantiellen „Hinweise über die Wahrheit gegeben habe“.
http://aron2201sperber.wordpress.com/2010/05/23/thomas-kram-alias-lothar/