Link: www.heise.de (extern) (Archiv-Version vom 09.10.2007)c't 5/98, S. 82: Lauschangriff
Ingo Ruhmann, Christiane Schulzki-Haddouti
Abhör-Dschungel
Geheimdienste lesen ungeniert mit - Grundrechte werden abgebaut
Flächendeckende Überwachung von EMail im Internet war bislang nur ein Gerücht. Am 6. Januar 1998 berichtete jedoch eine Studie des Europäischen Parlaments von einem entsprechenden Abhörsystem der NSA, einem US-Geheimdienst. Wenige Tage später beschloß die Mehrheit im deutschen Bundestag eine weitere Verschärfung der Telekommunikations-Überwachung durch Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste. Anlaß für Fragen: Welche Befugnisse hat der Staat? Mit welcher Form von Spionage muß man im Internet rechnen?
Völlig neu ist der Inhalt des EU-Papiers [1] nicht; aufmerksamen Beobachtern ist er aus einschlägigen Quellen der Szene schon länger bekannt. Das Novum besteht vielmehr darin, daß nun mit dem Scientific and Technological Options Assessment (STOA) erstmals ein offizielles politisches EU-Organ über das globale elektronische Abhörsystem ECHELON kritisch berichtet. Es dient der US-amerikanischen National Security Agency (NSA) seit Anfang der 80er Jahre zur Überwachung von elektronischer Kommunikation - weltweit. Es basiert auf der UKUSA-Vereinbarung, die zwischen Großbritannien, USA, Kanada, Australien und Neuseeland 1948 getroffen wurde. Während des Kalten Krieges entwickelt, ist es heute vorwiegend auf nicht-militärische Ziele ausgerichtet: Regierungsstellen, Organisationen und die Wirtschaft.
Im Kapitel `Entwicklungen in der Überwachungstechnologie´ bezieht sich der britische STOA-Autor Steve Wright vor allem auf den neuseeländischen Journalisten Nicky Hager. Er hatte 1996 in seinem Buch `Secret Power´ [2] die stille Kooperation der Geheimdienste in vielen bis dahin unbekannten Details aufgedeckt. Mehr als 50 Personen aus Geheimdienstkreisen hatten ihm in Informationsgesprächen neue Zusammenhänge des internationalen Abhörkartells erschlossen. Seit dem Standardwerk `Puzzle Palace´ von James Bramford aus dem Jahre 1983 war nichts wesentlich Neues über das weltweite Abhörnetz des obskuren US-Nachrichtendienstes NSA bekannt geworden. In den 70er Jahren war der ECHELON-Vorläufer von einer britischen Forschungsgruppe erstmals aufgedeckt worden. Die Forscher hatten offene Quellen benutzt, wurden aber später verhaftet. Begründung: Sie hätten gegen die Gesetze für Geheimhaltung verstoßen.
Dabei hatte NSA-Chef Generalleutnant Lew Allen 1975 vor einem Kongreßausschuß die Rolle der NSA aufgedeckt. Zehntausende von Amerikanern wurden während des Vietnam-Krieges verdächtigt, `gegen die nationale Sicherheit´ verstoßen zu haben. In 75 000 Einzelakten wurden persönliche Daten, markante Verhaltensweisen, politische Kontakte notiert - Grundlage für illegale Observationen von Kriegsgegnern durch die CIA. Die Selbstenthüllung blieb ohne Konsequenzen. Allen versicherte dem Ausschußvorsitzenden Senator Frank Church, daß die NSA künftig auf Lauschangriffe gegen die eigenen Bürger verzichten werde. Abhöropfer strengten Prozesse an, jedoch ohne Erfolg. Ein Berufungsgericht wies die Klagen zurück: Das Abhören von Telekommunikation mit Partnern im Ausland sowie die Weiterleitung der jeweiligen Gesprächsinhalte an andere US-Behörden sei `keine Angelegenheit amerikanischer Gerichte´, sondern falle in den `Verantwortungsbereich der Regierung´. Ein Freibrief für die NSA, weltweit ein Lauschsystem gigantischen Ausmaßes zu installieren.
Lauschkomplex NSA
Da die NSA lediglich durch eine Direktive des damaligen Präsidenten Harry S. Truman am 4. November 1952 gegründet wurde, unterliegt sie keiner demokratischen Kontrollinstanz. Bis heute ist unbekannt, über welchen Etat die NSA verfügt, da es keinen offiziellen Haushalt für diese Behörde gibt. Geschätzt wird, daß rund 10 bis 15 Milliarden Dollar jährlich für ein Heer von 60 000 bis 100 000 Mitarbeitern samt technischer Ausrüstung und Infrastruktur anfallen. Allein die Zahlen sprechen für sich: Die NSA-Zentrale residiert seit 1957 auf einem 1600 Hektar großen Gelände der Armee-Basis Fort Meade in Maryland - von einem drei Meter hohen Elektrozaun gesichert. In der `Schwarzen Stadt´ leben 29 000 Zivilisten und 9200 Militärs, rund 1670 Gebäude sind über 150 Kilometer lange Straßen verbunden. Das zentrale Gebäude der schwarzen Stadt, das `Operations Building I´ wurde in den 80er Jahren aufwendig abgeschirmt, um elektromagnetische Abstrahlungen zu vermeiden [4]. Knapp 13 Millionen Dollar wurden allein dafür investiert. In den letzten Jahren wurden zwei weitere große Komplexe renoviert, darunter FANX 2, in dem die `National Cryptologic Training Facility´ untergebracht ist. Dort wird das NSA-Personal in 100 Unterrichtsräumen sowie einem 300sitzigen Auditorium ausgebildet.
NSA-Kuriere transportierten noch in den 80er Jahren jährlich 30 000 Tonnen geheime Akten zwischen Fort Meade und den Ministerien in Washington hin und her. Rund 24 000 Tonnen streng geheimen Archivmaterials fielen jährlich an, das in eigenen Gebäuden eingelagert wurde, rund 40 Tonnen Papier wurden täglich im Reißwolf entsorgt. Wahrscheinlich wird heute ein Großteil des Datentransports über ein stark abgeschirmtes Intranet abgewickelt. Einen Hinweis darauf gibt das in den letzten Jahren von NSA-Experten für die CIA installierte Informationssystem: Seit 1995 verfügen CIA-Agenten über einen ständig verfügbaren Online-Zugang zu den Geheimakten des Nachrichtendienstes. Intelink, ein Internet-basiertes Informationssystem, wird von 35 Geheimdiensten mit Informationen versorgt, mehr als 3000 Nutzer greifen auf die immensen Datenmengen zu. Das Computersystem in Langley speichert mehr als vier Terabyte geheime Daten - äquivalent zu einem 48 Kilometer hohen Aktenstapel. Vor allem das Internet liefert der CIA und anderen