ALLMYSTERY - ü b e r w a c h t ?
25.03.2008 um 16:04
Man wird's mir nicht glauben, wird man nicht … obgleich es die Wahrheit ist, und nichts als die Wahrheit.
Für die, die's noch nicht wissen: Der Schreiber dieser Zeilen verdient seine Brötchen (und bisweilen auch ein Löffelchen Marmelade dazu) durch das Schreiben von Unterhaltungsromanen unter den Pseudonymen W. K. Giesa, Robert Lamont und ein paar anderen, und er verrichtet sein Tagwerk vorzugsweise nachts. Da herrscht (wenigstens zeitweise) ein wenig Ruhe im Haus, und es kommen keine störenden Anrufe von Redakteuren (»Wann haben Sie das Manuskript denn nun endlich fertig, ich warte sehnsüchtig drauf!« – »Äh, wann kommt denn endlich der Scheck für das letzte Manuskript, darauf warte ich sehnsüchtig!« – »Wir reden von Ihrem neuen Manuskript, nicht von solchen Nebensächlichkeiten …«) und anderen Witzbolden (»Wollen Sie nicht endlich meine Rechnung vom soundsovielten bezahlen? Ich habe keine Lust mehr, Ihnen immer wieder Mahnungen zu schreiben!« – »Ja, dann lassen Sie's doch einfach.«), und die Fantasie kann ausschweifen und mehr oder viel mehr geistreiche Texte zustandebringen. Bis dann morgens früh um halb fünf die ersten Nachbarn erwachen und das durch eine enorm maximierte Geräuschkulisse der Stadt und der Welt mitteilen müssen; urbi et orbi. Was sich dann in unverminderter Dezibelstärke über den ganzen Tag fortsetzt bis abends gegen Mitternacht – müssen die nicht zwischendurch auch mal zum Einkaufen oder zur Arbeit, auf daß es wenigstens etwas leiser werde im Hause?
Einer der wenigen Vorteile des Schriftstellerdaseins besteht darin, daß ich die wenigen stillen Nachtstunden (still? Nebenan im Feuchtbiotop krakeelen ab Einbruch der Dämmerung die Frösche, und die Versuche, auch ein Storchenpaar wieder anzusiedeln, sind bislang bedauerlicherweise gescheitert) immerhin nutzen kann; einer der vielen Nachteile ist die Unmenge an Leserbriefen, die alle beantwortet werden wollen. Auch dies geschieht in den Nachtstunden. Das Arbeitszimmer ist relativ klein; allein Beleuchtung und PC-Abwärme sowie das wände- und deckendurchdringende Heizverhalten der (deshalb diesmal wohlgelittenen) Nachbarn sorgen zwingend dafür, daß schon etwa ab Mitte Februar bis ungefähr Mitte Novembrrrrr nicht nur auf die Inbetriebnahme der Heizung verzichtet werden kann, sondern das Fenster durchgehend in voller Breite aufgerissen werden muß – anders ist es in dem kleinen Raum vor Hitze nicht auszuhalten, dessen Arbeitsmobiliar sich ähnlich eng um den Autor gruppiert wie das Ferrari-Cockpit um den Fahrer; indessen weit weniger störanfällig. Also: Fenster weit auf, PC ein, Kopfhörer auf (warum bin ich eigentlich so blöd, meine Nachbarn nicht mit Lärmbelästigung zurückzuärgern?), Stereoanlage auf Volldampf, und los geht's. Die Musik aus dem Kopfhörer übertönt dabei das Krakeelen der Frösche aus dem ein wenig zu nahe gelegenen Biotop, dem immer noch die Störche fehlen … aber das hatten wir ja schon. Immerhin, wenn dann morgens über der mit archäologischen Fundstätten reich bestückten Hügelkette die Sonne aufgeht und unten auf den Wiesen und Weiden um den Bach herum noch der Nebel herumnebelt, ist das schon vom an der Grenze zwischen Ortsrand und pictischer Wildnis gelegenen Haus aus ein prachtvoller Anblick, der fast mit dem Krakeelen der … usw. …versöhnen kann.
Aber noch ist nicht Morgendämmerung, sondern Nacht und damit Arbeitszeit. Da sind die drängenden Termine für die Manuskriptablieferung, und da sind die besagten Leserbriefe, die beantwortet werden wollen. Daß die von »Robert Lamont« geschriebene, mittlerweile rapide auf Band 600 zugaloppierende Mystery-Heftserie »Professor ZAMORRA« auch über ein dreiseitiges Leserforum verfügt, mindert die Last nicht, sondern vergrößert sie noch; diese drei in kleiner Schrift eng bedruckten Seiten müssen zusätzlich zum Romanschreiben alle zwei Wochen erstellt werden. Allerdings ergibt sich zuweilen die Möglichkeit, Leserbriefe und Antworten bzw. Kommentare in einer Art Dialog zu präsentieren, der manchmal recht flapsig ausarten kann und nicht immer unbedingt ernst zu nehmen ist.
