Insolvenzverfahren BRD
12.08.2007 um 21:22
Berlin - Deutschland nicht Pleite
Urteil in Karlsruhe
Bundesverfassungsgericht entscheidet: Berlin bleibt pleite
Schicksalsschlag für Berlin: Die Hauptstadt hat trotz hoher Schulden keinen Anspruch auf Sanierungshilfen des Bundes. Das hat das Bundesverfassungsgericht am 19. Oktober bekannt gegeben. Die Karlsruher Richter verwarfen damit eine Klage des Landes Berlin.
"Berlin kann sich selbst helfen"
Es sei mit der Verfassung vereinbar, dass die mit 60 Milliarden Euro verschuldete Hauptstadt seit 2002 keine Bundeshilfen mehr für seine Haushaltssanierung erhalte. Die Entscheidung trafen die Richter des Zweiten Senats einstimmig.
Der Gerichts-Vizepräsident Winfried Hassemer erklärte, Berlin befinde sich zwar in einer angespannten Haushaltslage, die es aber "mit großer Wahrscheinlichkeit" aus eigener Kraft überwinden könne. Eine "extreme" Haushaltsnotlage - die Voraussetzung für eine Finanzspritze des Bundes - liege im Falle Berlins nichtvor. So seien bundesstaatliche Hilfen zur Sanierung eines Landes nur dann möglich, wenn die Existenzbedrohung eines Landes nicht mit anderen Mitteln abzuwehren sei.
Damit widersprechen die Karlsruher Richter der Auffassung des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD): dieser hatte bei der Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht erklärt, Berlin könne sich aus der Schuldenfalle nicht mehr selbst befreien. Zuvor hatte der Bund abgelehnt, die Berliner bei der Entschuldung zu unterstützen.
Berlin in der Schuldenfalle
Ein Blick auf die nackten Zahlen verdeutlicht das Dilemma der Berliner Landesregierung: während die Stadt 1991 mit zehn Milliarden Euro in der Kreide stand, sind es inzwischen über 60 Milliarden Euro. Ein Schuldenberg, den Wowereit historisch mit dem zweiten Weltkrieg und der Teilung Deutschlands und Berlins begründet. Außerdem habe Berlin repräsentative Aufgaben als Hauptstadt und deshalb Ansprüche auf Finanzhilfe.
Zudem, da sindsich die Berliner Politiker parteiübergreifend einig, wurden die Bundeshilfen nach der Wiedervereinigung zu schnell reduziert. So wurden die Subventionen für Berlin von 1990 bis zum Jahr 1994 von 7,2 Milliarden Euro auf null zurückgefahren - ohne dass die Stadt ihre Ausgaben entsprechend gekürzt hätte. Die Bürgschaften für faule Inmobilienkredite der Berliner Bankgesellschaft brachten die Finanzen endgültig in eine Schieflage.
Die Folge: pro Jahr muss der Berliner Finanzsenator rund 2,4 Milliarden Euro für Zinszahlungen aufbringen, die wiederum nur durch neue Schulden finanziert werden können. Deshalb steigen die Zinsen von Jahr zu Jahr weiter. Eine Schuldenspirale, die sich immer schneller dreht.
"Sparen, bis es quietscht"
Das Motto der rot-roten Koalition gab Klaus Wowereit deshalb schon bei seinem Amtsantritt im Jahr 2002 bekannt: Man müsse sparen, "bis es quietscht". Ein Regierungsversprechen, das prompt umgesetzt wurde. So waren die jährlichenAusgaben der Hauptstadt (ohne Zinsen) im Jahr 2005 um 10,8 Prozent niedriger als 1995. Im öffentlichen Dienst arbeiteten im vergangenen Jahr nur noch 130.000 Mitarbeiter - ein Drittel weniger als 1991.
Das reicht nicht, sagen die Karlsruher Richter: die Hauptstadt gebe noch immer zuviel Geld aus und habe erhebliche Einsparpotentiale noch nicht ausgeschöpft. Ein Beispiel: die Berliner Ausgaben für Hochschulen, Wissenschaft und Kultur seien weitaus höher als beispielsweise in Hamburg.
Die reichen Länder atmen auf
"Richtig und weise" sei die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, erklärte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) nach der Urteilsverkündigung. Auch die Länder-Regierungschefs Stoiber, Milbradt, Koch, Wulff und von Beust zeigten sich über das Urteil erleichtert: Bei einer erfolgreichen Berliner Klage wären sie vom Bundesfinanzminister an den Kosten beteiligt worden. So sieht es der Länderfinanzausgleich vor. Derbaden-württembergische Finanzminister Gerhard Stratthaus (CDU) hatte bereits vorsorglich angekündigt, in einem solchen Fall eine Klage gegen den Länderfinanzausgleich als Ganzes zu prüfen.