Trotz des akademischen Serientitels geht es um Fantasy, Science Fiction und Gruseleffekte. Entsprechend farbig sind auch die Zuschriften. Wie in Band 578, wo eine Leserin sich als Vampirin outet und ihren Brief wie folgt beginnt: »Seid gegrüßt, großer Herr und Meister! Darf ein kleiner Blutsauger wie ich es wagen, etwas von Eurer kostbaren Zeit zu beanspruchen?« Antwort: »Na ja, bei der ehrerbietigen Anrede: Zeit schon. Aber kein Blut! Das bleibt gefälligst in meinen Äderchen!« Nach diversem Hin und her meint die Leserbriefschreiberin abschließend: »… werde diesen Brief jetzt beenden und mich mal auf die Jagd nach meinem Abendessen begeben. Schmatz.« Antwort: »Na, dann Waidmannsheil, aber Du wirst Verständnis dafür haben, daß ich Hammer und Eichenpflock bereit halte, Knoblauch vors Fenster hänge und mit Klebeband ein großes Kreuz ans Fenster markiere – ach, jetzt hab' ich's aus Versehen wie ein großes ›X‹ geklebt. Mal sehen, was daraus an Begegnungen resultiert … Traue niemandem!«
Womit ich mich als Fan der TV-Serie »Akte X« geoutet habe.
Soweit, so gut oder schlecht.
Wir erinnern uns: Ich bin bei der Arbeit, es ist Nacht, das Fenster ist sperrangelweit offen, die Nachbarn schnarchen … (von wegen Ruhe! Die haben nämlich auch die Fenster auf. Ich hasse schnarchende Frischluftfanatiker!)
Plötzlich schwirrt da was durchs Zimmer. Mein erster Verdacht, ein kleiner Vogel habe sich verirrt, kollidiert mit der Uhrzeit – es ist lange nach Mitternacht. Da fliegt kein Vogel nie nicht mehr. Und wir haben hier zwar auch ein paar recht große Flatterinsekten, die etwa Kreditkartengröße erreichen können, wenn sie die Flügel ausbreiten und sich ein wenig anstrengen. Aber dies Viech ist doch etwas größer. Schwirrt wild hin und her und denkt gar nicht dran, durchs offene Fenster wieder nach draußen zu huschen.
Schließlich läßt es sich nieder. Am Regal mit meinen Belegexemplaren. Klammert sich, Kopf nach unten, am »Trucker-King« fest und klappt die Flughäute eng zusammen. Auf meine Frage nach Name, Adresse, Einreisevisum und Landeerlaubnis kommt nur ein meckerndes »Tschek-tschek-tschek-tschek-tschek«.
Es handelt sich, mit zusammengeklappten Schwingen etwa in MC-Größe, um ein Fledermäuslein!
Natürlich ist mein enges Arbeitszimmer nicht unbedingt der geeignete Aufenthaltsort für solch Flattertier. Also versuche ich, es mit dem Roman zum Fenster zu bugsieren und hinauszuschütteln in die goldene, pardon, nachtschwarzhalbmondhelle Freiheit. Womit die Fledermaus nun gar nicht einverstanden ist, wieder startet und erneut durchs Zimmer rast, für vier Runden in einen stationären Orbit um die Lampe geht, um sich dann zwischen kaum genutzter, spinnenumwobener Heizung und deshalb davor aufgebauten Pappkartons zu verschanzen. Auf meine schließlich erfolgreichen Versuche, es wieder hervorzustöbern, kommt erneut das protestierende Gemecker – ich wußte bis heute nicht, wie energisch kleine Fledermäuse schimpfen können!
Irgendwann habe ich dann probeweise das Licht ausgeschaltet.
Und – schwupp, irgendwo krachte Miss Fledermaus kurz gegen und war anschließend weg.
Bis jetzt ist sie nicht wieder aufgetaucht. Schade eigentlich. Ich hätte gegen einen solchen nächtlichen Besucher nicht viel einzuwenden. Fledermäuse, die man in der Nähe unseres Ortes anzusiedeln versucht, machen jedenfalls nicht soviel Krach wie die verdammten krakeelenden Frösche … usw.
Mir fällt jene Leserin wieder ein.
Ob sie das war …?
Um mit FBI-Special Agent Fox Mulder zu sprechen: »I want to believe …«
Ob er an das Fenster meines Arbeitszimmers dachte, als er seine unsterblichen Worte formulierte: »Die Wahrheit ist irgendwo da draußen.«?
Wie auch immer, man wird's mir nicht glauben, wird man nicht … obgleich es die Wahrheit ist, und nichts als die Wahrheit.
Denn, erneut Mulder: »Traue niemandem …!« Werner K. Giesa, August 1996