Tatsächlich befürchteten Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, dass eine Entschuldungshilfe für die Hauptstadt Nachahmern Tür und Tor öffnen könnte. Schließlich haben auch das Saarland und Bremen vor dem Bundesverfassungsgericht auf Haushaltshilfen vom Bund geklagt. Beide Länder waren bereits 1992 mit ihrer Klage auf die Anerkennung einer "extremen" Haushaltsnotlage in Karlsruhe erfolgreich.
Kein "Weiter so"
Ein "Weiter so" kann es nicht geben, das haben die Richter in Karlsruhe deutlich gemacht – und das gilt nicht nur für Berlin, sondern auch für die Beziehungen zwischen Bund und Ländern. So mahnte das Bundesverfassungsgericht, in der anstehenden zweiten Stufe der Föderalismusreform müssten dringend "Lösungskonzepte zur Vorbeugung von Haushaltskrisen und derenBewältigung" geschaffen werden.
Fakt ist: nicht nur Berlin ist pleite. Sieben der 16 Bundesländer nehmen derzeit mehr Kredite auf, als sie für Investitionen ausgeben, so dass sie keinen verfassungsgemäßen Haushalt vorlegen können. Ein Thema, über das die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer bereits am Tag der Urteilsverkündung im niedersächsischen Bad Pyrmont diskutieren: auf der Tagesordnung steht der zweite Teil der Föderalismusreform, bei der es unter anderem um die Fragen des Finanzausgleichs geht.
Konsequenzen für die Berliner Landespolitik
Auch in Berlin geht es jetzt zur Sache: bei der nächsten Runde der Koalitionsverhandlungen am 23. Oktober werden SPD und Linkspartei.PDS über die Konsequenzen des Urteils für die Berliner Landespolitik beraten. In den vorhergehenden Koalitionsverhandlungen wurde das Thema Geld ausgespart, so der Regierende Bürgermeister: man hätte die Teilnehmer nicht gleich in Schockzustand versetzenwollen. Jetzt müssen neue Einsparmöglichkeiten ausgelotet werden - vom Verkauf landeseigener Wohnungsbaugesellschaften, der Schließung der Deutschen Oper bis zur Einführung von Studiengebühren.
Dabei gerät auch die Neuauflage der rot-roten Landesregierung auf den Prüfstand, noch bevor sich die Verhandlungspartner an einen Tisch gesetzt haben. "Unter dem Vorzeichen einer noch schärferen Spar- und Privatisierungspolitik erneut in die Koalition einzutreten, wäre politischer Selbstmord", warnen die Linkspolitiker Tobias Pflüger, Nele Hirsch und Sahra Wagenknecht.
Auf Distanz geht auch der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck: in einer ersten Reaktion auf das Urteil erteilte Platzeck den Plänen für eine Fusion beider Länder eine prompte Absage. Begründung: über Volksabstimmungen für eine Länderehe zu reden, sei angesichts der Berliner Schulden wenig sinnvoll.
Düsseldorf ist hingegen einen anderen Weg gegangen
(Sparen bzw. nicht sparenoder alles verkaufen - welcher Weg besser ist wird sich noch entscheiden)
Schuldenfreies
Düsseldorf
Nach Dresden hat es die zweite deutsche Großstadt geschafft, die kommunalen Schulden auf Null zu bringen.
Dresden verkaufte die städtische Wohnungsbaugesellschaft an Investoren. Düsseldorf hat sich von RWE-Aktien und seinen Stadtwerken getrennt.
Bevor Düsseldorf mit dem Verkauf des Tafelsilbers begann, hatte die Stadt knapp eine Milliarde Euro Schulden. Im September, genauer, am 12. September 2007, ließ der Bürgermeister jetzt wissen, werde die Stadt schuldenfrei sein.
Ich beglückwünsche die Stadt Düsseldorf
und ihre Bürger zu dieser wunderschönen Schlagzeile.
Allerdings bleibt die Frage zu beantworten: Wie konnte das gelingen - und, was hat Düsseldorf, was haben die Düsseldorfer Bürger nun davon?
Schuldenabbau, so heißt es, entlastet die zukünftigen Generationen um die Zinslasten.
Bei knapp einer MilliardeSchulden, die um das Jahr 2001 den Düsseldorfer Stadtkämmerer drückten, sind das, bei einem durchschnittlichen Zinssatz von - hoch gegriffen - 6,0 % p.a., jährlich rund 60 Millionen Euro, die im Haushalt frei werden, um damit Besseres anzufangen, als Zinsen zu zahlen.
Das ist nicht wenig.
Dafür musste sich Düsseldorf allerdings von 6,2 Millionen Stück RWE-Aktien trennen.
(exakt 6.171.630)
Der Verkauf brachte der Stadt rund 0,4 Milliarden Euro ein.
Für das Geschäftsjahr 2006 hat RWE pro Aktie 3,50 Euro Gewinn ausgeschüttet - der entgeht Düsseldorf, jetzt und in alle Zunkunft. Das sind 21,6 Millionen Euro - nach Abzug von 25% Abgeltungssteuer bleiben immer noch
Erträge in Höhe von 16,2 Millionen - die Düsseldorf künftig fehlen. Jahr für Jahr.
Die Stadt hat außerdem ihren 80%-Anteil an den Stadtwerken Düsseldorf an EnBw verkauft,
erst 29,9% Anfang 2002, dann 25,5% 2005 - und nun vermutlich, mit dem Ablauf der zweitenVerkaufsoption, den Rest - um endgültig schuldenfrei zu werden.
Daraus ist der Stadt ein Gesamterlös von rund 1,3 Milliarden Euro zugeflossen.
EnBw erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2006 bei einer Bilanzsumme von 15,3 Milliarden Euro einen Jahresüberschuss von 454,4 Millionen Euro - nach Steuern. Überträgt man dieses Verhältnis auf den nun von EnBw gehaltenen 80%-Anteil, dann hat die Stadt Düsseldorf - bei wirtschaftlicher Betriebsführung - aus den Erträgen der Stadtwerke
einen jährlichen Gewinn in Höhe von 38,6 Millionen Euro verloren.
Die Ersparnis aus dem Verkauf des Tafelsilbers hat sich damit von 60 Millionen auf weniger als ein Zehntel reduziert.
Die Entschuldungsaktion bringt unter dem Strich gerade noch 5,2 Millionen Euro -- vorausgesetzt, die Schulden der Stadt wurden tatsächlich mit durchschnittlich 6,0 % verzinst.
Häuslebauer bekommen ihre erste Hypothek derzeit schon ab 4,7 % ...
Nimmt man an, die Düsseldorferhätten bei den Zinskonditionen ihre "Marktmacht" richtig ausgespielt, und allenfalls einen Durchschnittszinsatz auf Häuslebauer-Hypotheken-Niveau zu zahlen gehabt, dann stünden dem Einnahmeverlust von 54,8 Millionen nur Einsparungen von 47 Millionen gegenüber - per Saldo 7,8 Millionen Miese. Jährlich.
Wie auch immer, irgendwo in der Mitte zwischen 5,2 Millionen Gewinn und 7,8 Millionen Verlust wird die Wahrheit liegen.
Was hat Düsseldorf also gewonnen?
Nichts.
Die Sorgen des Stadtkämmerers bleiben praktisch unverändert. Was er bei den Zinsen spart, fehlt ihm bei den laufenden Einnahmen, die Größenordnungen sind ungefähr gleich und die Differenz geht im Rauschen der Schwankungsbandbreite unter.
Und was hat Düsseldorf verloren?
Nichts,
außer der Verfügungsgewalt über die Stadtwerke.
Gebühren und Tarife im Interesse der Stadt und ihrer Bürger festzulegen und auszurichten - das ist nicht mehr möglich.
Die Einrichtungender kommunalen Grundversorgung durch Investitionen und laufende Wartung zu erhalten, liegt nicht mehr im Ermessen der Stadt.
Mitarbeiter der Stadtwerke angemessen zu bezahlen, sie in der notwendigen Zahl zu beschäftigen und damit den Arbeitsmarkt zu pflegen - auch das liegt nicht mehr in der Hand der Stadt.
Leistungsumfang der Versorgung und die Qualität der Leistung zu bestimmen - das ist nun ausschließlich die Sache von EnBw.
Düsseldorf wird nicht lange schuldenfrei bleiben.
Wer in sechs Jahren 1 Milliarde tilgt, aber im gleichen Zeitraum 1,7 Milliarden Privatisierungserlöse einstreicht, der ist wohl noch ein Stück weit von einem nachhaltig ausgeglichenen Haushalt entfernt.
Den Düsseldorfer Bürgern wird es ähnlich ergehen, wie den Dresdnern:
Kaum waren dort die Wohnungen verkauft und die Stadt entschuldet, schon stiegen die Mieten. In Düsseldorf werden es eher die Kosten für Strom, Gas, Wasser und Fernwärme sein - aber wo liegt da derUnterschied?
Noch Fragen ob deutschland Pleite ist?